Christdemokraten greifen zum Rettungsanker: neuer, junger Parteichef gewählt

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Die christdemokratische Tschechische Volkspartei (KDU-ČSL) war seit mehr als 90 Jahren fester Bestandteil aller bisherigen Parlamente und auch vieler Regierungen. Doch bei den Parlamentswahlen von Ende Juni verpasste sie erstmals den Einzug in das Abgeordnetenhaus. Nach wochenlanger Lähmung und der Ursachenforschung für die Niederlage wagt die Volkspartei, wie die Christdemokraten auch genannt werden, nun einen personellen Neuanfang. Ihn verkörpert der neue Parteivorsitzende Pavel Bělobrádek, der mit seinen 33 Jahren neuer Hoffnungsträger sein soll.

Bělobrádek wurde am vergangenen Wochenende bei der Parteikonferenz in Žďár nad Sázavou mit großer Mehrheit gewählt. Der junge Politiker erhielt viele Vorschusslorbeeren. Allen voran seine Vorgänger sparten nicht mit Lob. So sagte zum Beispiel Jiří Čunek:

„Es ist sicherlich eine gute Wahl. Ich denke, dass er nicht ganz unerfahren ist, auch wenn er jung ist.“

Cyril Svoboda  (Foto: ČTK)
Ähnlich auch die Aussage eines weiteren früheren Parteichefs, nämlich von Cyril Svoboda. Svoboda hatte nach der historischen Niederlage der Christdemokraten bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus das Handtuch geworfen. Svoboda traut seinem direkten Nachfolger Bělobrádek sogar zu, in die Fußstapfen des legendären Parteichefs Josef Lux zu treten:

„Er hat die Chance und sympathisch an ihm ist, dass er nie aufgehört hat zu lernen, und das auch sehr intensiv tut.“

„Ich kenne ihn nur sehr flüchtig, ich kann ihm nur viel Glück wünschen. Ich würde mir gerne wünschen, dass er Erfolg hat.“

Kalousek war übrigens selber langjähriges Mitglied der Christdemokraten und in den Jahren 2003 bis 2006 sogar ihr Vorsitzender. Im Frühjahr vergangenen Jahres verließ er aber die Partei und beteilte sich maßgeblich an der Gründung der neuen Partei TOP 09.


Radio-Prag-Mitarbeiter und Politologe Robert Schuster hat das Geschehen beim Parteitag der tschechischen Christdemokraten verfolgt. Robert, was hat letztlich den Ausschlag dafür gegeben, dass Bělobrádek schon in ersten Durchgang und mit großem Vorsprung auf seine Mitbewerber gewählt wurde?

Michaela Šojdrová  (Foto: ČTK)
„Ich denke, das wichtigste und entscheidende Motiv war, einen neuen und in gewisser Weise auch radikalen Neuanfang zu wagen. Denn die übrigen Kandidaten, allen voran die langjährige Parlamentsabgeordnete Michaela und Interims-Parteichefin Šojdrová verkörperten oft eine Art „Weiter-so-Politik“. Andere Bewerber waren wegen ihrer früheren Rolle bei innerparteilichen Konflikten ziemlich diskreditiert. Es ist sicherlich ein Risiko, nun alles auf eine Karte oder einen jungen Parteichef zu setzen, aber vielleicht haben die Christdemokraten wirklich keine Wahl und können nur so versuchen, sich vor einem definitiven Absturz zu retten, indem sie einen radikalen personellen Neuanfang wagen.“

Viele Delegierte beim Parteitag haben Bělobrádek bereits mit dem legendären Parteivorsitzenden Josef Lux verglichen, der zufälligerweise genau vor 20 Jahren an gleicher Stelle an die Spitze gewählt wurde. Was hat es damit auf sich?

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„Das ist einfach zu erklären: Lux, der fast auf den Tag genau vor elf Jahren einer Leukämie-Erkrankung erlag, war nicht nur das größte politische Talent seiner Partei, sondern vielleicht auch der gesamten tschechischen Politik der neunziger Jahre. Ihm gelang es, die Volkspartei aus dem Ghetto der früheren kommunistischen Blockpartei zu befreien und ihren politischen Spielraum bedeutend zu erweitern. Auch vom Führungspersonal her lebt die Partei heute noch von den Weichenstellungen, die seinerzeit Lux vorgenommen hatte. Politiker wie der stellvertretende Senatspräsident Petr Pithart oder die Europaabgeordnete Zuzana Roithová wären wohl nie Mitglieder geworden, hätte sie Lux nicht gerufen und zu integrieren gewusst. Daran muss nun der neue Vorsitzende anknüpfen, will er seine Partei wieder zurück ins politische Geschäft bringen. Denn, wenn man als Partei aus dem Parlament geflogen ist, befindet man sich ebenfalls wieder in einer Art Ghetto, muss kämpfen, um wieder öffentlich wahrgenommen zu werden. Insofern unterscheidet sich die Aufgabe des jetzigen Vorsitzenden von der vor 20 Jahren gar nicht so markant.“

Nun ist Bělobrádek mit seinen 33 Jahren ein ausgesprochen junger Vorsitzender, die KDU-ČSL hat allerdings den Ruf relativ alte Mitglieder zu haben. Ist das nicht ein Widerspruch?

Pavel Bělobrádek  (Foto: ČTK)
„Ja, das stimmt. Andererseits haben bereits viele eingesehen, dass nur eine Öffnung hin zu neuen Wählergruppen die Partei retten und sie eventuell wieder zurück ins Abgeordnetenhaus befördern kann. Denn trotzt des Achtungserfolgs bei den jüngsten Kommunal- und Senatswahlen bleibt nach wie vor das Abgeordnetenhaus Dreh- und Angelpunkt der tschechischen Innenpolitik, was für die Christdemokraten nichts anderes bedeutet, als dass ihr Erfolg weiterhin an ihrer Fähigkeit gemessen werden wird, die Fünf-Prozent-Hürde zu überspringen. Eine wichtige Aufgabe des neuen Vorsitzenden wird sicherlich auch eine Reform der inneren Strukturen, weil die Christdemokraten trotz ihres Anspruchs, eine landesweit agierende Partei zu sein, vielerorts - zum Beispiel in Nordböhmen - weder politisch, noch organisatorisch mehr vertreten sind. Natürlich ist das auch eine Kostenfrage. Auf Grund der fehlenden Mittel wegen des verpassten Einzugs ins Abgeordnetenhaus muss sich die Partei auf das Wesentliche konzentrieren.“

Fast in allen Parteitagsreden klang eine starke Kritik an den geplanten Sparmaßnahmen der jetzigen bürgerlichen Regierungskoalition an. Gleichzeitig aber präsentierten sich die Christdemokraten als Verteidiger klassischer bürgerlicher Tugenden, einschließlich der Familie. Stünde die KDU-ČSL, sofern sie gegenwärtig im Abgeordnetenhaus vertreten wäre, in Opposition zur jetzigen bürgerlichen Regierung von Premier Petr Nečas?

Petr Nečas  (Foto: ČTK)
„Wahrscheinlich nicht. Ich glaube sogar, dass Regierungschef Petr Nečas die Volkspartei vielleicht sogar viel lieber als Koalitionspartner hätte, als die eine oder andere der jetzigen Regierungsparteien. Ich gehe davon aus, dass die geplanten Maßnahmen und Einschnitte im Sozialbereich sicher nicht so problemlos die Regierung passieren würden, wie dies in den vergangenen Wochen geschehen ist. Vielleicht könnte sich Nečas ebenso wenig der Unterstützung aller christdemokratischen Abgeordneten im Parlament sicher sein. Aber auch Nečas hat schon mehrmals anklingen lassen, er wolle das Land nicht kaputt sparen, was sicher der KDU-ČSL entgegenkommen könnte. Die Rolle der Christdemokraten bestand in den vergangenen Jahren gerade im Korrektiv innerhalb der Regierungen, egal ob in einer sozialdemokratisch geführten oder in einer bürgerlichen. Sie versuchten stets den Akzent auf die Beibehaltung gesellschaftlicher Solidarität zu setzen. Das ist natürlich schwierig, gerade in Zeiten, wo es bequem ist, einfache Lösungen nach dem Links-Rechts-Schema zu präsentieren. Da kann man dann leicht unter die Räder kommen und – wie bei den Wahlen im Mai geschehen – sogar aus dem Abgeordnetenhaus fliegen.“