Corona-Krise: Wirtschaftliche Folgen müssen vor allem prekär Beschäftigte ausbaden

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Tschechien hat das erste Corona-Jahr hinter sich. Die Auswirkungen der Pandemie lassen sich nicht nur an der Gesamtzahl der Todesopfer ablesen, die in dieser Woche den Wert von 12.000 überschritten hat. Vor allem Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen bekommen die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Krise zu spüren. Warum das so ist und ob es politische Strategien dagegen gibt, hat der Soziologe Daniel Prokop im Gespräch mit Radio Prag International erläutert.

Protest gegen die Regierungsanordnungen  (Foto: ČTK / Michal Kamaryt)

Es scheint, als hätte die Corona-Krise die Gesellschaft gespalten. Nicht in Kranke und Gesunde, sondern in Unterstützer und Gegner der Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie. Dieser Meinungsstreit mag seinen Ausdruck in Tschechien nicht unbedingt in Massendemonstrationen finden, wie es etwa in Deutschland mit der Querdenkerbewegung der Fall ist. Proteste gegen die Regierungsanordnungen gibt es aber auch hierzulande, und sie haben ihre Anhänger bis in die höhere Politik hinein.

Der Soziologe Daniel Prokop lokalisiert die bedeutenden gesellschaftlichen Auswirkungen der Krise aber an anderer Stelle:

Daniel Prokop  (Foto: Lenka Kabrhelová,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)

„Eine wichtige gesellschaftliche Trennlinie ist die Stellung auf dem Arbeitsmarkt. Da ist die Frage, ob jemand ein Angestelltenverhältnis hat oder einen Werkvertrag, ob er schwarz bezahlt wird oder als Freiberufler tätig ist. Die Daten aus unserer Erhebung ‚Leben in der Pandemie‘ zeigen, dass die Menschen ohne stabiles Arbeitsverhältnis von dieser Krise am meisten betroffen sind.“

Prokop ist Gründer der Forschungsgruppe PAQ Research. Mit seinem Team beobachtet er die Entwicklung sozialer Ungleichheiten in der tschechischen Gesellschaft, nicht nur in Zeiten der Pandemie. Das besagte Forschungsprojekt gibt Aufschluss darüber, wer zu den Verlierern der aktuellen Krise gehört und wo die strukturellen Ursachen dafür liegen:

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„Die Krise hat mehrere Ebenen. Ihre wirtschaftlichen Auswirkungen haben recht zügig eingesetzt, und die Arbeitgeber mussten sehr schnell auf die Restriktionen reagieren. Gleichzeitig kam es nach dem ersten Lockdown schon bald zu einer Erholung. Diese Dynamik zwang die Arbeitgeber, ihre Ausgaben kurzerhand einzuschränken. Das traf zuerst Beschäftigungsverhältnisse, die schnell beendet werden konnten.“

Solche unsicheren Arbeitsplätze, die zum Beispiel keine Kündigungsfrist haben, sind vor allem im Bereich von Dienstleistungen und Handel zu finden. Darum ist diese Branche stark von Entlassungen oder Unternehmensschließungen betroffen. Die Leidtragenden sind laut Prokop Menschen in prekären Jobs und infolgedessen Familien mit Kindern, die zu den unteren Gesellschaftsschichten gehören.

Neue Mittelschicht

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Das scheint den Erfahrungen der jüngeren Geschichte zu entsprechen, nach denen von Krisen zumeist die wohlhabenden Bevölkerungsgruppen profitieren: Die Reichen werden reicher, und die Armen werden ärmer. In der aktuellen Lage gelte dies allerdings nur bedingt, sagt Prokop:

„Vergangene Krisen haben sich zumeist negativ auf traditionelle Berufe ausgewirkt, weil die Industrieproduktion zurückging. Jetzt leiden eher die prekär Angestellten im Dienstleistungsbereich. Das ist eine andere Form der unteren Mittelschicht, deren Situation sich gerade verschlechtert.“

Prag in Corona-Zeiten  (Foto: ivabalk,  Pixabay / CC0)

Dabei gibt es durchaus regionale Unterschiede. Gebiete, die vom Tourismus abhängig sind, erleiden derzeit große Verluste. Dazu würden Prag als reichste Region Tschechiens, aber auch wesentlich ärmere Gegenden gehören, erläutert der Soziologe:

„Da kommen mehrere Faktoren zusammen. In den ärmeren Regionen gibt es mehr Menschen, die erzwungenermaßen in prekären Positionen arbeiten. Da dort viele Menschen schwarz bezahlt werden, haben es die Arbeitgeber leicht, sich dieser nicht offiziellen Ausgaben schnell zu entledigen. In Kombination mit einer starken Tourismusbranche und einer vom Dienstleistungs- und Handelssektor abhängigen Wirtschaft sind diese Regionen stärker von der Krise betroffen.“

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Längerfristige ökonomische Folgen werden demnach also die größeren Städte sowie einige Randregionen ertragen müssen. Für ganz Tschechien gilt aber ein weiterer Aspekt:

„Zu einem Nebeneffekt der Krise kann es kommen, wenn den Menschen bewusst wird, dass die Talfahrt nicht in ein paar Monaten überstanden ist, sondern mindestens noch ein halbes Jahr dauern wird. Dann fangen sie nämlich an zu sparen. Dadurch sinkt die einheimische Nachfrage, Produktion und Absatz gehen zurück. Damit greift die Krise auch auf andere Wirtschaftszweige über als nur auf Handel und Dienstleistungen. In dem Moment wird eine vorausschauende, vernünftige politische Strategie wichtig, aber die haben wir leider nicht.“

Geringere Bereitschaft, Lebensgewohnheiten einzuschränken

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Weiter zeigt die Studie „Leben in der Pandemie“, dass das Krisenmanagement der Regierung von vielen Menschen als unzureichend wahrgenommen wird und zu einer zunehmend pessimistischen Stimmung in der Bevölkerung beiträgt. Während der ersten Corona-Welle im Frühjahr herrschte bei den Einwohnern Tschechiens noch die Zuversicht vor, die Krise gemeinsam und mit Disziplin überwinden zu können. Prokops Umfragen haben ergeben, dass bei jenen Menschen, die jetzt mit wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen haben, Depressionen und Angstzustände zunehmen. Damit sei zum Jahresende ein allgemein herrschender Unmut einhergegangen:

„Das Ausmaß der Sorgen hat Ende Oktober, Anfang November wieder das Niveau vom Frühjahr erreicht. Diesmal hat aber das Verhalten der Menschen der Lage nicht entsprochen. Die unklare Kommunikation darüber, was zu tun ist und was die Leute vor der Epidemie schützt, führte dazu, dass die Menschen sich zwar Sorgen machten, aber ihr Verhalten nicht unbedingt änderten. Im Unterschied zum Frühjahr etwa sind viele weiterhin zur Arbeit gegangen.“

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Im Herbst und während des zweiten Lockdowns war die Bereitschaft der Menschen nicht mehr so hoch, ihre Freiheiten und Lebensgewohnheiten einzuschränken. Dennoch ist auch jetzt noch oft die Rede von einer Solidaritätswelle. Im Frühjahr wurden Masken genäht und Nachbarschaftshilfe betrieben, zur Adventszeit gab es spontane Geschenke für medizinisches und Pflegepersonal sowie eine erhöhte Spendenbereitschaft. Diese gegenseitige Unterstützung sehen die Menschen hierzulande aber eher als Eigeninitiative und grenzen sie bewusst von der politischen Sphäre ab. Prokop kennt die Gründe dafür:

„Vom Staat geht keine Motivation aus. Er bringt die Menschen nicht dazu, sich testen zu lassen beziehungsweise die Quarantäne einzuhalten. Er überzeugt auch die Arbeitgeber nicht davon, ihre Angestellten regelmäßig testen zu lassen. Dadurch wird er immer mehr zu einem verwirrten repressiven Organ, und damit sinkt die Bereitschaft in der Bevölkerung, mit ihm zusammenzuarbeiten und die Maßnahmen einzuhalten. Ein positiver, motivierender Impuls wäre aber ausschlaggebend für die Überwindung des Pessimismus.“

Mehr Privatinsolvenzen

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Das Misstrauen in die Fähigkeiten der politischen Führung könnte auch über die Corona-Krise hinaus Wirkung zeigen. Die nächsten Abgeordnetenhauswahlen stehen Anfang Oktober an. Ausschlaggebend für das Abschneiden der Regierungsparteien wird unter anderem der Erfolg der gerade angelaufenen Impfkampagne sein. Auch im wirtschaftlichen Bereich werden die Folgen der Pandemie noch lange zu spüren sein. Hierzu verweist Prokop auf die gerade in Kraft getretene Steuerreform. Sie benachteiligt nach seiner Einschätzung ebenfalls die Geringverdiener:

„Die Krise hat viele blinde Flecken aufgedeckt. Sie hat gezeigt, welch großes Problem die Besteuerung von Teilzeitstellen und Geringverdienern darstellt. Sie hat viele Menschen ihre stabilen Arbeitsverhältnisse gekostet, diese sind in der Epidemie verloren gegangen. Zehntausende von Menschen werden in diesem Jahr Probleme bekommen, ihre Kredite abzuzahlen, die am Beginn der Krise noch ausgesetzt wurden. Es ist also ein Anstieg bei den Privatinsolvenzen zu befürchten, auch wenn noch nicht klar ist, wie hoch er ausfallen wird.“

Illustrationsfoto: CafeCredit.com,  Flickr,  CC BY 2.0

Das Problem verschuldeter Privathaushalte bestand schon vor der Krise. Prokop führt an, dass derzeit 720.000 Menschen im Land von Pfändungen betroffen sind – und das nach zuletzt sechs Jahren wirtschaftlichen Aufschwungs. Da diese Zeit von der Politik nicht genutzt wurde, um das Problem an der Wurzel zu packen, sieht der Soziologe in der aktuellen Krisenlage dafür erst recht wenig Hoffnung:

„Diese Fakten weisen darauf hin, dass die politischen Repräsentanten nicht fähig sind, vorausschauend zu agieren. Es findet keine Analyse statt, und drängende Probleme, die seit 20 Jahren bestehen, werden nicht beseitigt. Die aktuelle Einkommenssteuer-Reform ist nur ein typischer Beweis dafür. Sie berücksichtigt nicht die Situation der Teilzeitbeschäftigten und die verpflichtenden Steuervorauszahlungen. Sie hilft gerade nicht den untersten Schichten. Abgesehen davon ist die Reform sehr teuer. Sie könnte eine weitere Änderung in Richtung einer Öko-Verbrauchssteuer blockieren. Das Steuersystem ist überholt, am meisten belastet werden arme Menschen. Für sie müsste die Einkommenssteuer eigentlich gesenkt werden, doch das ist nicht passiert.“

Finanzministerium | Foto: Filip Jandourek,  Archiv des Tschechischen Rundfunks

Nicht nur Soziologe Prokop vermisst bei den politischen Strategien die Weitsicht. Diese Kritik wird der Regierung auch bezüglich der Corona-Pandemie immer wieder entgegengebracht. Tatsächlich beruht ihr Krisenmanagement auf millionenschweren Staatsschulden. Zu den rund 380 Milliarden Kronen (14,5 Milliarden Euro), die das Finanzministerium als Haushaltsdefizit für das abgeschlossenen Jahr 2020 vermeldet, kommt ein weiteres geplantes Minus 320 Milliarden Kronen (12,2 Milliarden Euro) im Etat 2021 hinzu. Ob das wirklich reicht, um langfristige negative Folgen der Corona-Krise in Tschechien abzuwehren, und ob es diesbezüglich ein nachhaltiges Tilgungskonzept gibt, wird sich wohl erst in den kommenden Jahren zeigen.