Das Beste aus beiden Welten - zwei Jahre Tschechisch-deutscher Kindergarten

Tschechisch-deutscher Kindergarten (Foto: Anne Lungova)

Was macht man als deutsches-tschechisch Elternpaar in Prag, wenn man für den kleinen Sohn kein zweisprachiges Betreuungsangebot findet? Man gründet einfach selbst einen Kindergarten. So hat es jedenfalls Dieter Kern, von Hause aus Unternehmensberater, getan. Gut zwanzig Kinder besuchen inzwischen den Tschechisch-deutsche Kindergarten in Prag, der in diesem Monat sein zweijähriges Bestehen feiert. Mit Dieter Kern sprach Thomas Kirschner.

Herr Kern, den Tschechisch-deutschen Kindergarten in Prag gibt es nun schon seit zwei Jahren. Fast könnte man also sagen, die erste Generation der Kinder hat den Kindergarten schon durchlaufen. Wenn Sie zurückschauen auf diese zwei Jahre: was war das für Sie für eine Zeit?

"Es war vor allem eine sehr interessante Zeit. Das Kindergartenprojekt ist eine reine Privatinitiative, entstanden aus dem Willen zweier Elternpaare, für ihre Kinder eine zweisprachige Erziehung sicherzustellen. Wir haben damals, das heißt im Jahr 2004, nicht adäquates in Prag finden können, und so habe ich meine Kollegin und heutige Mitinhaberin des Kindergartens überzeugen können, dass wir eben einen eigenen Kindergarten gründen. So einfach war der Anfang, und natürlich haben wir dabei die Probleme, die man bei der Gründung eines Kindergartens hat, einigermaßen unterschätzt."

Welche Schwierigkeiten sind Ihnen denn in den Weg gekommen?

Problematisch waren am Anfang die Versuche, mit tschechischen Kindergärten zu kooperieren. Das hat nicht sehr gut funktioniert, wie ich leider sagen muss. Wir haben uns dann auf die mühsame Suche nach einer eigen Immobilie gemacht, was auch sehr schwierig war. Insgesamt mussten wir so in der Vorbereitungszeit etwa ein Jahr an unbezahlter Arbeit in den Kindergarten stecken. Dazu kamen natürlich noch die Anfangsinvestitionen. Da war ich vielleicht auch etwas blauäugig in der Annahme, dass uns eventuell die Bundesregierung unterstützen würde, oder die Botschaft oder irgendein Fonds. Wir haben gar nichts bekommen - der Kindergarten ist wirklich zu einhundert Prozent privat finanziert."

Welche Eltern und Familien haben Sie in den zwei Jahren ansprechen können? Sind das immer nur gemischte Familien, oder gibt es hier auch andere Kinder?

"Wir sind wirklich bunt durchmischt. Natürlich sind hier Kinder von tschechisch-deutschen Paaren, aber auch kroatische, französische und österreichische Kinder. Wir hatten hier auch das Kind eines berühmten Prager Künstlers aus einer rein tschechischen Familie. Der ist mit seinem Kind hierein gekommen und hat gesagt: Ihr Kindergarten gefällt mir, Sie gefallen mir auch - hier ist das Geld! Das ist also ganz bunt gemischt, und im Laufe der Zeit erlebt man damit auch ganz witzige Situationen."

Wie reagieren denn die Kinder, gerade die, die nicht aus tschechisch-deutschen Familien kommen, auf die anderen Sprachen? Überwiegt da Scheu oder Neugier?

Es ist so, dass Kinder überhaupt keine Scheu haben. Im Gegenteil - sie sind sehr neugierig, wenn Sie einen unbekannten Klang hören. Wir haben die Sprachen durch das Betreuungskonzept konsequent getrennt. Das heißt: vormittags wird bei uns nur Deutsch gesprochen, und zwar von Muttersprachlern - wir haben Erzieherinnen und Pädagoginnen aus Deutschland für den Kindergarten gewinnen können. Und am Nachmittag wird dann konsequent Tschechisch gesprochen. Die Kinder, die den ganzen Tag bei uns sind, hören dann eben einige Stunden die eine und einige Stunden die andere Sprache. In der wissenschaftlichen Literatur heißt das ´Immersionsansatz´, das heißt, die Kinder lernen nicht aktiv, müssen sich also nicht hinsetzen und Vokabeln und Grammatik lernen, sondern sie lernen ganz spielerisch - man nennt das auch ´doppelten Muttersprachenerwerb´. Man muss dabei allerdings darauf achten, dass die Erzieher das wirklich konsequent durchhalten und nur eine Sprache, nämlich ihre eigene Muttersprache sprechen."

Tschechisch-deutscher Kindergarten  (Foto: Corinne Plaga)
Nun macht ja auch einen zweisprachigen Kindergarten nicht nur die Sprache aus, sondern auch die Erziehungskonzepte, die angewendet werden. Und in dieser Sicht ist Tschechien immer noch um einiges konservativer, traditioneller und wohl auch autoritärer als Deutschland. Wie kommen Sie und wie kommen Kinder und Eltern mit dieser kulturellen Diskrepanz zurecht?

"Wir versuchen, aus beiden Welten das Beste hier in den Kindergarten zu integrieren. Wir haben keinen reinen Ansatz, so dass wir sagen würden, wir sind ein Montessori-Kindergarten, wir arbeiten nach der Situationspädagogik oder ähnliches. Wir lassen uns vielmehr inspirieren von den aktuellen und den bewährten Konzepten und setzten das hier in der Teamarbeit um und werden damit, glaube ich, den einzelnen Kinder wirklich gerecht. Die Kinder haben hier die richtige Mischung aus Anleitung, Struktur und Ordnung einerseits und andererseits natürlich auch aus Kindsein und Ausprobieren. Hier sind wir zum Beispiel in unserem Malraum. Da kleben wir ab und zu einmal den ganzen Boden ab, laden von außen Künstler ein, und die machen dann mit den Kindern kleine Kunst-Happenings. Danach sieht es dann hier natürlich auch entsprechend wild aus. Aber es ist sehr wichtig, dass das Kind seine Kreativität auch ausleben kann. Das wollen wir aktiv fördern."

Gibt es einen Unterschied in den Ansprüchen und Erwartungen von tschechischen und deutschen Kindern oder von tschechischen und deutschen Eltern?

"Die Ansprüche sind durch die Bank bei den deutschen Eltern sicher höher. Wir sind, wie erwähnt, darauf angewiesen, alle Kosten aus dem gebühren der Eltern zu zahlen, wir bekommen auch heute keinerlei Zuschüsse. Da sagen die Eltern dann natürlich zu Recht: Ich bezahle hier einen relativ hohen Preis, und ich wünsche, dass mein Kind individuell sehr gut betreut wird. Das ist natürlich völlig berechtigt. Manchmal aber versuchen die Eltern auch auf die Gestaltung der Abläufe Einfluss zu nehmen, und da muss man sie dann etwas bremsen. Unsere tschechischen Eltern sind durch die Bank sehr begeistert von dem Kindergarten, und es gibt immer wieder Kommentare in der Richtung: So etwas haben wir noch nicht gesehen - so etwas gibt es bei uns sonst gar nicht."

Sie haben es bereits deutlich gemacht: Ihr Kindergarten möchte auf keinen Fall nur eine Kinderverwahranstalt sein. Es gibt eine Menge Sonderaktionen und Projekte mit den Kleinen. Was haben Sie für die nächste Zeit geplant?

Augsburger Puppenkiste  (Foto: André Plaul)
Ich möchte zunächst noch einen Blick zurück werfen: Im letzten Jahr waren wir sehr stolz darauf, dass wir es geschafft haben, die Augsburger Puppenkiste hier nach Prag zu holen. Es ist ja nicht selbstverständlich, dass die bekannteste deutsche Puppenbühne zu so einem kleinen Kindergarten wie unserem kommt. Darauf waren wir sehr stolz! Was haben wir im Weiteren vor? Im Moment läuft ein Projekt, das sich ´Ente auf Reisen´ nennt. Unser Symbol ist die kleine Spielzeugente, und um den Kindern spielerisch zu erklären, wie groß und schön die Welt ist, wie viele Kulturen es gibt, was die Leute unterschiedliches tun, wie unterschiedlich sie aussehen - um den Kindern das zu erklären, haben wir zu Partnern in der ganzen Welt Spielzeugenten verschickt, und die kommen nach und nach wieder zurück. Erstaunlicherweise sind die Enten, die den weitesten Weg haben, als erste wieder da - wir warten noch auf unsere Enten aus Wien, aber die Enten von einer deutschen Forschungsstation am Südpol haben wir schon wiederbekommen, und auch die aus Tokio und anderen Städten. Es macht Spaß, wenn man Fotos geschickt bekommt, etwa aus Neuseeland, und man kann den Kindern dann erklären, wie die Menschen dort leben, wie sie aussehen, welche Sprache sie sprechen, was sie essen, wie die Kinder spielen und so weiter. Das ist also ein sehr schönes, nicht sehr aufwändiges Projekt, das wir sicher noch das ganze Kindergartenjahr fortsetzen werden."

Kindergärtner, Sie haben es erwähnt, ist alles andere als ihr eigentlicher Beruf. Was bedeutet dieser überraschende und besondere Knick in der Biographie für Ihr Leben hier in Prag? Hat sich dadurch etwas verändert?

Tschechisch-deutscher Kindergarten  (Foto: Corinne Plaga)
Es hat sich sehr viel verändert. 1996 bis 2002 war ich in Tschechien als Unternehmensberater tätig und musste mir immer sehr viel einfallen lassen, um auf meine Dienstleistungen hinzuweisen. Seitdem ich den Kindergarten habe, bin ich in Prag erstaunlicherweise bekannt wie ein bunter Hund. Und wenn ich bei Botschaftsempfängen am Revers mein Kärtchen mit der bunten Spielzeugente habe, dann fällt das natürlich auf, und man kommt auch mit Industriellen oder Vertretern großer Firmen sehr leicht ins Gespräch. Mittlerweile bin ich über den Kindergarten einfach sehr bekannt geworden - das ist ein Effekt, mit dem ich überhaupt nicht gerechnet hatte. Inzwischen bekomme ich sogar Anfragen aus Deutschland - ich sei doch der Experte für internationale Kindergärten, ob ich nicht einen Vortrag halten könnte... Das Ganze entwickelt eine Eigendynamik, die mich sehr überrascht hat, aber die mir natürlich auch sehr gut gefällt."

Die Zeit vergeht rasend schnell - in ein paar Jahren kommt ihr Sohn bereits in die Schule. Planen Sie auch schon eine tschechisch-deutsche Grundschule?

"Natürlich - schön, dass Sie es ansprechen! Ich hatte heute Morgen ein Gespräch mit der Direktorin einer Grundschule in Prag-Chodov. Dort wird bereits Deutschunterricht angeboten, normalerweise aber erst ab der dritten Klasse. Mit der Direktorin habe ich nun vereinbart, dass wir im kommenden Jahr eine deutsch-tschechische Grundschulklasse aufmachen, wenn ich bis dahin genügend Kinder und Eltern dafür zusammenbekomme. Und das sieht im Moment sehr gut aus: Wir brauchen 15 Kinder, um eine Klassen füllen zu können, und derzeit habe ich bereits acht Kinder an der Hand. Das sollte also gelingen, das bis zum kommenden Januar oder Februar noch aufzufüllen. Und das wird dann Projekt zwei!"

Herr Kern, vielen Dank für das Gespräch und alles Gute für Ihre weiteren Vorhaben!