„Davon waren die Bullen völlig fertig“ – Punk im Ostblock

„Protestbewegung von Jugendlichen mit bewusst rüdem, exaltiertem Auftreten und bewusst auffallender Aufmachung.“ Das steht im Duden unter dem Schlagwort „Punk“. Und so traten die Angehörigen dieser Bewegung, die Punks, vor allem in den achtziger Jahren im Stadtbild westeuropäischer Städte in Erscheinung. Doch nicht nur dort. Auch in den Ländern des ehemaligen Ostblocks etablierte sich seit dem Ende der siebziger Jahre trotz aller Repressionen eine rege Punksszene. Dem Phänomen „Punk“ in den kommunistischen Ländern DDR und Tschechoslowakei widmete sich eine Veranstaltung des Collegium Bohemicum in Ústí nad Labem.

Der Punk als Musikrichtung, die den Dilettantismus zum Stilmittel erhob und auch textlich einen Gegenentwurf zum kulturellen Establishment lieferte, war auch gesellschaftliches Phänomen. Das war so im Westen. Und das war auch so im Osten, wie der Film „Ostpunk – Too much future“ exemplarisch für die Punkszene der DDR zeigte. Den Dokumentarfilm, der 2007 in den deutschen Kinos lief, zeigte das Collegium Bohemicum nun in Ústí nad Labem.

„Raus zu kommen aus diesem verklemmten Elternhaus, aus dieser verklemmten Situation, in der meine Mutter lebte. Und endlich frei und dann auch noch jugendlich. Ist doch völlig klar, dass da erstmal nur Spaß dran ist.“

So beschreibt im Film die ehemalige Schlagzeugerin einer DDR-Punkband die Anfänge ihrer Punkerzeit. Rebellion gegen das Elternhaus, Spaß haben: so weit unterschied sich die Motivation der Punks im Osten also kaum von der vieler Punks im Westen. Für eine ganze Reihe Punks in der DDR endete der Spaß aber mit Gefängnis oder der plötzlichen Einberufung in die Armee. Das Regime ging mit äußerster Härte gegen die Punkbewegung vor. Von ähnlichen Repressionen konnten auch einige der Zuschauer im Kinosaal in Ústí berichten. Denn anwesend bei der Filmvorführung waren auch ehemalige Punks aus der tschechoslowakischen Szene, die dem Filmpublikum anschließend Rede und Antwort standen. Mikoláš Chadima, heute Mitte 40 und in Aussehen und Auftreten immer noch eher alternativ, ist einer von ihnen:

„Die Repressionen gegen neue Jugendbewegungen haben sich seit dem Jahr 1948 eigentlich in jeder Generation wiederholt. Erst kam der Jazz, dann gewöhnten sie sich an den Jazz. Es kam der Rock n’ Roll, und sie begannen den Rock n Roll zu unterdrücken. Dann kamen die Langhaarigen, sie begannen die Langhaarigen zu unterdrücken. Ich habe das zweimal durchgemacht. Zuerst als Langhaariger, dann als Punk. Kaum waren wir Punks, hatten sie sich an die Langhaarigen gewöhnt. Die Punks waren am schlimmsten. Davon müssen die Bullen völlig fertig gewesen sein.“

Es gehörte zu den Strategien der kommunistischen Regime, sämtliche Musikrichtungen und die mit ihnen verbundene Mode als westliche Dekadenz abzutun oder – wenn das nicht möglich war – populäre Phänomene zu einem gewissen Grad sozialistisch „umzukodieren“. Mit dem Punk, dem überall die Schlagworte „Anarchie“ und „Staatsfeind“ anhafteten, war das nicht möglich. Vielleicht gerade deshalb erschien der Punk den kommunistischen Regimes trotz seiner vergleichsweise wenigen Anhänger so gefährlich. Im Westen hatten die jugendlichen viele Alternativen ihren Protest auszudrücken. Für die rebellierenden Jugendlichen im Ostblock stellte sich der Punk oft als letzte, radikalste Form des Protestes dar, als alle anderen Formen der Auflehnung gegen das System versagt hatten. Das bestätigt auch Chadima, der eigentlich aus einer ganz anderen Musikrichtung kam:

„Wir alle haben uns damals illegal in der Jazz-Sektion, einer Untergrundgruppierung, getroffen. Über einen Bekannten habe ich dort den Punk kennen gelernt. Er war 1978 in London gewesen und hat von dort die ersten Punkplatten mitgebracht. Ich habe die Sex Pistols gehört und habe mir gesagt: Das ist es! Das will ich versuchen. In der Parteizeitung erschien dann ein Artikel über Punks. Und wie die aussahen. Ich habe mir gesagt: Super! Das müssen wir auch machen, damit die Leuten merken, was das für eine Musik ist.“

So wie die Repressionen war auch die Punk-Musik in beiden Ländern, der DDR und der ČSSR, ähnlich. In ihrer Anti-Mode und ihrer Musik waren die Szenen in den kommunistischen Ländern eben vor allem aus England beeinflusst. Dabei konnten sich die Punks in der DDR auch über Westfernsehen und Westradio informieren, was auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs vor sich ging. In den westlichen Ländern wurde der Punk sehr schnell als Modebewegung auch kommerziell vereinnahmt. Er konnte sich dort in großen Teilen als explizit anti- oder apolitisch geben. Im Osten hingegen hatte das Punk-Sein aufgrund der gesellschaftlichen Zustände von vornherein eine politische Stoßrichtung. Auch wenn das viele Punks in der ČSSR nicht wahrhaben wollten, wie sich Mikoláš Chadima noch im Nachhinein wundert:

„Die Punks bei uns waren viel braver und eigentlich in ihrer Haltung nicht so politisch wie die in der DDR. Die glaubten eher, dass wir, die Älteren aus der Szene, Spinner sind, weil wir uns in die Politik einmischten. Sie wollten eben bloß Spaß haben. Dabei reichte es ja schon aus, dass sie ein Bulle ansah und sofort die Kontra-Revolution witterte. Sie glaubten, sie seien unpolitisch, aber die Polizei hatte sie alle auf dem Kieker. Zur Polizei mussten alle.“

Wer oder was war der „echte“ Punk? Das war im Westen wie im Osten eine Glaubensfrage. Und dabei gab es hüben wie drüben nicht nur ideologische sondern auch regionale Rivalitäten. Milan „Fred“ Pištěk, ein alter Punk-Recke, mittlerweile mit langer, grauer Mähne, spricht noch heute mit Schmunzeln aber doch voller Überzeugung davon:

„Einen großen Teil der Arbeit machte hier in der ČSSR Petr Růžička aus Teplice, der Pate des tschechischen Punks. Er hatte einen Bruder in Westberlin, von dem er viel Material nach Hause geschmuggelt hat, das unter uns kursierte. In Teplice entstand dann die Band FPB, „Forth Prized Band“. Ich würde sagen, den ‚echten’ Punk gab es bei uns in Teplice.“

Mikoláš Chadima
Die geschmuggelten Aufnahmen von den Größen der Punkbewegung, vor allem von den Sex Pistols aus London, waren etwas wonach sich die Punks in der DDR und in der ČSSR alle Finger leckten. Kontakte bestanden allerdings zwischen den Szenen in den verschiedenen kommunistischen Ländern nicht oder kaum, erinnert sich Mikoláš Chadima:

„Das Regime hat natürlich sehr darauf geachtet, dass die sich nicht zusammentaten. Also Kontakte gab es nach Polen und nach Ungarn. Diese Szenen waren allerdings total unterschiedlich auch vom Alter her, so dass es eigentlich keine Kontakte zwischen Bands gab. Viele wussten auch gar nicht so genau, was zum Beispiel in der DDR vor sich ging. Im Gegenteil, die sagten: ‚Wenn es doch bei uns wäre wie in der DDR!’ Denn dort ließ man einige Bands sogar auftreten. Im Film wurde aber über die Infiltrierung durch Stasispitzel gesprochen. Ich glaube, dass sie das auch bei uns mit ein paar Punkbands gemacht haben. Mit denen, die brav waren. Die ließen sie auftreten, um die jungen Leute vom ‚echten’ Punk weg zu bringen.“

Mit und ohne das Zutun der Staatsmacht. Viele der Punkbands aus dem ehemaligen Ostblock entwickelten sich weiter und begannen sich stilistisch umzuorientieren. Dann kam die Wende. Die Musiker zerstreuten sich in alle Himmels- und Berufsrichtungen. Ein wenig Nostalgie bleibt bei einigen. Bei anderen aber sicher auch das Trauma der Verfolgung durch den Staat, wovon man sich etwa im Film „Ostpunk“ überzeugen kann. Mikoláš Chadima ist der Musik treu geblieben und macht mit seiner MCH-Band heute eher psychedelischen Rock.