„Der gesündeste Sauerbrunn“ – Geschichte der Kurstadt Luhačovice, Teil II
Luhačovice ist der größte mährische Kurort und viertgrößte landesweit. Nach den Jahren der Stagnation erlebte er zu Beginn des 20. Jahrhunderts einen neuen Aufschwung. Ausschlaggebend wurde ein Eigentümerwechsel. Nach über 200 Jahren verkaufte die Adelsfamilie Serenyi das inzwischen durch seine Mineralquellen bekannte Kurbad an eine Aktiengesellschaft. Damit erhielt es erstmals einen tschechischen Besitzer. Hier nun die zweite Folge unserer kleinen Geschichte der Kurstadt Luhačovice.
Im Jahr 1900 schrieb Veselý rund 2000 tschechische Ärzte an mit der Aufforderung, eine Aktiengesellschaft zum Kauf von Luhačovice zu gründen. Zudem tourte er durchs Land, um Ärzte auch persönlich anzusprechen. Die Resonanz war allerdings eher gering. Im folgenden Jahr wandte er sich in derselben Angelegenheit mit einem Brief an Sparkassen, Lehrer, Beamte, Apotheker, Geschäftsleute, Geistliche, Rechtsanwälte, Notare und viele weitere. 1902 klappte es dann doch. Veselýs Freunde im Klub der Kunstfreunde im südmährischen Brünn entflammten für das Projekt. Blanka Petráková, Leiterin des Regionalmuseums und Kuratorin einer Ausstellung zur Geschichte des Kurwesens in Luhačovice:
„Sie setzten sich zum Ziel, aus Luhačovice ein Kulturzentrum slawischer Völker zu machen. Die Idee war getragen vom zunehmend freundschaftlichen Verhältnis zwischen Tschechen und Slowaken sowie Angehörigen weiterer slawischer Völker. Sie zog viele Menschen auch aus Prag und anderen großen Städten des Landes an. In jeder Kursaison kam in Luhačovice eine interessante Gesellschaft von Menschen zusammen. Allen voran waren es Künstler – so zum Beispiel Schriftsteller, Dichter, Komponisten und Bildhauer. Und sie gehörten in der Tat zur Elite der tschechischen Nation.“Rekordmann unter ihnen war bestimmt der Komponist Leoš Janáček: Seit seinem 50. Lebensjahr weilte er insgesamt 23 Mal in Luhačovice.
Hasskampagne gegen den Architekten
1903 gelang es František Veselý, den slowakischen Architekten Dušan Jurkovič für eine Zusammenarbeit zu gewinnen. Der in Brünn niedergelassene Jurkovič hatte sich damals einen Namen gemacht mit dem Projekt von Bergbauden am Hang der Beskiden. Blanka Petráková:„Jurkovič arbeitete nur zwei Jahre für die Aktiengesellschaft. In der kurzen Zeit entstanden in Luhačovice aber 15 Bauten nach seinem Entwurf. Acht sind bis heute erhalten. Viele weitere Projekte von ihm wurden allerdings nicht mehr realisiert. Am Ausbau des Kurorts wollten sich auch andere Architekten beteiligen. Deswegen wurden Ausschreibungen gemacht, bei denen Jurkovič aber erfolglos blieb. Da er in Luhačovice keine Chance mehr für sich sah, verließ er die Stadt früher als vorgesehen. Ich persönlich gehöre zu jenen, die dies schade finden. Man hätte ihm ermöglichen sollen, den Kurort nach seinen Vorstellungen zu prägen.“
Die nicht verwirklichten Bauentwürfe von Jurkovič aus den Jahren 1903 bis 1913 hätten Weltniveau gehabt, findet Petráková. Ihren Worten nach wurde sogar eine Hasskampagne gegen den Architekten losgetreten – und damit auch gegen František Veselý, den Vorsitzenden der Luhačovice AG.Veselý kümmerte sich dabei von Anfang an mit hohem Engagement um den Kurort. Er ließ renovieren, neue Gebäude anlegen, weitere Mineralquellen erschließen und neue Heilmethoden einführen. Veselý propagierte den Kurort im In- und Ausland in Vorträgen und Artikeln. Obwohl er bahnbrechende Ideen hatte, stieß er letztlich nicht auf Verständnis. Verbittert und enttäuscht verließ er nach sieben Jahren seine Lieblingsstadt.
František Veselý habe aber er vieles hinterlassen, was zum Fundament wurde für die weitere Entwicklung des Kurwesens im Ort, sagt Museumsleiterin Petráková:„1902 wurde hier der Weg zur modernen Naturheilkunde eingeschlagen. Ebenso wie bei den Mineralquellen setzte man auf die positive Wirkung der frischen Luft sowie der umliegenden Natur. Im Institut für Hydrotherapie wurden den Patienten zum Beispiel Hydromassagen, schottische Duschen, Wickel, Kompressen, Packungen und vieles mehr angeboten. Vieles davon kannte übrigens schon Vincenz Priessnitz. Die methodische Anwendung von Wasser wurde noch durch Flussbäder sowie Sonnenbäder in Liegestühlen auf einer Terrasse ergänzt. Das tolle Gesundheitsareal ist im Übrigen nach einem Entwurf von Dušan Jurkovič erbaut.“
Fitnessprogramm „Luftfahrt“
Doch das war bei weitem nicht alles. 1906 begann man in Luhačovice mit der der sogenannten „Vzduchoplavba“. Wörtlich heißt das „Luftfahrt“. Gemeint war eine Art Fitnessprogramm.„Das Motto lautete: ‚Wir öffnen uns für Luft, Wasser und Sonne, wir entblößen den Körper.‘ Dabei wurde aber strikt beachtet, dass jeder nur entsprechend seinen Möglichkeiten und Fähigkeiten aktiv wurde, ohne den Körper zu überfordern. Es gehe nicht um Wettkämpfe mit Hochleistungen, hieß es, jedoch ums regelmäßige Turnen, womöglich jeden Tag und unter freiem Himmel. Hierzu diente eine Waldlichtung, auf der man in einem Kleidungsstück vom Typ Badeanzug turnen konnte. Der Körper sollte nicht nur mit der Lunge, sondern auch durch die Haut atmen.“
Der Autor des „Luftfahrt“-Programms war der Gymnasiallehrer Jan Svozil im mährischen Prostějov / Proßnitz:„Diese heilende Körpergymnastik wurde auch nach dem Turnlehrer mit langer Berufspraxis benannt. Er konnte die positiven Effekte der Turnübungen auch mit wissenschaftlichen Untersuchungen untermauern. Konkret durch die Messungen der Vitalkapazität der Lunge mithilfe der sogenannten Spirometrie, die er zehn Jahre lang an vielen Patienten durchgeführt hatte. Dass seine Methode in Luhačovice Erfolg hatte hängt meiner Meinung nach auch mit der positiven Atmosphäre dort zusammen.“
Die Körpergymnastik war dabei mit viel Humor verbunden:„In den Pausen wurden Witze und komische Geschichten erzählt, sogar auch Märchen. Man ging auch gemeinsam spazieren oder unternahm Wanderungen. Die ‚Luftgymnasten‘ hatten einen Chor und ein kleines Orchester. Für das Mitmachen galten bestimmte Regeln. Wenn jemand zum ersten Mal teilnahm, wurde zunächst sein Bauchumfang gemessen. Diejenigen, die einen besonders dicken Bauch hatten, mussten in den ersten Reihen stehen. Man blies eine Fanfare, einen speziellen Gruß, und es gab auch eine Hymne. Kurzum, es war eine Verbindung von Körper und Geist nach dem Vorbild der Antike. Jan Svozil achtete sehr darauf, dass beides ausgewogen war.“
Frauen und Männer streiten um Badezeiten
In den ersten Jahren nahmen allerdings nur Männer und Kinder an der „Vzduchoplavba“ teil. Für Frauen galt Turnen als unschicklich. Und selbst sahen sie das meist auch so.„In diesem Fall waren die Frauen meiner Ansicht nach dankbar dafür. Sie mussten ja zunächst Mut fassen, um in der Öffentlichkeit zu turnen. Unter den damaligen ethischen Normen handelte es sich um eine delikate Angelegenheit. Denn von ihnen wäre erwartet worden, sich aus ihrem engen Korsett zu befreien und den Körpern die Bewegung genießen zu lassen. Nach vier Jahren änderte sich dies aber. Anfangs waren es allerdings nur wenige Frauen, die es wagten. Sie turnten natürlich ausschließlich mit weiblichen Turnlehrerinnen und außerdem zu anderen Zeiten als die Männer. So blieb es bis 1920. In derselben Weise waren auch alle anderen Heilprozeduren organisiert. Bis 1910 war zum Beispiel das Flussbad vormittags den Frauen und nachmittags den Männern vorbehalten. Ebenso genoss man das Sonnenbad nur getrennt. Ich denke, dass es nach 1910 zu einem Protest von Seiten der weiblichen Klientel gekommen sein dürfte, obwohl sich dies nicht mit schriftlichen Dokumenten belegen lässt. Den Frauen wurde nämlich immer die ungünstigere Badezeit zugeteilt, wenn das Wasser im Schwimmbecken noch kalt war. Dann aber wurde das Schwimmbecken mit einer Trennwand in zwei Hälften geteilt, sodass Männer und Frauen zur selben Zeit und länger baden konnten.“
Nach Geschlechtern getrennte Gymnastik gab es bis 1920. Von Freizügigkeit, wie sie heutzutage am Strand und in den Badeanstalten herrscht, konnte damals natürlich keine Rede sein:„Wie Originalaufnahmen in unserem Museumsarchiv zeigen, turnten die Frauen zunächst in Unterwäsche, die dem Zweck einigermaßen angepasst war. Hierzu gehörten ein bis zu den Knöcheln reichender Unterrock und ein Oberteil, das sie über dem Korsett trugen. Später turnten sie im Badeanzug. Der Zweiteiler bestand aus einem langen Beinkleid und einem Oberteil mit langen beziehungsweise Dreiviertelärmeln und einem kürzeren, angenähten Rock. Nichtsdestotrotz war dies für die Frauen bequemer als das übliche Promenadenkleid.“
Die Entwicklung des Kurwesens verhalf auch der Stadt Luhačovice und ihrer Umgebung zu Reichtum. Neue Arbeitsplätze entstanden. Und in einem neuen Stadtviertel wurden repräsentative Villen gebaut, in denen viele Kurgäste ihr Sommerdomizil fanden. Auf Luhačovice wartete für einige Zeit eine helle Zukunft.