„In der Höhle des Löwen“ – Tschechen bei Olympia 1936 in Berlin

berlin_1936.jpg

Die Olympischen Spiele in Rio gehen an diesem Wochenende zu Ende. Es waren unruhige Spiele für einige Sportler, vor allem wegen der Diskussion um Doping. Vor 80 Jahren allerdings waren die Sorgen viel ernsterer Natur. Denn Olympia 1936 fand unter dem Hakenkreuz statt. Wie sich die Tschechoslowakei zu den Sommerspielen in Berlin gestellt hat, und wie die tschechischen Sportler sich in der damaligen Hauptstadt des Deutschen Reiches gefühlt haben, dazu im Folgenden mehr.

Schon 1916 hätte Berlin die Olympischen Spiele ausrichten sollen. Doch der Erste Weltkrieg verhinderte dies. Danach war Deutschland als Kriegsverursacher erst einmal von Olympia ausgeschlossen. 1930 kam dann die erneute Bewerbung, ein Jahr später machte Berlin das Rennen vor Barcelona – es waren die einzigen verbliebenen Kandidaten. Sporthistoriker František Kolář von der Prager Karlsuniversität erläutert:

„Ab Mitte der 1920er Jahre fanden auch Olympische Winterspiele statt. Man bemühte sich, diese Winterspiele in demselben Staat auszurichten, in dem auch die Sommerspiele stattfanden. Spanien hatte jedoch dafür nicht die gleichen Voraussetzungen wie Deutschland, das sein Wintersportzentrum in Garmisch-Patenkirchen anbot. Zudem versprachen die Deutschen, die Sportstätten so herzurichten, dass diese Überraschungen und Neuerungen böten.“

Volksfestspiele in Prag aus Protest gegen Berlin

Die Olympischen Spiele in Berlin,  1936,   (Foto: Bundesarchiv,  B 145 Bild-P017045 / Frankl,  A. / CC-BY-SA 3.0 Unported)
Doch in Deutschland ergreift Hitler in der Zwischenzeit die Macht. Seine aggressive Politik stößt auch die Weltgemeinschaft vor den Kopf: Austritt aus dem Völkerbund, Wiedereinführung der Wehrpflicht, Besetzung des demilitarisierten Rheinlandes – und vor allem die Judenverfolgung inklusive der Nürnberger Rassengesetze. Dies führt zu Protesten von einigen Mitgliedern des IOC. Zugleich entstehen Komitees zur Verlegung der Olympischen Spiele oder zur Verteidigung des olympischen Gedankens. Im September 1935 wird auch in der Tschechoslowakei ein solches Komitee gegründet. Diese Zusammenschlüsse sowie die Arbeitersportorganisationen unterstützen den Gedanken, in Barcelona eine Volksolympiade auszurichten. Wegen des Bürgerkriegs kommt diese aber nicht zustande.

„Prag bot in dem Moment seine helfende Hand an. Die Tschechoslowakei war stark vertreten in der sozialdemokratischen und der sozialistischen Arbeitersportbewegung. So kam es zu Volksfestspielen in Prag aus Protest gegen Olympia in Berlin. Die meisten Teilnehmer waren aus der Tschechoslowakei, aber ohne Beschränkung der ethnischen Zugehörigkeit – neben Tschechen und Slowaken also auch Deutsche. Daneben nahmen Spanier, Franzosen und US-Amerikaner teil. Auch die sowjetischen Sportler wollten kommen. Und es wäre das erste Mal gewesen, dass die Sowjetunion auf den olympischen Gedanken reagiert hätte. Letztlich erteilte die Tschechoslowakei den Sowjets aber keine Visa, und sie blieben zu Hause“, so Historiker Kolář.

Währenddessen fällt im tschechoslowakischen Olympischen Komitee die Entscheidung, doch nach Berlin zu fahren. Es ist IOC-Gründungmitglied Jiří Guth, der dafür wirbt, den Beteuerungen Hitlers und des deutschen NOK zu glauben. Diese versprechen faire Spiele.

Foto: Bundesarchiv,  Bild 146-1976-116-08A / CC-BY-SA 3.0 Unported
Als neues Element führen die Nationalsozialisten den Fackellauf ein, der das olympische Feuer aus dem griechischen Olympia an die Wettkampfstätten bringt. Obwohl Deutschland damit Propaganda betreibt, ermöglicht die Regierung in Prag auch den Weg über tschechischen Boden. Bei der eigenen Bevölkerung kommt das allerdings nicht gut an. František Kolář:

„Die Deutschen druckten Werbeplakate mit der Strecke für den Staffellauf. Die Tschechoslowakei war darauf ohne die Sudetengebiete abgebildet. Das führte hierzulande zu Missmut. Vergeblich wurde daher in der Tschechoslowakei nach Sportlern gesucht, die den Fackellauf absolvieren wollten. Letztlich erklärte sich der Leichtathletikverband dann doch bereit. Staatspräsident Edvard Beneš war auf seinem Sommersitz in Sezimovo Ústí. Er kam zur Straße, um die Läufer zu begrüßen. Und noch weitere tschechoslowakische Politiker unterstützten den Fackellauf.“

Turn-Gold an den Ringen – gegen die deutsche Übermacht

Alois Hudec,  Berlin,  1936  (Foto: ČT)
Am 1. August werden die Spiele schließlich eröffnet, und 162 Athleten aus der Tschechoslowakei sind dabei. Es ist das siebtgrößte Aufgebot unter allen 49 Nationen. Aus heutiger Sicht hält Sporthistoriker Kolář die Teilnahme tschechoslowakischer Athleten für die richtige Entscheidung:

„Obwohl selbst die Kampfrichter für die deutschen Sportler waren, mussten sie hinnehmen, dass die Tschechoslowakei drei Gold- und fünf Silbermedaillen errang. Und die Vorstellung des Turners Alois Hudec an den Ringen gilt bis heute als eine der besten, die jemals bei Olympia oder anderen Titelkämpfen gezeigt wurden.“

Im Turnen ist es ein Kampf vor allem gegen das deutsche Team. In den 1980er Jahren schilderte Alois Hudec im Tschechoslowakischen Rundfunk:

Alois Hudec,  Berlin,  1936  (Foto: ČT)
„Als ich sah, dass an einem Gerät nach dem anderen unsere Chancen zunichte gingen, habe ich mich auf die Ringe konzentriert. Um jeden Preis müssen wir es da schaffen, redete ich mir ein. Mein Kopf dröhnte, weil die Sonne so unerbärmlich brannte, das waren wir nicht gewöhnt. Und wir waren aufgebracht. Trotz der Aufregung musste ich auf Risiko gehen. In der Pflichtübung an den Ringen erzielte ich zunächst 9,4 Punkte. Ich sagte mir aber: Das wird nicht reichen für Gold. Deswegen bat ich um die Möglichkeit zur Korrektur. Das war riskant, denn in dem Fall wurde die erste Bewertung gestrichen. Ich bekam also die Erlaubnis zur Korrektur, ging an die Ringe und holte 9,6 Punkte. Damit hatte ich Olympia-Gold sicher.“

Die beiden anderen tschechoslowakischen Goldmedaillen gehen an die Rennkanuten – und zwar an den jeweiligen Zweier-Canadier über 10.000 Meter und über 1000 Meter.

„Wir kamen uns vor wie Gefangene“

Die Olympischen Spiele in Berlin,  1936,   (Foto: FORTEPAN / Lőrincze Judit,  CC BY-SA 3.0 Unported)
Doch besonders wohl fühlen sich die Sportler nicht in der Hauptstadt des nationalsozialistischen Deutschlands. Turner Alois Hudec:

Wir waren schon mit dem Gefühl aufgebrochen, dass wir in die Höhle des Löwen fahren. Denn damals wurde bereits sehr feindselig gegen die Tschechoslowakei agitiert. Als wir dann nach Berlin kamen, trafen wir auf ein einziges Meer an Hakenkreuzen und Flaggen. Das war erschütternd. Man sah überall Militärtrupps marschieren, die Soldaten trugen Schaufeln, weil ihnen noch keine Gewehre erlaubt waren. Auf den ersten Blick war aber klar, dass es sich um Militärübungen handelte. Wir wurden auch nicht im Olympischen Dorf untergebracht, sondern in benachbarten Fliegerkasernen. Wenn wir in die Sportstätten zum Trainieren wollten, mussten wir ein Tor mit Wache passieren. Uns kam das vor, als ob wir Gefangene wären. Wenn etwas in der Tschechoslowakei passiert wäre, dann hätten wir Berlin als Geiseln gedient.“

Die Spiele in Berlin gehen am 16. August zu Ende – ohne dass es zu einem politischen Vorfall kommt. Entgegen der Nazi-Propaganda steigt aber ein schwarzer US-Amerikaner zur Legende auf: Jesse Owens, der vier Goldmedaillen gewonnen hat. Für die Tschechoslowakei spitzt sich bereits zwei Jahre später die Lage zu. Das Münchner Abkommen vom 30. September 1938 zwingt Prag, die Sudetengebiete an Deutschland abzutreten. Ein halbes Jahr später besetzt Hitler auch noch den Rest des Staates.