Der Holocaust-Gedenktag in den Medien - erste Amtshandlungen des neuen ukrainischen Präsidenten

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Am Donnerstag wurde in der Tschechischen Republik, wie in vielen anderen europäischen Ländern der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz im Januar 1945 gedacht. In unserer heutigen Ausgabe der Sendereihe im Spiegel der Medien widmet sich Oliver Engelhardt unter anderem dem Medienecho des Gedenktages in Tschechien.

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Äußerst vielseitig waren die Artikel in den tschechischen Zeitungen im Zusammenhang mit dem internationalen Holocaust-Gedenktag am Donnerstag. Neben der Berichterstattung von den Gedenkfeierlichkeiten waren die Autoren bemüht, Brücken zu schlagen: Die Frage, wie weit Antisemitismus heute in Europa eine Rolle spielt. Oder Auschwitz als Katastrophe der Menschlichkeit, das Unverstellbare eines Genozids. Und: Leider gab es auch nach Auschwitz eine ganze Reihe von Beispielen für massenhafte Verbrechen gegen die Menschlichkeit. In dieser Richtung bewegt sich der Kommentar, den die Wirtschaftszeitung Hospodarske noviny am Gedenktag selbst veröffentlichte:

"Noch vor zehn Jahren wäre eine Auschwitz-Gedenkveranstaltung in Oswiecim in der heutigen Form undenkbar gewesen. Während es im Jahr 1995 wegen Streitigkeiten zwei Zeremonien gab, kommen in diesem Jahr am Ort der ehemaligen Todesfabrik dutzende Staats- und Regierungschefs zusammen. Diese Einigkeit könnte andeuten, dass mit der Zeit ein gemeinsamer Blick auf den Charakter der Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die während des zweiten Weltkriegs verübt wurden, vorherrscht.

Vor zehn Jahren hätten die gemeinsamen Reden der Staatsmänner in Auschwitz wie pure Heuchelei ausgesehen, denn damals waren die ethnischen Säuberungen auf dem Balkan auf ihrem Höhepunkt angelangt, zu deren Symbol Srebrenica wurde, und gleichzeitig wurden in Ruanda hunderttausende Tote gezählt. Die sudanesische Provinz Darfur ist in diesem Verzeichnis ein bislang unabgeschlossenes Kapitel.

Neue Verbrechen wurden übersehen, relativiert, ja sogar entschuldigt. Viele wurden erst dann aufgehalten, als die Politiker unter den Druck der öffentlichen Meinung kamen. Deswegen trugen und tragen einen Teil der Schuld auch diejenigen, die gleichgültig waren und sind."

Holocaust-Gedenktag in Auschwitz  (Foto: CTK)
Ein weiterer inhaltlicher Schwerpunkt im Zusammenhang mit dem Holocaust-Gedenktag war die Frage, wie mit rechtsradikalen Strömungen heute umgegangen werden muss. In Radio und Zeitungen wurde etwa an das Verhalten der Abgeordneten der rechtsradikalen Partei NPD im sächsischen Landtag erinnert, die an einer Gedenkminute nicht teilnehmen wollten. In der Tageszeitung Mladá fronta DNES schlägt der Kommentator Karel Steigerwald den Bogen vom aktuellen Rechtsradikalismus zur heutigen Haltung der Kommunisten in den Ländern, die auch den kommunistischen Totalitarismus erleben mussten:

"Die Auschwitz-Lüge: es gab keine Öfen, es gab kein Gas, es gab keine Toten. Wie viele Menschen hat der Massenmörder Stalin getötet? Zwanzig Millionen? Eine halbe Million? Zweitausend? Oder auch: er hat den Klassenkampf oder den Imperialismus der USA getötet. Je nach dem wie eingefleischt jemand Kommunist ist, schreibt er Stalin eine dieser Zahlen zu, so, dass es in sein wissenschaftliches Weltbild passt. Wahrscheinlich wird er auf die Unausweichlichkeit des sich verschärfenden Klassenkampfes unter den Bedingungen des Imperialismus hinweisen. Das ist unsere Auschwitz-Lüge. Das Morden mit Klassenkampf ideologisch zu erklären. Es war nötig, aber es war nicht so, wie Sie sagen.

Die Auschwitz-Lüge oder Gulag-Lüge ist nachsichtig gegenüber den anderen Mördern. Es gab kein Gas, es gab keine Öfen, es gab keinen Gulag. Es gab nur unsere (ihre) Ideale und die waren gut.

Bei uns ist die Auschwitz-Lüge nicht strafbar. Auch ihre kommunistische Version ist nicht strafbar. Wir brauchen sie, so wie die Nazis ihre Auschwitz-Lüge brauchen. Die Nabelschnur zum Kommunismus ist immer noch fest - wir schaffen es nicht zu sagen, dass der Kommunismus Morde bedeutete, sondern dass er das Glück der Menschheit wollte. Wer heute sagt, dass Gottwald kein Mörder, sondern ein Staatsmann war, erntet Anerkennung. Wer sagt, 'lüg nicht, er war ein Mörder', der steht im Schatten. Wundern wir uns, warum die Deutschen lügen? Über uns wundern wir uns nicht."

Leo Pavlát  (Foto: Martina Schneibergova)
Auch bei den Gedenkfeiern in Oswiecim wurde daran erinnert, dass für einige der Häftlinge die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz nur den Übergang in ein kommunistisches Gefängnis bedeutete. Schließlich spielte immer wieder die Frage nach der richtigen Benennung des unglaublichen Leids eine Rolle in den Beiträgen der Medien. Der Direktor des jüdischen Museums in Prag, Leo Pavlát, wies in einem Kommentar in der Tageszeitung Mladá fronta DNES auf den biblischen Ursprung des Wortes Holocaust hin, der auch ein "Opfer" des Menschen für Gott bezeichnen kann. Juden benutzen aus diesem Grund für die Vernichtung durch die Nationalsozialisten vor allem das hebräische Wort Schoa, das eine unbeschreibliche Katastrophe, ein riesiges Unglück bedeutet. Weiter schreibt Pavlát:

"Der Holocaust war in seiner Motivation und grauenvollen Perfektion einzigartig. - diejenigen, die er traf, verdienen unser Interesse und unsere Achtung. Dies anzuerkennen ist nicht nur die Litanei der Überlebenden, die angeblich Anspruch erheben auf ein besonderes Maß an Leiden, wie manchmal böswillig behauptet wird. Die Einzigartigkeit des Holocaust anzuerkennen, bedeutet auch, dass der 27. Januar als 'bedeutender Tag' in der Tschechischen Republik eine Warnung vor allem sein soll, was zu schrecklichsten Verbrechen von Menschen gegen Menschen führen kann."


Auf der Titelseite der Tageszeitung Mladá fronta DNES erschien am Freitag ein Photo des Ukrainers Piotr Mischtschuk, der als ehemaliger Häftling bei den Gedenkfeiern in Auschwitz mit ukrainischer Fahne und orangefarbene Bänder teilnahm. Der Revolution in orange, also der Wende in der Ukraine, widmeten sich die tschechischen Medien vor allem Anfang der Woche. In Kiev wurde nämlich am vergangenen Wochenende Viktor Juschtschenko als Präsident der Ukraine vereidigt. Der Sieger der wiederholten zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen in dem osteuropäischen Land hatte sich erst nach einem langen öffentlichen Ringen gegen seinen Rivalen Viktor Janukowitsch durchgesetzt. Juschtschenko und hunderttausende seiner Anhänger hatten sich im Herbst 2004 nicht mit dem gefälschten Ergebnis der ersten Stichwahl abgefunden und so ist sein Sieg zu großen Teilen dem Druck der Masse zu verdanken. Diese "Revolution in orange", benannt nach der Wahlkampffarbe der Juschtschenko-Anhänger hat westlich der Ukraine - auch in Tschechien - viele Menschen an die Wende von 1989 erinnert. Mit Spannung blickt die Öffentlichkeit nun auf die ersten Amtshandlungen des neuen Präsidenten. Dies waren die Ernennung von Julia Timoschenko, einer der führenden Persönlichkeiten der orange Revolution, zur Regierungschefin und Juschtschenkos erste Auslandsreise. Die linksgerichtete Tageszeitung Právo schreibt am 26. Januar:

Präsident der Ukraine Viktor Juschtschenko  (Foto: CTK)
"Kiev braucht sowohl den Westen als auch Russland, mit dessen Wirtschaft - besonders im Energie- und Militärsektor - es aufs Engste verbunden ist. Deswegen war es ein hellsichtiger Schritt Juschtschenkos, dass er als Ziel seiner ersten Auslandsreise den Kreml und das Treffen mit Putin gewählt hat. Damit sendet er offensichtlich auch ein beruhigendes Signal an die Ukraine östlich des Dnjepr, die Russland näher steht, sich vor möglichen Marktreformen fürchtet und mit dem Gedanken einer Abspaltung spielt. Der Triumphzug durch die westlichen Metropolen steht Juschtschenko noch bevor. Seine liberalwirtschaftliche Orientierung wird ihm sicherlich die Türen zu Wirtschaftshilfe öffnen und Investitionen anlocken. Welche Garantien bietet der Präsident mit beschränkten Vollmachten an? Kommen die Reformen dann auch durch das Parlament?

Auch die westliche Presse wischt langsam den romantischen Staub von Juschtschenkos orangener Revolution und stellt die prosaische Frage: wie geht es weiter?"

Auch die Wirtschaftszeitung Hospodarske noviny mit ihrer umfangreichen Auslandsberichterstattung ließ die Situation in der Ukraine nicht aus den Augen. Zum Antrittsbesuch Juschtschenkos in Moskau schrieb der Kommentator Adam Cerny:

"Der letzte Präsident Leonid Kutschma hinterließ die Verpflichtung, dass sich sein Land dem gemeinsamen Wirtschaftsraum mit Russland, Weißrussland und Kasachstan anschließen werde. Sein Nachfolger erklärt, dass die Zukunft der Ukraine in der Europäischen Union liegt. Beides lässt sich nicht gleichzeitig erfüllen, also wird man wählen müssen. Sich auf die Beziehungen zur ehemaligen Imperiumshauptstadt zu beschränken, würde bedeuten, die Hoffnungen derer zu enttäuschen, die mit orangefarbenen Schals und Mützen auf dem Unabhängigkeitsplatz gefroren haben. Mit einer schnellen Umorientierung des ganzen Landes nach Westen würde Juschtschenko die Unzufriedenheit des östlichen Teils der Ukraine riskieren, der sich sprachlich und kulturell näher an Russland fühlt. Das Lavieren zwischen beiden Extremen stellt das politische Talent des neuen Präsidenten auf die Probe."