Der tschechische Piraten-Chef Ivan Bartoš

Ivan Bartoš

Er ist Pirat und verdient sein Geld zugleich seriös bei einer internationalen Firma als System-Architekt - Ivan Bartoš, der Vorsitzende der tschechischen Piraten-Partei. Studiert hat er Philosophie, und wenn er sich gerade nicht um seine Doktorarbeit oder Demonstrationen gegen internationale Abkommen kümmert, macht er Musik. Aber in der letzten Zeit ist er vor allem immer häufiger in den Medien zu sehen. Christian Rühmkorf traf den Piraten-Chef Ivan Bartoš in einem Prager Café und fragte ihn auch, ob er die Piraten bei den nächsten Wahlen im Abgeordnetenhaus sieht.

Ivan Bartoš  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
Ivan Bartoš, Sie sind Vorsitzender der Piratenpartei. Wenn Ihre Partei nicht gerade so angesagt wäre, würde man vielleicht vermuten, Sie seien ein Nerd – ein zurückgezogener Computerfreak.

„Ich bin ganz entschieden kein Nerd. Ich bin Musiker, lese gern, gehe gern unter Leute. Ich schließe mich also nicht zu Hause mit dem Computer ein.“

Sie sitzen hier mit Rastalocken und trotzdem gerade in Anzug und Krawatte vor mir und hatten gerade Ihr Rigorosum für die Doktorarbeit. Was ist wichtiger: die Doktorarbeit oder das internationale Anti-Piraten-Abkommen „Acta“?

Demonstration gegen das ACTA Abkommen  (Foto: ČTK)
„Aus der Sicht meiner Mutter ist ganz sicher die Doktorprüfung wichtiger. Aber das macht gar keinen Sinn, das jetzt in eine Reihenfolge zu bringen, denn es hat sich gezeigt, dass man Zeit für beides findet. Was wir Piraten machen, das ist für uns kein Hobby, das ist eher eine Berufung. Das Ganze sickert immer intensiver in unser Leben. Die Firmen meiner Parteikollegen gehen pleite, weil sie sich dem nicht mehr widmen können, Ehen brechen auseinander – jeder setzt seine Prioritäten.“

Was unterscheidet die Piraten-Partei von einer anderen jungen Partei wie zum Beispiel der konservativen Top 09?

„Die Piratenpartei hat ein transparentes Konto, und das fordert sie auch von allen staatlichen Institutionen. Die Partei Top 09 behauptet nur, dass sie ein transparentes Konto hat. Die Piraten kämpfen aktiv für die Freiheit und zwar nicht nur im Internet. Die anderen politischen Parteien geben Programme heraus, wie sie für diese Freiheit kämpfen wollen. Bei Top 09 sieht das so aus, dass sie gegen den umstrittenen internationalen Vertrag Acta Stellung bezieht, dabei wurde Acta aber vom Industrie- und Handelministerium vorbereitet, und das ist in der Hand von Top 09.“

Welche Folgen hat Ihrer Ansicht nach Acta auf das Leben eines Durchschnittbürgers mit Internet daheim?

„Das Kernproblem ist: Damit jemand einen urheberrechtlich geschützten Inhalt kontrollieren kann, muss er im Internet oder auf den Rechnern der Nutzer alle Inhalte kontrollieren. Man muss die gesamte Kommunikation auf den Rechnern durchchecken, um zu kontrollieren, ob sich auf dem Computer nicht auch der neueste Hollywood-Streifen befindet. Das wird zu einem Problem.“

Wie sieht es mit den Kontrollen von Laptops an den Grenzen aus? Das wird als Schreckgespenst immer angeführt.

„Die sind in Artikel 14 erwähnt und sind nicht zwingend. Aber allein die Möglichkeit, dass ich jemanden an meinen Computer ranlassen muss und auch noch in der Beweispflicht bin, dass alles dort legal daraufgespielt wurde - andernfalls wird das Gerät konfisziert -, das ist beispiellos. Es ist doch unvorstellbar, dass ich Sie zum Beispiel auf der Straße auffordere, alle Kaufbelege für Ihre Kleidung vorzulegen. Und nicht nur Kaufbelege, sondern auch Zertifikate, dass Ihr Pullover ein Original-Pullover dieser Firma ist. Die Schikane kann ungeheure Ausmaße annehmen, die Privatsphäre ist nicht mehr sicher, Ihre gesamte Kommunikation kann durchleuchtet werden, und damit ist Acta im Widerspruch mit der Grundrechte-Charta.“

Muss man denn etwas tun für die Urheberrechte oder ist die jetzige Gesetzgebung ausreichend?

„Der Autor muss seine Arbeit bezahlt bekommen. Wir, die Piraten, werden aber immer beschuldigt, wir wollten die Autoren um ihren Lohn bringen. Derzeit bekommen Autoren von den Verlegern zehn Prozent. Wir sagen, dass ein striktes Kopiermonopol in Zeiten des Internets die größte Bremse ist. Und ich rufe deshalb auch die Autoren auf, sich umzuschauen, wer ihr Gegner ist. Sie können ihre Arbeiten selbst verbreiten und sich ein eigenes Geschäftsmodell suchen. Das gibt es auch schon: Bei I-Tunes bekommen die Künstler 70 Prozent, bei Mega-Upload bekamen die Künstler sogar 90 Prozent, und den Rest holten sich die Macher über Reklame. Das Problem sind die Verlage, die Produktions- und Verlagsgesellschaften der Musik- und Filmindustrie. Sie klammern sich 20 Jahre an das Modell eines in Papierform gedruckten Buches oder einer gepressten CD. Sie sind es doch, die die Zeit verschlafen haben. Aber sie machen eine riesige Lobbyarbeit und schaffen es, die Gesetze zu beeinflussen. Das Problem sind nicht die Leute, die etwas downloaden.“

Wie sieht eigentlich Ihr eigener Computer aus? Findet sich da etwas, was da nicht sein sollte?

„Das hier ist mein Laptop aus der Arbeit. Und der ist natürlich rein wie eine Lilie, da muss man professionell sein. Auf meinem privaten Computer zu Haue habe ich überwiegend legale Software. Ansonsten habe ein Meer an Musik, die ich gedownloadet habe, weil das bei uns legal ist. Manchmal lade ich mir einen Film herunter, aber das ist auch legal. Die meiste Musik, die ich als DJ spiele, ist creative commons, ich habe also eigentlich kein Problem.“

„Das Internet ist unser Meer“ – das ist das Motto der tschechischen Piraten-Partei, die ja tatsächlich kein Meer hat. Fehlt Ihnen das Meer?

„Ich fahre gern ans Meer, ich schwimme gern, aber für mich passt unser Motto einfach gut, weil das Internet wirklich ein Meer ist. Es hat keine Grenzen, die Informationen kommen und gehen wie die Wellen – die Parallele zwischen Meer und Internet passt einfach.“

Wahlplakat der Piratenpartei Deutschland
Die deutschen Piraten haben bei den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus fast neun Prozent erzielt und sind auch bundesweit auf dem Vormarsch. Wie gehen die nächsten Wahlen für die tschechische Piratenpartei aus?

„Also ich hoffe, dass wir einen Piraten ins Abgeordnetenhaus schicken können. Die deutschen Piraten haben gerade in den Umfragen riesige Präferenzen und könnten die viertstärkste politische Kraft werden. Wir hoffen, dass es auch bei uns diesen Trend geben wird. Aber Erfolg in den Wahlen ist nicht unser eigentliches Ziel. Falls wir sehen, dass die anderen Parteien unsere Programmpunkte nicht nur kopieren, sondern auch umsetzen, dann machen wir gerne unseren Laden zu – auch wenn das vom Parteivorsitzenden komisch klingt. Wir gehen dann zurück ins normale Leben, mit der Freundin ins Restaurant und nicht auf die Parteiversammlung.“

Sie sagten eingangs, Sie machen Musik. Welches Instrument spielen Sie?

„Seit ich sechs Jahre alt bin, spiele ich Ziehharmonika. Das ist bei uns Piraten eine Voraussetzung – auch der stellvertretende Vorsitzende spielt Akkordeon. Ich habe in Kneipen gespielt, und mit der Ziehharmonika bin ich um die Welt gereist. Und überall dahin, wo es passt, nehme ich sie mit, auch auf Piratenversammlungen und Frauentage. Meistens spiele ich die von den Kopiermonopolisten geschützten Lieder. Ansonsten habe ich eine Punkkapelle und trete auch als DJ bei Soundsystem auf.


Dieser Beitrag wurde am 14. Februar 2012 gesendet. Heute konnten Sie seine Wiederholung hören.