Der Ukraine wieder auf die Beine helfen: Tschechiens Entwicklungshilfe seit Kriegsausbruch

Krieg in der Ukraine

Die Revitalisierung des Botanischen Gartens des Nationalmuseums in Bosnien und Herzegowina, Gerätschaften für ein Blindenzentrum im Kosovo, Hilfe für Schulen in Äthiopien oder Sambia – dies sind nur einige Projekte, an denen sich Tschechien im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit und humanitärer Hilfe schon beteiligt hat. Dieses Teilressort des Außenministeriums arbeitet gewöhnlich mit einem hohen Maß an Kontinuität, das heißt in langfristiger Kooperation mit bestimmten Ländern. Der Krieg in der Ukraine hat aber zu einer kurzfristigen Änderung der Strategie geführt. Denn auch Tschechien leistet nun dem angegriffen Land schnelle humanitäre Hilfe.

Petr Gandalovič | Foto: Ondřej Tomšů,  Radio Prague International

Die Entwicklungszusammenarbeit des tschechischen Außenministeriums ist laut aktueller Strategie für die Jahre 2018 bis 2030 ausgerichtet auf bestimmte Partnerländer. Diese werden bei der Lösung von ökonomischen, sozialen, klimatischen oder auch Sicherheitsproblemen unterstützt. Im Globalen Süden seien dies Sambia, Äthiopien und Kambodscha, sagt Petr Gandalovič (Bürgerdemokraten). Er ist Abteilungsleiter für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe beim tschechischen Außenministerium. Im Gespräch mit Radio Prag International erläutert er die Grundsätze:

„Wenn es um Entwicklungszusammenarbeit geht, richten wir uns nach dem allgemein angewandten Prinzip, nach dem vorrangige Partner bestimmt werden. Das heißt, dass die Hilfe nicht jedes Jahr woanders hingeht. Sondern es gibt feste Partnerländer, denen über längere Zeit geholfen wird. Darum sprechen wir dabei auch von Zusammenarbeit – es handelt sich also nicht nur um einseitige Hilfe. Das Empfängerland ist vielmehr ein echter Partner, und dies schon zu Beginn, wenn die Projekte entstehen und die Zielgebiete bestimmt werden. Und dann natürlich auch während der eigentlichen Umsetzung.“

Krieg in der Ukraine | Foto:  Ukrainisches Innenministerium,  Wikimedia Commons,  CC BY 4.0 DEED

Daneben sieht die Strategie des Außenministeriums in Konfliktländern oder nach Naturkatastrophen auch humanitäre Hilfe vor. Diese richtet sich seit drei Monaten nun auch und in großem Umfang an die Ukraine. Gandalovič bestätigt, dass Russlands Angriffskrieg die Planungen seines Ressorts stark verändert habe:

„Wir sind alle schockiert darüber, dass in diesem Jahrhundert jemand ein Land auf eine Weise überfällt und zerstört, wie es die Russen tun. Mit der Ukraine lief schon vorher eine Reihe von Entwicklungsprojekten, etwa im Bereich der Hochschulbildung, bei der Einführung von Gesetzesreformen oder auch beim Naturschutz. Dies alles ist jetzt zunichte gemacht, und aktuell müssen wir vor allem humanitäre Hilfe leisten.“

Foto:  Tschechisches Fernsehen

Dazu gehöre nicht die Unterstützung der Geflüchteten, die nach Tschechien kommen, fügt Gandalovič an. Denn dafür seien vor allem das Innenministerium oder auch die Ressorts für Bildung oder Gesundheit zuständig. Seine Abteilung leiste Hilfe direkt in der Ukraine, und dies in enger Zusammenarbeit mit gemeinnützigen Organisationen, wie etwa Člověk v tísni (Mensch in Not), Adra oder der Caritas.

Umfang der Hilfe ist abhängig von Finanzierung

Wie umfangreich dieser Einsatz sein kann, hängt natürlich von der Finanzierung ab. Gandalovič berichtet, dass im Falle der Ukraine schnell relativ viel Geld aufgebracht worden sei. Die erste Finanzspritze betrug umgerechnet 12,1 Millionen Euro…

Illustrationsfoto: Jaroslav Hroch,  Tschechischer Rundfunk

„Gleich am zweiten Tag nach dem Einmarsch Russlands bewilligte die tschechische Regierung die ersten 300 Millionen Kronen für die Ukraine. Diese wurden schon längst dorthin geschickt und kommen vor allem in den hilfebedürftigen Regionen der Ukraine zum Einsatz. Seitdem leisten wir auch jede Menge materielle Hilfe, etwa im Gesundheits- oder Lebensmittelbereich. Aktuell beläuft sich diese humanitäre Unterstützung auf etwa 40 Millionen Euro. Dabei sind aber noch nicht die knapp zwei Milliarden Kronen eingerechnet, die die Menschen in Tschechien in einer unglaublich edlen Geste bei den Sammlungen der verschiedenen NGOs gespendet haben.“

Zwei Milliarden Kronen sind etwa 81 Millionen Euro. Die außenpolitischen Hilfsprogramme kommen den Menschen aus der Ukraine aber auch indirekt zugute. Viele sind vor dem Krieg in ihrem Land ins benachbarte Moldawien geflohen, und eben dieser Staat gehört auch zu den Partnerländern Tschechiens in puncto langfristiger Entwicklungszusammenarbeit. Zur Versorgung der Flüchtlinge in Moldawien steuerte das tschechische Außenministerium darum dringend benötigte Ausrüstung bei. So wurde bereits Anfang April vermeldet, dass in kürzester Zeit eine Lieferung an Gesundheitsmaterialien im Wert von 632.000 Euro in die moldawische Hauptstadt Chişinău / Kischinau abgeschickt worden war.

Entwicklungshilfe in Georgien | Foto: Archiv von Petr Sič

In Europa gibt es noch zwei weitere Länder, die Tschechien dauerhaft in ihrer Entwicklung fördert: Georgien sowie Bosnien und Herzegowina. Diese würden, ähnlich wie auch Moldawien, vor allem beim Demokratisierungsprozess unterstützt, so Gandalovič:

„Wir bevorzugen Hilfsprojekte, die erstens in dem Zielland sinnvoll sind. Zweitens sollten sie den tschechischen Prioritäten und traditionellen Branchen wie etwa der Wasserwirtschaft entsprechen. Und drittens sollten diese Projekte uns erlauben, bestimmte Transformationserfahrungen weiterzugeben. Dies trifft auf Länder wie etwa Moldawien zu, die eine Verbindung zur EU haben und auch die Ambition, in Zukunft einmal Mitglied zu werden. Dort vermitteln wir eigene Erfahrungen aus Zeiten, als wir unsere Wirtschaft und Gesetzgebung reformiert und an die Bedingungen der EU angepasst haben.“

Bessere Koordinierung im Rahmen der EU

Ukrainische Geflüchtete in Moldawien | Foto: UN-Menschenrechtsrat

Während etwa Moldawien nun Geflüchtete aufnimmt, bekommen die Partnerländer im Globalen Süden die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine bei der eigenen Versorgung zu spüren. Das tschechische Außenministerium gebe sich alle Mühe, seinen Hilfsetat nicht auf Kosten der Entwicklungsländer umzuschichten:

„Aber darunter, dass die Ukraine zum Ziel der Aggression Russlands geworden ist, leiden nicht nur die Ukrainer. Dies verspüren eben auch die Entwicklungsländer, die abhängig sind von Lebensmittelprogrammen. Ein großer Anteil dieser Lieferungen stammt gerade aus der Ukraine. Die Weltbank und die Organisatoren des weltweiten Lebensmittelprogramms sprechen bereits von der Gefahr, dass die Preise in hohem Maße steigen könnten und eine Versorgungskrise droht.“

Illustrationsfoto: Ibrahim Boran,  Unsplash,  Unsplash License

Nicht nur dies ist ein weiterer Grund, die Entwicklungszusammenarbeit der einzelnen Länder innerhalb der Europäischen Union besser zu koordinieren. Gandalovič führt aus:

„Derzeit findet innerhalb Europas eine engere Anbindung statt. Denn wir sind zu dem Schluss gekommen, dass auch die stärksten Geldgeber – wie etwa die skandinavischen Länder oder Deutschland – nicht viel erreichen können, wenn sie separat agieren. Zum einen knüpfen die einzelnen Projekte bisher nicht aneinander an, zum anderen wird damit politisch gesehen immer nur einem einzelnen Land geholfen. Die EU hat selbst über eine halbe Milliarde Einwohner und leistet in der Summe weltweit die umfangreichste Entwicklungszusammenarbeit. Wenn die einzelnen Hilfsprojekte in einem bestimmten Zielland miteinander verbunden werden können, gewinnt Europa eine stärkere Position – und dies auch in der politischen Diskussion.“

Eine Gelegenheit zur weiteren Koordinierung wird der Vorsitz im Rat der Europäischen Union sein, den Tschechien am 1. Juli turnusmäßig für sechs Monate übernimmt. Dabei bestehe gar nicht mal die Frage, ob sich die Ratspräsidentschaft auf die tschechische Entwicklungshilfe niederschlage, gibt sich Gandalovič selbstbewusst:

Krieg in der Ukraine | Foto: Yan Boechat,  Voice of America / Wikimedia Commons,  public domain

„Ich würde sogar sagen, dass sich umgedreht unsere Entwicklungshilfe auf die EU-Ratspräsidentschaft niederschlägt. Denn währenddessen wollen wir viele Prioritäten, die unsere Entwicklungsarbeit leiten, auch durchsetzen. Momentan ist die erste Priorität natürlich die Unterstützung der Ukraine. Und dies betrifft nicht nur die humanitäre Hilfe, die gerade alle gewähren. Sondern es geht auch um die Frage des schrittweisen Wiederaufbaus der Ukraine, mit dem wir dem Land gemeinsam wieder auf die Beine helfen wollen.“

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