Die Bibel als Drehbuch

Passionsspiele in Česká Lípa (Foto: Tomáš Mařas, Archiv des Tschechischen Rundfunks)
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Enthusiasten haben die Passionsspiele in Česká Lípa wiederbelebt, sie werden auf der örtlichen Burgruine aufgeführt.

Passionsspiele in Česká Lípa  (Foto: Tomáš Mařas,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
„Kommt und seht die Geschichte von Freundschaft und Verrat! Die Geschichte von Liebe und Hass! Die Geschichte des größten Menschen – Jesus Christus!“

Die ersten Worte von Passionsspielen lauten immer ähnlich, egal ob sie in der Kirche oder im Freien veranstaltet werden. Die weitere Darstellung einer der bekanntesten Geschichten der Welt ist aber dann der Phantasie überlassen und auch dem Mut und den Möglichleiten der Darsteller. In der nordböhmischen Stadt Česká Lípa / Böhmisch Leipa nehmen in diesem Jahr rund 80 Amateurschauspieler an den Passionsspielen teil. Aufgeführt wird auf der gotischen Burgruine mitten in der Stadt, das gesamte Gelände dient als Bühne. Auch die Menschenmasse, die bei der Verurteilung von Christus ‚Kreuzige, kreuzige ihn“ schreit, ist dabei. Es sind die Zuschauer, die sich daher fast als Bestandteil der Geschichte fühlen dürfen. Petr Nárovec ist Vorsitzender des Kulturvereins Osli und Mitbegründer der Veranstaltung.

Passionsspiele in Česká Lípa  (Foto: Tomáš Mařas,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
„Wir stehen jetzt am Torso eines Palastbaus, vor uns spannen sich zwei Gewölbe, die vom ursprünglichen Palais übriggeblieben sind. Hier inszenieren wir das letzte Abendmahl von Jesus Christus und seinen Jüngern. Dann wird die Szene umgebaut, um hier das Verhör von Jesus vor Pontius Pilatus spielen zu können. Unter dem kleineren Bogen tagt der Hohe Rat, daneben befindet sich der improvisierte Garten Gethsemane. Nachdem Jesus vor der tobenden Menschenmasse verurteilt wird, kommt er mit dem Kreuz die Treppe herunter und beginnt seinen Kreuzweg über das ganze Gelände. Die in der Bibel beschriebenen Ereignisse wie der Fall unter dem Kreuz, die Begegnung mit den weinenden Frauen oder mit seiner Mutter Maria dürfen ebenfalls nicht fehlen. Ganz drüben an den Resten des ehemaligen Turmes befindet sich Golgota, wo es zur Kreuzigung kommt.“

Vorreiter aus dem 18. Jahrhundert

Passionsspiele in Česká Lípa  (Foto: Tomáš Mařas,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Die Passionsspiele in Česká Lípa haben eine lange Tradition. Im 18. Jahrhundert wurden sie von den Schülern des örtlichen Augustinergymnasiums in den Gassen der Stadt aufgeführt, Jesus ging seinen Kreuzweg von einer Kirche zur anderen. Laut den Chronisten waren die Aufführungen auf hohem Niveau, und viele Menschen aus der breiten Umgebung wohnten ihnen bei.

Im 19. Jahrhundert schliefen diese Veranstaltungen wohl ein. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es zwar zaghafte Versuche, die Tradition zu erneuern, unter kommunistischer Herrschaft war dies aber nicht möglich. Erst 2004 legte sich eine Gruppe von Enthusiasten ins Zeug. Zu Beginn war alles sehr amateurhaft: Die Kostüme stammten von Fechtvereinen, die aus unterschiedlichen Filmen zusammengemischte Musik wurde über einen Lautsprecher abgespielt. Im Gegensatz zur biblischen Erzählung wurde nur ein Kreuz aufgestellt, die zwei gekreuzigten Schächer links und rechts von Christus fehlten. Solche Mängel seien mittlerweile behoben, erzählt Nárovec stolz:

Passionsspiele in Česká Lípa  (Foto: Tomáš Mařas,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
„Heute haben wir für die Aufführung eigene Musik, die hier live von einem etwa zwanzigköpfigen Orchester gespielt wird. Die Kostüme entsprechen ziemlich gut der damaligen Zeit, einschließlich der römischen Rüstungen. Auch das Material der Kleidung ist zeitgerecht, sie besteht meist aus Wolle. Nur das passende Wetter schaffen wir noch nicht zu bestellen, einmal haben wir sogar im Schneegestöber gespielt. Das war ein Erlebnis: Christus am Nordpol.“

Jakub Neumayer spielt bereits zum dritten Mal die Hauptrolle bei den Passionsspielen in Česká Lípa:

„Ein neues Gebot gebe ich Euch, dass Ihr einander lieben sollt, wie ich Euch geliebt habe. Denn niemand hat größere Liebe als der, der sein Leben für seine Feinde opfert“, das verlautbart Jesus durch den Mund von Neumayer.

Und der Hauptdarsteller ergänzt:

Passionsspiele in Česká Lípa  (Foto: Tomáš Mařas,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
„Man überlegt natürlich, was man sagt, wenn man eine solche Person verkörpert. Ich bin nicht Gläubiger, aber an diese Geschichte glaube ich. Mir gefällt zum Beispiel sehr, wie Christus sagt: ‚Wer zum Schwert greift, der soll durchs Schwert umkommen.‘ Das sollten wir uns alle merken.“

Pontius Pilatus bequem im Sessel

In der Rolle von Christus haben sich bereits mehrere Schauspieler abgewechselt. Josef Fárek hat sie viermal gespielt, jetzt verkörpert er Pontius Pilatus. Diese Figur sei im Vergleich mit Christus viel einfacher, sagt er:

„Pilatus ist genügend warm angezogen, sitzt bequem im Sessel und kann sich dabei erfrischen. Jesus dagegen spricht viel am Anfang, dann wird er aber nur noch geschleppt, bespuckt und geschlagen. Ich muss sagen, ich hatte genug davon. Besonders schätze ich aber, dass die Aufführung ständig verbessert worden ist. Bereits vor sieben Jahren, als ich zu den Passionsspielen gekommen bin, hatte diese schon hohes Niveau. Seitdem ist die Qualität noch einmal angehoben worden. Einige Szenen wurden hinzugefügt, andere verändert, Herodes etwa hat nun Konkubinen erhalten. Das freut mich umso mehr, als ich damals in einer persönlichen Krise gesteckt habe. Die Teilnahme an diesem Projekt war für mich so etwas wie eine ‚Wiederauferstehung‘, deshalb bleibe ich dabei und gebe meine Erfahrung an die Menschen weiter.“

Passionsspiele in Česká Lípa  (Foto: Tomáš Mařas,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Bei jedem Passionsspiel ist die Rolle von Jesus die schwerste. Der Darsteller muss ein echtes Holzkreuz tragen, bei jedem Wetter muss er seine Kleidung ablegen. Obwohl die Folterung nur inszeniert wird, muss er auch Schmerz ertragen. Einige Zeitungen schrieben in den vergangenen Jahren, die Kreuzigung in Česká Lípa wirke so überzeugend, dass Kinder nicht zu den Aufführungen kommen dürften. Dem widerspricht Petr Nárovec aber:

„Diese Aufführung kann natürlich nicht ohne Blut stattfinden. Wir wissen, dass das schon früher für einige Zuschauer zu drastisch gewesen ist. Der Grund ist einfach: Das Auspeitschen, die Kreuzigung und die anderen Dinge, die Christus in den letzten Stunden seines Lebens ertragen musste, sind ein Martyrium im echten Sinne des Wortes. Und dies müssen wir den Menschen irgendwie vermitteln. Die Atmosphäre soll so wahrheitsgetreu wie möglich sein. Sicher würden viele von uns lieber die Augen abwenden, aber das gehört dazu. Uns wurde auch vorgeworfen, dass wir wie Mel Gibson einfach schockieren wollten, dem ist aber nicht so. Wir berufen uns auf die Bibel, das ist unser Drehbuch.“

Mut, Verrat und Intrigen

Passionsspiele in Česká Lípa  (Foto: Tomáš Mařas,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Petr Nárovec tritt in den letzten Jahren in einer Doppelrolle auf: Als Petrus verrät er Jesus, und als Longinus stößt er ihm dann einen Speer in die Seite. Die negativen Helden spiele er gerne, sagt er. Denn niemand sei so schlecht, dass man an ihm nicht auch etwas Gutes finden könne. Daher bemühe er sich, beide Figuren irgendwie menschlich darzustellen, damit sich die Zuschauer mit ihnen in bestimmten Momenten auch identifizieren könnten. Nárovec findet, dass damit die Passionsgeschichte auch für Nicht-Gläubige verständlich würde. Übrigens: Die meisten Darsteller der Aufführung in Česká Lípa sind keine Christen. Und die Zuschauer seien es auch nicht, meint der Veranstalter:

„Für mich ist es eine Geschichte von unglaublichem Mut, Verrat, Schwindel und Intrigen – also ein Abbild von dem, was wir heute erleben. Die Kulissen und Kostüme ändern sich, aber wir Menschen sind immer gleich. Freunde können uns verraten, Politiker sind nicht in der Lage, ihre Ziele zu erreichen, die Menschenmasse betet zunächst jemanden an, um ihn im nächsten Moment zu lynchen. Das alles gibt es in dieser zweitausend Jahre alten Geschichte.“

Autor: Jakub Šiška
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