Die böhmischen Kronjuwelen

Die böhmischen Kronjuwelen, photo: CTK

Fünf Jahre lang lagen sie in der Kronkammer über der St. Wenzels Kapelle im Prager Veits Dom hinter Schloss und Riegel, die böhmischen Kronjuwelen. Neben dem wertvollsten Stück, der St. Wenzels Krone aus dem Jahre 1346 gehören zu diesen das Zepter und der Apfel aus dem 16. Jahrhundert, der Krönungsmantel sowie die dazugehörigen originalen Schatullen und Kissen. Insgesamt 22 böhmische Könige wurden mit der St. Wenzels Krone gekrönt. Der erste von ihnen war am 2. September 1347 Karl IV, der letzte 1836 Ferdinand V. Seither warten die Kronjuwelen in ihrer Kammer im Prager St. Veits Dom auf ihren nächsten Einsatz.

Zu seiner Krönung zum böhmischen König ließ Karl IV. eigens eine neue Krone anfertigen. Karl erklärte, dass die Krone Eigentum des hl. Wenzel sei und stets auf dessen Totenkopf in der St. Wenzels Kapelle im Prager Veits Dom aufbewahrt werden solle. Die jeweiligen Herrscher dürften sich das prächtige Stück lediglich zu ihrer Krönung für einen Tag von dem böhmischen Nationalheiligen leihen. Karl IV. soll außerdem bestimmt haben, dass die Königskrone ansonsten nur zu besonderen, für den Staat wichtigen Anlässen ausgestellt werden darf - und daran hält man sich bis heute. Als Gründe für die jetzige Zurschaustellung wurden der 10. Geburtstag der Tschechischen Republik, das 85. Gründungsjubiläum der Tschechoslowakei und die diesjährige Wahl eines neuen Präsidenten genannt.

Karl IV. mag gehofft haben, dass die Krone viele Häupter seiner Nachkommen krönen möge, doch nach seinen beiden Söhnen Wenzel und Sigmund starb das Geschlecht der Luxemburger 1437 in männlicher Linie bereits aus. Neben zwei Vertretern der polnischen Jagiellonen im 15. und 16. Jahrhundert wurden insgesamt 15 Habsburger mit der St. Wenzels Krone zum böhmischen König gekrönt. Der letzte war 1836 Ferdinand V. Auf die Krönung seines Nachfolgers Franz-Josefs I. zum böhmischen König warteten seine tschechischen Untertanen die 68 Jahre seiner Regentschaft vergebens. Auch der letzte Habsburger Kaiser, Karl I., ließ sich nicht zum böhmischen König krönen.

Ausnahmen unter den böhmischen Königen bilden Jiri von Podebrady und Friedrich von der Pfalz. Der 1458 gekrönte Jiri von Podebrady war der einzige Träger der böhmischen Krone, der keiner Königsfamilie oder hochgestelltem Adelsgeschlecht entstammte. In die Geschichte ging Jiri z Podebrad - so sein tschechischer Name - als Ketzerkönig ein. Friedrich von der Pfalz wurde 1619 von den aufständischen böhmischen Ständen zum König von Böhmen gekrönt. Nach der Niederlage der Stände in der Schlacht am Weißen Berg im November 1620 floh der Winterkönig aus Böhmen und war hier nie wieder gesehen.

Nur eine einzige Frau wurde übrigens zur böhmischen Königin gekrönt - 1743 war dies Maria Theresia. Auch wenn Maria Theresia die einzige weibliche Herrscherin über die Böhmischen Länder war, so war sie doch nicht die einzige Frau, die die Krone für einen kurzen Moment tragen durfte: auch die Ehefrauen der böhmischen Könige hatten bei der Krönung ihrer Gatten die Ehre.

Karl IV. hatte nicht nur die Königskrone anfertigen lassen, er hatte auch eine Krönungsordnung entworfen. Genau vorgeschrieben war auch der Krönungsweg. Dieser führte vom ehemaligen Königspalast an der Stelle des heutigen Pulverturms und Repräsentationshauses zum Altstädter Ring. Hier wurde der zukünftige König vom Rat der Stadt empfangen. Weiter ging es über die Karlsbrücke zur Kleinseite, wo die Vertreter der Zünfte auf den neuen König warteten. Schließlich ging es die steile heutige Neruda- Gasse zur Prager Burg hinauf. Hier jubelten die Adeligen dem neuen Herrscher zu.

Die Krönungen waren in der Regel große Feste, die sich über mehrere Tage hinzogen. Die letzte Krönung eines böhmischen Königs, die von Ferdinand V. 1836 wurde 10 Tage lang gefeiert. Bei den Feierlichkeiten kam in der Regel auch das Volk auf seine Kosten: an der Peripherie Prags entstanden Budenstädte, in denen Tanzsäle und andere Vergnügungen lockten.

Mit der böhmischen Königskrone sind natürlich zahlreiche Sagen und Geschichten verbunden. Kein Wunder bei dem bewegten, rund 650 Jahre langen Schicksal. Überhaupt scheint es an ein Wunder zu grenzen, dass die Krone sowie die anderen Bestandteile der böhmischen Krönungsinsignien bis zum heutigen Tag erhalten sind. Mehrmals waren sie bedroht und nur um Haaresbreite entgingen sie dem Schicksal des Verschwindens bzw. Raubes.

So soll es 1577 beim Begräbnis von Maximilian II. im Prager Zentrum zu einem Aufruhr gekommen sein. Die im Trauerzug mitgetragenen Krönungsinsignien konnten bei dem herrschenden Chaos von zwei geistesgegenwärtigen Hofangestellten gerettet werden, die sie unter ihren Gewändern versteckten.

Friedrich von der Pfalz soll die böhmische Königskrone bei seiner überstürzten Flucht aus Prag im November 1620 im Gepäck gehabt haben. Der Sage nach soll ihn bereits auf dem Altstädter Ring das schlechte Gewissen geplagt haben, so dass er die Krone dort zurück ließ.

Der letzte schließlich, der es versucht haben soll, die böhmischen Krönungsinsignien zu rauben, war der Nationalsozialist Karl Hermann Frank. Im Januar 1944 hatte sich Frank Zugang zu der Kronjuwelenkammer auf der Prager Burg verschafft und die Krönungsinsignien entwendet. Als man nach der Befreiung Prags im Mai 1945 die Kammer öffnete, war diese leer. Nach der Verhaftung Franks war die erste Frage der tschechischen Justiz die nach dem Verbleib der Kronjuwelen. Frank gab an, diese vor Luftangriffen geschützt haben zu wollen und im romanischen Keller des Königspalastes der Prager Burg vergraben zu haben. Dort wurden sie tatsächlich gefunden. Im Oktober 1945 konnte die tschechische Bevölkerung sie im Prager Veits Dom bewundern.

Schlacht am Weißen Berg
Während Kriegszeiten und der Belagerung Prags wurden die böhmischen Krönungsinsignien stets in Sicherheit gebracht. Erstmals verließen sie während der Hussitenkriege im 15. Jahrhundert ihren Aufbewahrungsort in der St. Wenzels Kapelle des Prager Veits Doms und wurden in die nahe gelegene Burg Karlstein gebracht. Dort wurden übrigens auch die Kronschätze des Deutschen Reiches aufbewahrt.

Während des 30jährigen Krieges wurden die böhmischen Heiligtümer zunächst in das südböhmische Budweis in Sicherheit gebracht. 1634 kamen sie nach Wien, wo sie rund 160 Jahre in der Wiener Habsburg aufbewahrt wurden. Erst 1791 kehrten sie anlässlich der Krönung Leopolds II. an die Moldau zurück. Zu jener Zeit wurde auch die Kammer über der St. Wenzels Kapelle eingerichtet, in der die Kronjuwelen bis heute aufbewahrt werden. Die Tür zu dieser Kammer ist seitdem mit sieben Schlössern gesichert, zu denen sieben verschiedene Personen sieben verschiedene Schlüssel aufbewahren. Auch diese Woche trafen sich u.a. der tschechische Präsident, Premier und Prager Kardinal, um die sieben Schlösser zu öffnen.

Erneut nach Wien in Sicherheit gebracht wurden die böhmischen Kronjuwelen während des österreichisch-preußischen Krieges kurz vor dem Einmarsch preußischer Truppen nach Prag im Juli 1866. Ein Jahr später kehrten sie bereits nach Prag zurück. Die Rückkehr glich einem Triumphzug - auf allen Bahnhöfen in Mähren und Böhmen jubelten die Tschechen dem Symbol der tschechischen Staatlichkeit zu. Als der Zug mit den Kronjuwelen am 29. August 1867 in Prag eintraf, standen tausende Tschechen auf dem Weg vom Bahnhof zur Prager Burg Spalier, um die Kronjuwelen zu sehen. Dies war übrigens das letzte Mal für über 60 Jahre, dass die Bevölkerung diese zu Gesicht bekam. Erst 1929, anlässlich des 1000. Todestages des hl. Wenzels wurden die Krönungsinsignien wieder ausgestellt. Insgesamt neun Mal hatte die Bevölkerung im 20. Jahrhundert die Möglichkeit, diese Symbole der tschechischen Staatlichkeit im Original zu sehen, das letzte Mal vor fünf Jahren. 30.000 Neugierige ließen sich nicht vom stundenlangen Schlangestehen abhalten und warfen einen Blick auf die Originale.

Ein besonderes Kapitel stellt die deutsche Besatzungszeit dar. 1938, als die Bedrohung der Tschechoslowakei durch das Dritte Reich zunahm, machten sich die Prager Regierenden ernsthaft Sorgen um die Kronjuwelen. Im September 1938 beschloss Präsident Benes mit Vertretern der Regierung, die Kostbarkeiten in der Filiale der Nationalbank im slowakischen Zilina in Sicherheit zu bringen. Die gesamte Aktion wurde streng geheim gehalten. Die beiden Fahrer des Autos wussten ebenso wenig, was sich in den Holzkisten befand, wie die Angestellten der Bankfiliale in Zilina, wo die Kronjuwelen am 20. September 1938 eintrafen. Nach dem Münchner Abkommen, gut eine Woche später, schien der Aufbewahrungsort unter anderem wegen des wachsenden slowakischen Strebens nach Unabhängigkeit nicht mehr ideal zu sein. Die Kronjuwelen kehrten am 16. Oktober 1938 nach Prag zurück. Während dieses kurzen Ausflugs verließen übrigens die Kronjuwelen im gesamten 20. Jahrhundert das einzige Mal die Prager Burg.

Eine Enttäuschung erlebte Hitler bei seinem Aufenthalt in Prag am 15. März 1939: der Reichführer bekam die Königskrone nicht zu sehen. Die Kronkammer war leer. Die Kronjuwelen befanden sich zu diesem Zeitpunkt in einem geheimen Safe des Staatspräsidenten, was die deutschen Besatzer allerdings nicht wussten.

Mehr Glück hatte im November 1941 der stellvertretende Reichsprotektor Reinhard Heydrich. Anlässlich der Schlüsselübergabe an die Besatzer öffnete der Protektoratspräsident Emil Hacha die Kronkammer. Bei dieser Gelegenheit soll Heydrich der Versuchung erlegen sein, sich die Königskrone auf sein Haupt zu setzen. Der Sage nach stirbt jedoch derjenige innerhalb eines Jahres eines gewaltsamen Todes, der sich die St. Wenzels Krone widerrechtlich aufsetzt. Wie bekannt starb Heydrich einige Monate später nach einem auf ihn verübten Attentat.

Mit dieser Warnung beenden wir das heutige Geschichtskapitel.