Die fünf Grundsätze der tschechischen Politik

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In der tschechischen Innenpolitik ist es in den vergangenen Tagen Schlag auf Schlag gegangen. Trotz der äußerst unübersichtlichen Lagen und den oft unvorhersehbaren Entwicklungen, lassen sich dennoch bei Parteien und deren Vertretern bestimmte konstante Verhaltensmuster feststellen.

Jiri Paroubek  (rechts) mit seinen Parteikollegen  (Foto: CTK)
Wer in diesen Tagen die Ereignisse auf dem Feld der tschechischen Innenpolitik verfolgt, mag sich wohl über die schnellen Entwicklungen und Wendungen, zu denen die Politiker fähig sind, wundern. In der abgelaufenen Woche konnte man sogar stellenweise den Eindruck bekommen, als ob bei den vielen Gespräche zwischen Politikern und Parteien, die Frage nach der künftigen tschechischen Regierung, die ja eigentlich im Mittelpunkt stehen sollte, völlig nebensächlich ist.

Analytiker des politischen Geschehens können sich nun zumindest über ein Desinteresse der Medien nicht beschweren. Bei ihren Aussagen merkt man jedoch, dass diese mittlerweile bedeutend vorsichtiger formuliert werden, denn schließlich können dramatische Wendungen innerhalb von wenigen Stunden nicht ausgeschlossen werden.

Somit lassen sich angesichts der rasanten Entwicklung wirklich nur wenige Konstanten feststellen. Eine davon ist, dass unabhängig vom Ausgang des Tauziehens sich das politische Hauptmatch weiterhin zwischen den Chefs der beiden stärksten Parteien des Landes, Mirek Topolanek von den Bürgerdemokraten und Jiri Paroubek von den Sozialdemokraten abspielen wird, die ja zudem beide gleichzeitig formell Regierungschefs sind - der eine als designierter, der andere als amtierender, wie der Politikwissenschaftler Zdenek Zboril vom Prager Institut für internationale Beziehungen gegenüber Radio Prag erläutert:

 Mirek Topolanek  (Foto: CTK)
"Die Lage ist vielleicht nicht hektisch, sondern sehr unbeständig. Trotz allem sind die beiden Hauptakteure die gleichen geblieben, nämlich der designierte Premier Topolanek und der immer noch formell amtierender Regierungschef Paroubek. Einem ausländischen Beobachter mag dieses Interregnum, wo es de iure zwei Premierminister gleichzeitig gibt verwundern, aber es ist eine Situation, die nicht nur verfassungskonform ist, sondern die auch eine Art politischen Usus darstellt. Interessant ist zum Beispiel, dass der jetzige Präsident Vaclav Klaus, als er selber als Premier zurücktreten musste und ebenfalls eine Zeitlang neben dem neuen Regierungschef Josef Tosovsky regierte, diese Regelung, die der damalige Präsident Vaclav Havel getroffen hatte, kritisierte. Nun hat Klaus praktisch das Gleiche getan. Im Nachhinein lässt sich sagen, dass es vielleicht günstig ist, dass sowohl Topolanek wie auch Paroubek nun auf gleicher Augenhöhe sind, denn einer von beiden wird sich letztlich sicher durchsetzen. Genauso kann aber immer noch nicht ausgeschlossen werden, dass sich die ganzen Gespräche wieder festfahren. Diese Möglichkeit ist immer noch relativ groß."

Lassen sich hinter jenen Ereignissen, die sich in den letzten Wochen und Tagen regelrecht überschlagen haben aus der Sicht eines Politikwissenschaftlers überhaupt irgendwelche Gesetzesmäßigkeiten herauslesen? Scheinbar schon, denn vor ungefähr fünf Jahren hat der Politikwissenschaftler Zdenek Zboril noch zusammen mit einem anderen Kollegen einen viel beachteten Aufsatz über Gesetzesmäßigkeiten der tschechischen Politik veröffentlicht. Es waren insgesamt fünf Punkte, die Herr Zboril im Folgenden für Radio Prag etwas näher erläutert:

"Wir haben uns damals, als wir den Text verfassten, über die politischen Zustände in Tschechien ein wenig lustig gemacht. Wir konnten jedoch nicht ahnen, dass die politische Praxis der folgenden Jahre diese Thesen bestätigen würden. Der erste dieser Grundsätze ist das ostentative Misstrauen, dass in Tschechiens Politik anzutreffen ist. Das heißt, dass man sich nicht traut politische Vereinbarungen zu schließen, ohne dass diese zuvor mehr oder weniger geheim detailliert vor verhandelt werden würden. Der Öffentlichkeit werden dann bereits fertige Vereinbarungen vorgelegt und es gibt keine Diskussion darüber und zwar aus Angst, diese würden einer Debatte nicht standhalten. Die zweite Regel ist jene der gespielten Unfähigkeit. Das heißt, dass die Politiker manchmal so tun, als ob sie alle wie der gute Soldat Schwejk wären. Sie täuschen ihre Unwissenheit vor, in Wirklichkeit haben sie aber zu diesem Zeitpunkt eine Einigung schon längst in der Tasche. Die dritte Regel der tschechischen Politik ist dann die rituelle Verwerfung, das heißt, dass die handelnden Personen stets das verwerfen, was vorher vereinbart wurde - egal, ob es sich um etwas Positives, oder um etwas Negatives gehandelt hat. Die vorletzte Regel wäre die so genannte subversive Strategie, was heißt, anstatt gegeneinander, kämpfen die Parteien lieber untereinander. Die Konsequenz ist, dass Parteien, die sich vor Wahlen fast schon physisch bedroht haben, nun auf einmal fast problemlos eine Einigung erzielen können, weil die verschiedenen innerparteilichen Fraktionen eher dazu neigen, sich mit ähnlichen Fraktionen in anderen Parteien zu verbünden, als der eigenen Führung gegenüber loyal zu sein. Als Konsequenz dessen, und damit wäre ich bei der letzten Regel, schließen dann diese Parteien eine inhaltlose Vereinbarung. Das kommt einem Verrat an den Wählern gleich. Mit anderen Worten, das was vor den Wahlen verkündet wurde, gilt nicht mehr. Die ganzen Verhandlungen über die Verteilung von Mandaten ist dann ein Schauspiel, dem wir als Wähler mehr oder weniger beteiligt zuschauen."

Bei näherem Hinsehen ist es eigentlich erstaunlich, wie viele von diesen Regeln in den vergangenen Tagen auch wirklich eingetreten sind, wenn man zum Beispiel die Punkte "Verwerfung des bisher Beschlossenen", oder die "Festlegung auf inhaltsleere Abkommen" bedenkt.

Es ist jedoch anzunehmen, dass die Unfähigkeit der beteiligten Politiker nach fast drei Monaten immer noch keine tragfähige Regierung zusammenzustellen auch Konsequenzen für die politische Kultur des Landes haben könnte. Dazu meint der Politikwissenschaftler Zdenek Zboril vom Prager Institut für internationale Beziehungen abschließend:

"Wenn wir die Geschichte und Entwicklung der tschechischen Politik nicht kennen würden, würde ich sagen, dass die Folgen fatal wären. Da wir aber wissen, dass auch die Erste Tschechoslowakische Republik ähnliche Züge hatte, wenn sie vielleicht auch nicht so brachial waren, dann würde ich nicht zögern zu sagen, dass es da eine gewisse Tradition gibt und dass es eben in der tschechischen Politik immer schon so zugegangen ist. Dabei ist aber eine Konsequenz zu bedenken, der wir uns vielleicht gar nicht bewusst sind und zwar, dass sich die Unterhändler und Politiker, die nun die besagten inhaltsleeren Vereinbarungen treffen nicht zu Kenntnis nehmen, dass der Wähler nicht nur mit einer gewissen Passivität auf diese Entwicklungen reagiert, in dem er vielleicht nicht mehr zu den Wahlen kommt, sondern dass sich unter den Bürgern so etwas wie eine bürgerliche Unverantwortlichkeit breit macht. Diese Haltung lässt sich nicht auf Anhieb ausmachen, sondern sie gelangt durch die Hintertür in die politische Kultur. Der Bürger führt sich dann auch wie der gute Soldat Schwejk auf, das heißt als freiwillig verantwortungsloser Bürger. Das ist eine Gefahr, die beim ersten Anblick nicht ersichtlich ist, und kann das Defizit an Bürgerbewusstsein in der politischen Kultur noch weiter vertiefen."