Hat sich da grad was bewegt? - Regierungsverhandlungen in Tschechien

Dreierkoalitionen, Minderheitsregierung oder vorgezogene Neuwahlen: Das waren in den vergangenen knapp sechs Monaten die am häufigsten genannten Vorschläge, wie man zu einer neuen tschechischen Regierung gelangen könnte. Auch wenn die Politiker von Zeit zu Zeit Zuversicht verbreiten und versprechen noch vor Weihnachten ein neues Kabinett vorstellen zu wollen, verlaufen die Gespräche sehr zäh.

Sucht man in der gegenwärtigen tschechischen Innenpolitik nach irgendwelchen Konstanten, nach gleich bleibenden Größen, so kommt man sehr bald zum Schluss, dass es vielleicht überhaupt keine gibt und sich alles in einer permanenten Bewegung befindet. Die Spitzenvertreter der beiden größten Parteien des Landes, der rechtsliberalen Bürgerdemokraten und der Sozialdemokraten, die nun schon seit fast einem halben Jahr erfolglos über eine neue Regierung verhandeln, wechseln in regelmäßigen Abständen ihre Standpunkte. Einmal geben sie sich kompromiss- und gesprächsbereit und streben eine gemeinsame Regierung an; ein andermal graben sie sich wieder in den altbekannten und von der Gegenseite bereits wiederholt verworfenen Forderungen ein, bzw. sie üben sich in gegenseitigen Schuldzuweisungen.

Zurzeit scheinen die Weichen eher wieder auf Sturm gestellt zu sein, in dem die Sozialdemokraten am vergangenen Wochenende beschlossen haben vorübergehend alle Gespräche auf Eis zu legen.

Noch vor wenigen Tagen schien jedoch in die stockenden Verhandlungen eine nicht mehr für möglich gehaltene Dynamik gekommen zu sein. Der Auslöser waren die Ergebnisse der Kommunal- und Senatswahlen, die den Bürgerdemokraten einen klaren Sieg brachten und ihnen in einigen Großstädten in den Stadtparlamenten sogar komfortable absolute Mehrheiten bescherten. Trotzdem gingen die Bürgerdemokraten vielerorts erneut Koalitionen ein, und gegen den erklärten Wunsch von Parteichef und Premierminister Mirek Topolanek, erneuerte die ODS häufig auch die bisherigen Bündnisse mit den Sozialdemokraten.

Das führte auch auf der obersten Etage der Partei zu einem Umdenken, denn auf einmal schienen die Bürgerdemokraten mit den Sozialdemokraten wieder über eine gemeinsame, wenn auch zeitlich befristete Regierung sprechen zu wollen. Auch der Parteitag der ODS vor zwei Wochen hat diese neue Gesprächsbereitschaft untermauert. War dieser Meinungswandel wirklich nur durch die Ergebnisse der Wahlen bedingt? Das fragten wir den Prager Politikwissenschaftler Jan Kubacek:

"Es ist gleich zu einigen Entwicklungen gekommen, bzw. zum Zusammenspiel einiger Ereignisse, zum anderen hat sich gezeigt, dass die bisherigen Gespräche und auch die Rolle des Präsidenten bei diesen Verhandlungen nicht gerade erfolgreich waren. Schon wenige Wochen nach den Wahlen, also irgendwann im Juli hätte der Präsident dem Wahlsieger Mirek Topolanek ein starkes Mandat geben sollen. Das ist aber nicht geschehen. Zudem hat Topolanek auch lange einfach auf das falsche Pferd gesetzt, in dem er fast ausschließlich mit den kleineren bürgerlichen Parteien verhandelte, die zweitstärkste Partei, die Sozialdemokraten, aber völlig überging. Neu ist, dass der Ausgang der Senats- und Kommunalwahlen die Dinge in Bewegung brachte, was ein neues Phänomen darstellt. Neu ist aber auch, dass es jetzt praktisch ausschließlich um die künftige Rolle des sozialdemokratischen Vorsitzenden Jiri Paroubeks geht - ob er als Minister Mitglied der Regierung wird, oder aber ob er an die Spitze des Abgeordnetenhauses wechselt. Wichtig aber ist, dass überhaupt verhandelt wird und die Gespräche sich ihrem Abschluss nähern."

ODS-Vorsitzender Mirek Topolanek  (links) und CSSD-Vorsitzender Jiri Paroubek
Bis vor kurzem drehte sich die Debatte der Parteien ausschließlich um die Frage, wann in Tschechien vorgezogenen Neuwahlen stattfinden sollen. Es schien nur eine Frage der Zeit zu sein, bis die Wähler wieder an die Urnen gebeten werden. Nun ist aber der Ruf nach Neuwahlen deutlich leiser geworden. Einige Beobachter schließen nicht mehr aus, dass eine künftige Regierung sogar den Großteil der Legislaturperiode im Amt bleiben könnte. Für den Politikwissenschaftler Jan Kubacek ist diese Wendung nicht ganz so überraschend, wie er im Folgenden erklärt:

"Ich gestehe, dass ich eher zu denjenigen gehöre, die der Meinung sind, dass Neuwahlen, wenn überhaupt, eher später stattfinden werden. Es gibt nämlich mehrere unbekannte Größen, die mit der Situation der einzelnen Parlamentsparteien zusammenhängen. Die Christdemokraten befinden sich in einer inneren Krise und man kann nicht erwarten, dass sie sich Neuwahlen wünschen könnten. Die ehemals stabilen Kommunisten haben finanzielle Schwierigkeiten - nicht zuletzt auch, weil sie wegen des letzten Wahlergebnisses weniger Geld bekommen. Die Grünen wiederum können auch nicht sicher sein, ob es ihnen gelingt den Erfolg vom Juni zu wiederholen. Die Sozialdemokraten stehen in den Umfragen schlecht da und sogar die Bürgerdemokraten, die stabil vorne liegen, haben keine Sicherheit, dass sie ihre Wähler wieder so stark, wie im Juni motivieren könnten. Ich denke, dass es jetzt in Wirklichkeit um ein klassisches Mandat geht, das sogar die ganze Legislaturperiode dauern könnte. Im Jahr 2008 finden Präsidentschafts- und Regionalwahlen statt, ein Jahr später gibt es den ersten EU-Vorsitz Tschechiens. Die Wichtigkeit der Regionalwahlen für die ODS wird noch dadurch unterstrichen, dass sie zurzeit von 14 Kreishauptleuten gleich 13 stellt. Zudem hat sich gerade in den letzten Wochen gezeigt, dass diese Regionalpolitiker innerhalb der Partei eine immer stärkere Rolle spielen - hier könnten eben diese Politiker Interesse haben ihre eigenen Wahlen nicht mit einem nationalen Urnengang zu verbinden. Die werden also die Letzten sein, die einen solchen Wahltermin unterstützen würden, weil er sie bedrohen könnte."

Kann aber diese größere Distanz der Politiker zu allfälligen Neuwahlen nicht als Ausdruck einer gewissen Furcht vor dem Votum der Wähler interpretiert werden? Hat sich in den vergangenen Wochen das Verhältnis der Bürger zu ihren gewählten Vertretern verändert? Welchen Einfluss kann die Unfähigkeit der Politiker eine Lösung bei der Regierungsbildung zu erzielen auf die politische Kultur in Tschechien haben? Das fragten wir abschließend den Prager Politikwissenschaftler Jan Kubacek:

"Es stimmt, dass hier einige neue Phänomene aufgetaucht sind. Die erste Neuheit ist die relativ starke Emanzipation der Bürger von ihren Politikern. Das Land hat mehr als fünf Monate keine Regierung, aber die Öffentlichkeit leidet nicht irgendwie schwer darunter. Das Gleiche lässt sich praktisch auch über die Wirtschaft sagen. Das zeigt, dass die Bürger in einem gewissen Sinne unabhängig geworden sind und ihre Zukunft nicht mehr mit irgendwelchen großen politischen Zielen verbinden. Neu ist auch die Art und Weise, wie politische Kampagnen geführt werden. Politik wird nicht mehr als etwas Technokratisches verstanden und präsentiert, sondern mit viel Symbolik versehen, die Medien werden systematisch bearbeitet. Das wird ein längerfristiger Trend sein, genauso wie die starke Verknappung der politischen Auseinandersetzung auf das Duell zweier Parteien oder Persönlichkeiten. Das zeigt, dass sich die Parteien künftig nicht mehr durch Programme, oder ihre Mitglieder definieren werden, sondern durch die Spitzenpolitiker. Dieser appellative Stil, diese Politik der Volkstribune wird künftig sicherlich zu den Grundcharakteristiken der tschechischen Politik gehören."