Die Grenzen der Erkenntnis - der geniale Logiker Kurt Gödel wird 100
In der Öffentlichkeit ist sein Name kaum bekannt, in Fachkreisen gilt er als einer der bedeutendsten Denker des 20. Jahrhunderts: Am 28. April wäre der im südmährischen Brünn geborene Logiker und Mathematiker Kurt Gödel 100 Jahre alt geworden. Mit seinem Unvollständigkeitssatz hat Gödel nichts weniger als die Grenzen der mathematischen Erkenntnisfähigkeit abgesteckt. An Kurt Gödel erinnert Thomas Kirschner.
Es wäre in gewisser Weise die Vollendung der Mathematik gewesen: Die Grundlagen der Mathematik zu einem geschlossenen Bau zusammenzufügen, in dem nach formaler Logik vollständig eines aus dem anderen folgt. Die führenden Mathematiker des beginnenden 20. Jahrhunderts widmeten sich dieser Aufgabe, und niemand zweifelte daran, dass sie zu meistern ist - bis der 25-jährige Kurt Gödel 1931 mit seinem heute berühmten Unvollständigkeitssatz das Gegenteil bewies:
"Vor Gödel hatten wir nur zwei Möglichkeiten in der Mathematik: Ein Problem ist schon gelöst, oder wir warten, bis wir geschickt genug sind und die Methoden entwickeln, mit denen wir dieses Problem lösen können. Nach Gödel aber gibt es noch eine dritte Möglichkeit, nämlich die, dass das Problem überhaupt unlösbar ist, da die Methoden der Mathematik nicht ausreichen. Und das war natürlich eine Krise für das Selbstvertrauen der Mathematiker",
so Prof. Sy D. Friedman vom Kurt Gödel Research Center für mathematische Logik an der Universität Wien. Gödel hatte gezeigt, dass es in einem geschlossen System wie der Mathematik Aussagen gibt, die wahr sind, deren Wahrheit aber innerhalb des Systems formal nicht bewiesen werden kann - ungefähr so, wie man sich, mit einem schlichten Bild gesprochen, nicht selbst an den Haaren aus dem Sumpf ziehen kann. Die formale Erkenntnis hat prinzipielle Grenzen - ein Schlag an die Grundfesten der Naturwissenschaften, der nicht zuletzt auch die Vorstellung von geistigen Prozessen beeinflusst hat, erklärt der Physiker Prof. Jan Novotny von der Brünner Masaryk-Universität:
"Das wird meist so ausgelegt, dass menschliches Denken mehr ist als nur formale Operationen auszuführen, so wie es die Mathematik tut. Das ist schon eine philosophische Interpretation, aber auch rein mathematisch war Gödels Arbeit ein bedeutendes Ergebnis - im Allgemeinen gilt sie als wichtigster Schritt in der Logik seit Aristoteles."
In tragischem Kontrast zu seinen wissenschaftlichen Leistungen steht das persönliche Schicksal Kurt Gödels. In den vierziger Jahren war Gödel in die USA emigriert, in Princeton wurde er einer der engsten Freunde von Albert Einstein - der einzige, der mit Einstein auf gleicher Höhe diskutieren konnte, wie sich Zeitzeugen erinnern. Nach Einsteins Tod vereinsamt der verschlossene und menschenscheue Gödel, seine späteren Jahre sind von ausufernden Angstneurosen überschattet, die nur seine Frau, eine ehemalige Wiener Varietetänzerin, bändigen kann. Als sie nach einem Schlaganfall ins Krankenhaus muss, verweigert Kurt Gödel aus Furcht, vergiftet zu werden, die Nahrungsaufnahme. Er stirbt, kaum 30 Kilo schwer, am 14. Januar 1978 an Unterernährung.