„Die Macht für gute Dinge nutzen“ – Jourová über ihre Arbeit als Vizepräsidentin der EU-Kommission

Věra Jourová

Věra Jourová ist seit 2019 Vizepräsidentin der Europäischen Kommission. Im Team von Ursula von der Leyen ist die Tschechin für Werte und Transparenz zuständig. Gegenüber Radio Prag International spricht die Kommissarin über die Probleme mit russischer Propaganda und Fake News sowie über die Bedeutung freier Medien.

Sie sehe ihre Aufgabe darin, genau hinzuschauen, was in den Bereichen Recht, Demokratie und Wahlen in der Europäischen Union geschieht. So definiert es die Vizepräsidentin der Europäischen Kommission Věra Jourová. Denkt sie da vor allem an Polen und Ungarn? Die 58-jährige Politikerin verneint:

Věra Jourová | Foto: René Volfík,  iROZHLAS.cz

„Nicht nur. Wenn man allerdings zum Beispiel über Rechtsstaatlichkeit spricht, dann klingt das wie eine akademische Angelegenheit. Dabei sollten wir uns bewusst machen, dass dies viel mehr die Beschränkung von Macht bedeutet. Die Europäische Union ist nicht dafür gemacht, dass in ihr demokratische und autokratische Staaten koexistieren können.“

Derzeit bereite ihr vor allem die Propaganda von russischer Seite Kopfschmerzen, bekennt Jourová…

„Die russische Propaganda versucht, die Unterstützung der Europäer für den ukrainischen Friedenskampf zu untergraben. Dazu kommen unsere eigenen europäischen Lügenproduzenten. Es sind jene, die Wahlen gewinnen wollen und dabei nicht zögern, auch Fake News als Methode einzusetzen. Es ist heutzutage so viel einfacher, Lügen zu produzieren, wenn man sie über die sozialen Netzwerke und das Internet an viele Millionen Haushalte schicken kann.“

Illustratonsfoto:  Europäisches Parlament

Wie Věra Jourová einräumt, bemühen sich zwar die Regierungen in den meisten EU-Mitgliedsstaaten, ihre Bürger mit Fakten zu überzeugen. Doch treffe dies nicht auch auf jeden Politiker und jede Partei zu. Und leider seien politische Akteure, die der Lüge überführt wurden, heute nicht mehr unbedingt diskreditiert, so die EU-Kommissarin.

Allerdings gibt es in den 27 Mitgliedsstaaten auch Fälle, in denen den Regierungen selbst unwahre Behauptungen vorgeworfen wurde. So etwa dem früheren tschechischen Premier Andrej Babiš (Partei Ano). Er behauptete, nicht in einem Interessenskonflikt zu stehen wegen seiner Eigentümerrechte am Konzern Agrofert. Doch der Rechtdienst der EU-Kommission kam zu einem anderen Urteil. Gerade in solchen Fällen seien freie Medien wichtig, betont Jourová:

Foto: Engin Akyurt,  Pixabay,  Pixabay License

„Das ist genau die Arbeit für Journalisten. Das heißt, als erstes müssen die Medien frei, gut ausgerüstet und sicher sein, um die Machtausübenden kontrollieren zu können. Und die zweite Ebene sind die Wähler, die in der Lage sein müssen, ihre Entscheidung frei zu treffen. Deswegen gehen wir auch gegen versteckte Manipulationen vor, vor allem online. Ich bin gerade in den letzten Zügen von Verhandlungen über Regulierungen, die den Wählern eine klare Botschaft liefern sollen im Sinne von ‚Das ist politische Werbung‘ oder ‚Dies wurde von jemandem bezahlt, weil er die Wählerpräferenzen beeinflussen will‘.“

Umstrittener Media Freediom Act

Auf der erstgenannten Ebene soll wiederum der sogenannte Media Freedom Act helfen, dessen Entwurf die Europäische Kommission zu Ende vergangenen Jahres vorgestellt hat. Dieses Medienfreiheitsgesetz wendet sich laut Jourová gegen politische Einflussnahme, finanziellen Druck und die Macht großer Online-Plattformen. Zahlreiche Medienwissenschaftler, etwa auch aus Deutschland, sind allerdings der Meinung, dass dies keine Aufgabe der Europäischen Union sei, sondern in jedem Land selbst geregelt werden müsse. Die EU-Kommissarin will dies jedoch nicht gelten lassen…

Věra Jourová | Foto: Christophe Licoppe,  European Union

„Die Medienlandschaft ist sehr komplex, aber meine Antwort lautet: Es ist ein europäisches Thema, weil viele Medien grenzübergreifend arbeiten. Deswegen wollen wir sie gleichermaßen in ganz Europa geschützt sehen, in allen Mitgliedsstaaten. Ein weiterer Kritikpunkt kommt aus jenen Ländern, in denen man davon überzeugt ist, hohe Standards für den Schutz von Medien eingeführt zu haben. Dies sind vor allem die skandinavischen Länder sowie Deutschland und Österreich. Ich versuche überall meine Botschaft darzulegen, und sie lautet: Der Media Freedom Act bedeutet ein Minimum an Harmonisierung. Falls ein Staat höhere Standards hat, werden wir diese nicht antasten“, so Jourová.

Und wie die EU-Kommissarin weiter betont, gibt es auch Staaten in der Union, in denen die Standards zum Schutz von Medien deutlich hinter den geplanten Regeln hinterherhinken:

„Ich verstehe den Media Freedom Act als eine Art Sicherheitsnetz. Falls die Politiker in einem Mitgliedsstaat verrückt werden und die Regierung mehr Macht an sich reißen will, als sie haben sollte, dann sollte es einen Mechanismus geben, mit dem die Medien sich selbst schützen können.“

Foto: European Union

Dabei geht es aber auch um die Macht von Medienmoguln. Ein solcher ist der tschechische Milliardär Daniel Křetinský, der schon vor einiger Zeit begonnen hat, in Frankreich zu investieren. Dort sind Journalisten nun beunruhigt über eine mögliche Einflussnahme auf ihre Berichterstattung durch den neuen Investor. Dazu Jourová:

Daniel Křetínský | Foto: Filip Jandourek,  Tschechischer Rundfunk

„Ich möchte nicht über konkrete Eigentümer und Akquisitionen sprechen. Aber ich habe eine Botschaft für die französischen Bürger: Mein Media Freedom Act könnte die Lage verbessern. Und zwar weil wir Regeln für die Bewertung solch großer Investitionen auf den nationalen Medienmärkten einführen. Da geht es darum, ob solche Transaktionen möglicherweise den Pluralismus und die Meinungsvielfalt reduzieren.“

Auf der anderen Seite gesteht Jourová ein, dass Investoren ebenso für mehr finanzielle Sicherheit für Journalisten sorgen können. Um diese Gratwanderung zu meistern, werde noch weiter am Media Freedom Act gearbeitet, so die Politikerin.

Rückkehr nach Tschechien

Zum Ende ihres Gesprächs für Radio Prag International kommt Věra Jourová auch auf ihre persönliche Zukunft zu sprechen. Denn nach zehn Jahren in der Europäischen Kommission will sie kommendes Jahr nach Tschechien zurückkehren. In ihrem Büro in Brüssel sagt sie nun:

„Ich vermisse mein Zuhause. Das ist dort, wo man seine Freunde hat. Hier habe ich meine Kollegen, die fantastisch sind. Ich habe immer Heimweh, aber meine Arbeit hat mir die großartige Möglichkeit eröffnet, meine Macht hoffentlich für gute Dinge zu nutzen. Im Übrigen hat Václav Havel, dessen Portrait hier an der Wand hängt, einmal in einer Rede gesagt: ‚Als mir jemand sagte, ich hätte die Macht, bin ich misstrauisch gegenüber mir selbst geworden.‘ Ich möchte gerne nach Hause zurückkehren und meinem Land nützlich sein.“

Andrej Babiš und Věra Jourová | Foto: Regierungsamt der Tschechischen Republik

Derzeit ruht Jourovás Mitgliedschaft in der Partei Ano von Ex-Premier Andrej Babiš, den sie im Übrigen als EU-Kommissarin durchaus kritisiert hat. Vielleicht werde sie die Mitgliedschaft wieder aktivieren, gesteht die studierte Juristin und Kulturwissenschaftlerin ein. Aber sie wisse noch nicht, ob sie in ihrer ursprünglichen politischen Heimstätte eine Zukunft habe, betont Jourová.

Auf die Frage, ob sie vielleicht die erste tschechische Präsidentin werden wolle, sagt sie: Wer würde das nicht gern? Auch wenn mit Petr Pavel vor einem Monat gerade ein neues Staatsoberhaupt ins Amt eingeführt wurde, befürwortet Jourová für die Zukunft eine Frau an der Spitze des tschechischen Staates:

„Höchste Zeit! Wir hatten hierzulande noch keine Premierministerin und auch keine Staatspräsidentin. Selbst Ministerinnen sind eher selten, aber es gibt einige sehr fähige Frauen im Parlament. Ich denke, dass allgemein die Welt lebenswerter ist, wenn Entscheidungen gleichermaßen von Männern und Frauen getroffen werden. Das gilt auch für mein Land.“

Autoren: Till Janzer , Thibault Maillet
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