Die Madonna vom Dachboden: Nationalgalerie kauft wertvolle gotische Plastik
Es passiert sehr selten, dass hierzulande eine bisher unbekannte gotische Plastik im Original gefunden wird. Doch der Nationalgalerie in Prag gelang es nun, das ein solches Werk aus dem 14. Jahrhundert zu kaufen. Vor kurzem wurde der Neuzuwachs in den Sammlungen den Medien präsentiert.
Die Holzplastik zeigt die Madonna als Himmelskönigin oder Königin der Engel. Die Jungfrau Maria sitzt mit dem Jesuskind auf einem Thron, und dieser wird von drei musizierenden Engeln getragen. Das wertvolle Kunstwerk befand sich auf dem Dachboden eines Hauses in der Gegend von Most / Brüx. Die Hausbesitzer wollen anonym bleiben. Die Nationalgalerie Prag habe das Kunstwerk dank finanziellen Mitteln vom Kulturministerium kaufen können, erklärt Alicja Knast. Sie leitet die Nationalgalerie:
„Unsere Institution kaufte die Plastik von einer Privatperson für 4,5 Millionen Kronen (180.000 Euro, Anm. d. Red.). Wir schätzen die Unterstützung des Kulturministeriums sehr und sind davon überzeugt, dass uns fast ein Wunder gelungen ist. Ich bin mir sicher, dass die Madonna ein Schatz ist, den wir auch den nächsten Generationen übergeben werden, und zwar sowohl der Öffentlichkeit, als auch den Experten im Bereich Kunstgeschichte sowie Musikgeschichte. Die Plastik wird derzeit restauriert. Anschließend wird sie im Agneskloster ausgestellt.“
Große Freude über den Neuzugang in den Sammlungen der Prager Nationalgalerie brachte auch Kulturminister Martin Baxa (Bürgerdemokraten) zum Ausdruck.
„Es kommt selten vor, dass ein Kunstwerk aus dem Mittelalter und insbesondere aus dem 14. Jahrhundert gefunden wird. Die Hof- und die Sakralkunst, die in den Böhmischen Ländern damals entstand, war von europäischem Rang. Wir mussten diese Gelegenheit nutzen. Denn ich bin davon überzeugt, dass es die Pflicht des Staats ist, alles dafür zu unternehmen, um ein derart wertvolles Kunstwerk für staatliche Sammlungen zu gewinnen. Die Plastik beweist die hohe Qualität der Kunst in den Böhmischen Ländern.“
Gefragte Kunstwerke böhmischer Herkunft
Die Holzstatue wird „Madonna von Havraň“ genannt. Denn sie habe nachweisbar im 19. Jahrhundert in der Laurentius-Kirche in der Gemeinde Havraň / Hawran nahe Most / Brüx gestanden, erzählt Olga Kotková. Sie leitet die Sammlungen alter Kunst in der Nationalgalerie. Im Sommer habe sie mit einem ganzen Expertenteam daran gearbeitet, die Echtheit des Kunstwerks zu überprüfen, merkt Kotková an:
„Es war notwendig, der Madonna sozusagen unter das Kleid zu schauen. Ich war sehr neugierig und wollte von den Mitarbeitern unseres Chemielabors und den Restauratoren beispielsweise wissen, wie es mit dem Pigment ist, das mir nicht gefiel. Der Fund ist für uns aus dem folgenden Grund sehr wichtig: Bohemica, also Kunstwerke böhmischer Herkunft, finden sich auf dem Kunstmarkt nur sehr selten. Wenn sie dann schon mal jemand im Ausland anbietet, handelt es sich in der Regel um eine Auktion, und dort ist es nicht möglich, sie so gründlich zu studieren. Zweitens: Wenn Kunstwerke böhmischer Herkunft aus dem 14. Jahrhundert angeboten werden, kosten sie astronomische Summen.“
Kotková erinnert daran, dass 2019 ein Tafelgemälde angeboten wurde, das dem Meister von Hohenfurth zugeschrieben wurde. Die Prager Nationalgalerie nahm damals an der Auktion teil. Schließlich ersteigerte das New Yorker Metropolitan Museum das Kunststück für 6,2 Millionen Euro. Olga Kotková:
„Der Ausrufpreis war damals achtmal niedriger. Warum die Bohemica so teuer sind? Entweder mögen die ausländischen Sammler Kunstwerke aus Böhmen, oder aber kaufen sie die Kunststücke wegen ihrer hohen Qualität. Wenn wir diese Zahlen kennen, trauen wir uns zu sagen, dass wir die Madonna für einen günstigen Preis gekauft haben.“
Adam Pokorný leitet die Abteilung für Restaurierung in der Nationalgalerie. Zu den Forschungsarbeiten an der Madonna-Plastik sagt er:
„Wir haben uns für den Zustand interessiert, in dem sich das Werk befindet, und haben nach den Ursachen für die Beschädigungen gesucht. Gegenstand der Untersuchungen waren auch die Techniken des Schöpfers, welches Holz er benutzte, ob die Plastik aus einem Holzstück kreiert wurde, welche Technik für die Polychromie angewendet wurde und anderes mehr. Bei den ersten Nachprüfungen konzentrierten wir uns auf nicht-invasive Methoden, bei denen man die Statue gar nicht berühren muss. Neue Röntgen-Scanner haben uns ermöglicht, mehr über die Innenstruktur des Kunststücks zu erfahren.“
Informationen über Pigmente, die der Künstler vor Jahrhunderten benutzt hatte, wurden laut Pokorný dank Untersuchungen im Labor gesammelt. Die Experten haben nun noch vor, eine Computertomographie der Plastik durchzuführen. Adam Pokorný:
„Das, was wir hier sehen, sind nicht die ursprünglichen Farben der Holzplastik. Das Werk wurde einige Mal übermalt. Das Ziel unserer Arbeit ist aktuell festzustellen, welche Farben das Werk ursprünglich hatte und inwieweit die Originalfarben erhalten sind. Anhand dessen werden wir anschließend imstande sein, die künftige Arbeit der Restauratoren zu planen.“
Die sitzende Jungfrau Maria trägt ein Kleid mit einem Gürtel und einen Mantel. Sie hat eine hohe Stirn, eine kleine Nase und einen feinen Mund. Auf dem Kopf der Plastik befand sich ursprünglich ein Schleier. Dieser sei jedoch entfernt worden, sagt Markéta Pavlíková. Sie ist mit der Restaurierung der Statue beauftragt. Ein weiterer Defekt sei beim Jesuskind zu finden, so die Expertin:
„Es hat keine Hände. Der rechte Arm wurde erst nachträglich kreiert. Der Engel in der Mitte hatte ursprünglich Flügel. Es ist zu erkennen, dass diese abgeschnitten wurden. Und dem Engel auf der linken Seite, der eine Fidel in den Händen hält, fehlt der Bogen. Die Plastik wurde aus einem Stück Lindenholz geschnitzt. Von der Qualität des Werks zeugt die Tatsache, dass dafür ein fehlerfreies Holzstück von einem sehr großen Stamm benutzt wurde. Denn die Statue ist über 50 Zentimeter breit.“
Musizierende Engel
Die Madonna von Havraň entstand den Experten zufolge in den 60er bis 70er Jahren des 14. Jahrhunderts. Diese Vermutung wird auch durch die Existenz der beiden Musikinstrumente gestützt, die zwei Engel in den Händen halten. Es handelt sich um eine Quinterne und eine Fidel, die zu der Zeit zur üblichen Ausstattung von Musikern gehörten. Alicja Knast merkt an:
„Falls es sich wirklich um eine originale Fidel handelt, würde es sich um eine von sehr wenigen Darstellungen des Musikinstruments in Europa handeln. Wir können nur hoffen, dass dies auch für die Musikwissenschaft interessant sein wird.“
Die Forschungen zur Geschichte der wertvollen Plastik werden derzeit fortgesetzt. Der Name Havraň solle in der Verbindung mit der Madonna als der Fundort verstanden werden, meint Olga Kotková:
„Nach einer gründlichen Analyse des künstlerischen Stils sind wir mit meinen Kollegen zu dem Schluss gekommen, dass das Kunstwerk in der Werkstatt des Meisters der Madonna von Bečov (Petschau, Anm. d. Red.) entstanden sein muss und dass vielleicht sogar der Meister selbst die Plastik schnitzte. Diese Werkstatt befand sich in Prag und lieferte Kunstwerke, die im Auftrag kreiert worden sind, vor allem nach Nordböhmen. Es ist möglich, dass die Werkstatt auch eine bestimmte Zeit lang direkt in Nordböhmen tätig war. Wir haben diese Plastik mit der Madonna von Bečov verglichen, die in der Gegenwart in der Mariä-Himmelfahrtskirche in Most zu sehen ist. Dabei haben wir überzeugende Ähnlichkeiten gefunden. Im selben Stil wurde beispielweise auch die Madonna von Kerhartice (Gersdorf, Anm. d. Red.) gestaltet sowie einige Madonnen, die sich in Nürnberg befinden.“