Die Prag-Film AG – Kinematographie unter deutscher Okkupation

Hinter dem harmlosen Namen Prag-Film AG verbirgt sich ein mächtiges Instrument nationalsozialistischer Politik während der Okkupation. Die Produktionsfirma drehte von 1941 bis 1945 zahlreiche Filme in den Prager Barrandov-Studios – bestimmt für den „reichsdeutschen“ Markt. Die Filmwissenschaftlerin Tereza Dvořáková hat der Prag-Film AG ihre soeben auf Deutsch erschienene Studie gewidmet und sie im Berliner Tschechischen Zentrum vorgestellt.

Fließendes Heißwasser und Zentralheizung, gekühlte Speisekammern und elektrifizierte Küchen erleichtern der Hausfrau alle Sorgen. So ein neuzeitliches Wohnen in der Nähe der Fabrik ermöglicht allen eine sorglose Arbeit. Die Kinder, die Freude der Familie, verursachen den arbeitenden Müttern keine Sorgen mehr - ein Ausschnitt aus „Lachende Arbeit“, einem Film, den die Prag-Film AG produziert hat.

Tereza Dvořáková und Ivan Klimeš, der den Bereich Filmwissenschaften an der Karlsuniversität leitet, haben ins Tschechische Zentrum nicht nur das Buch, sondern vor allem Filme mitgebracht. Diese haben Namen wie „Das ABC der Kohle“ oder „Glück auf, Jugend“, so genannte Kulturfilme, die in den Kinos vor dem Hauptfilm gezeigt wurden. Was drehte Prag-Film außerdem? Tereza Dvořáková:

´Hochzeit im Korallenmeer´
„Die Produktionen von Prag-Film umfassten praktisch das ganze damalige Spektrum. Zunächst die Spielfilme: Hier handelte es sich um deutschsprachige Filme, die für das reichsdeutsche Publikum gedacht waren. Die Filme wurden allerdings auch im Protektorat und in anderen okkupierten Ländern gezeigt. Fertig gestellt wurden insgesamt zwölf Spielfilme. Außerdem existierte ein propagandistisch sehr agiles Studio für Kulturfilme, das der Dokumentarfilmer Kurt Rupli leitete. Dort wurden einerseits Filme gedreht, die tatsächlich kulturellen Themen gewidmet waren, dem Prager Barock beispielsweise oder dem Johann-Gregor-Mendel-Jubiläum. Daneben wurden ausgesprochen propagandistische Filme gedreht. Aber auch der Mendel-Film gibt zwar vor, ein Kulturfilm zu sein, tatsächlich propagiert er die Rassenpolitik.“

„Achtung, Achtung – Wer kennt den Besitzer dieser Gegenstände?“ So beginnt ein Film, in dem den Zuschauern ein Fahrrad und eine Aktentasche gezeigt werden. Nach dem Attentat auf Reinhard Heydrich fordern die Nazis die Prager zur Kollaboration auf. Völlig harmlos wirken dagegen die Zeichentrickfilme, die in einer eigenen Abteilung hergestellt wurden. Dazu Tereza Dvořáková:

´Hochzeit im Korallenmeer´
„In dieser Abteilung arbeiteten sehr viele Tschechen. Das waren vor allem Leute, die während der Okkupation keine Möglichkeit hatten, die Kunsthochschule zu besuchen. Anfangs herrschte eine gewisse künstlerische Freiheit. In dieser Zeit entstand der Film ´Hochzeit im Korallenmeer´. Der deutsche Trickfilmer Horst von Möllendorf eignete ihn sich künstlerisch an, als er die Abteilung übernahm. Später wurde der Film als Pionierwerk des tschechischen Animationsfilms bekannt und als tschechischer Film wahrgenommen, obwohl er in deutscher Produktion entstand. Überraschenderweise wird hier die Frage, wie sich die Nationalität eines Films feststellen lässt, gar nicht gestellt.“

Nicht nur in der tschechischen, sondern auch in der deutschen Filmgeschichte spielt die Prag-Film AG eine entscheidende Rolle. So Hans-Michael Bock von Cinegraph, dem „Hamburgischen Centrum für Filmforschung“:

„Das Barrandov-Studio wurde während des Krieges zu einer der wichtigsten Produktionsstätten des deutschen Films. Wenn man die Statistik sieht, dann ist der Anteil der deutschen Filme, die in Prag hergestellt wurden, an der Gesamtproduktion überdimensional groß. Das lag teilweise daran, dass das Studio vorher, in den dreißiger Jahren, modern ausgebaut wurde und zum anderen daran, dass Prag vor den Bombardierungen relativ sicher war. Prag war immer ein Lieblingsplatz für die deutschen Filmemacher und Schauspieler, weil sie dort angenehmer leben konnten, ohne die Bedrohung durch die Bomben.“

 Filmstudios Barrandov  (Foto: www.barrandov.cz)
Die deutsche Filmindustrie bekundete ihr Interesse an den Barrandov-Studios sehr früh und streckte gleich zu Beginn der Okkupation ihre Krallen nach den Prager Ateliers aus. Bereits im Sommer 1939 beschlossen die Protektoratsbehörden die Gründung einer Produktionsgesellschaft in Prag. Wie Prag-Film entstand, erklärt Tereza Dvořáková so:

„Die größte tschechische Filmgesellschaft, AB, die Miloš Havel, dem Onkel unseres ehemaligen Präsidenten gehörte, wurde arisiert und kam in die Hände eines so genannten Treuhänders. Die Deutschen übernahmen die Macht de facto bereits Anfang der vierziger Jahre, auch wenn Havel erst etwas später gezwungen wurde, seine Aktien zu verkaufen. 1941 wurde die Gesellschaft dann in Prag-Film umbenannt. Damit war ein Prozess abgeschlossen, der den Anschein wahrte, nach geltendem Recht abgelaufen zu sein, obwohl tatsächlich Druck ausgeübt worden war und er als illegitime Handlung zu bewerten ist.“

Minutiös hat Tereza Dvořáková in Archiven Dokumente zusammengetragen, die das skrupellose Vorgehen der Nazis illustrieren. Die nationalsozialistische Filmpolitik war jedoch keinesfalls einheitlich, sondern es kam zu Machtkämpfen zwischen Protektoratsbehörden und der Berliner Führung. Spannend wie ein Krimi nennt Hans-Michael Bock den Fall des Filmfunktionärs Karl Schulz, der nach einer steilen Karriere als Okkupationsgewinnler tief fiel und im Gefängnis landete:

„Interessanterweise wurde der Direktor des Prag-Film Studios angefeindet; aber sie konnten ihn, weil er von der Zentrale in Berlin gestützt wurde, nicht loswerden. Sie wiesen ihm dann aber nach, dass er ein paar Flaschen Kognak und etwas Rindfleisch auf dem schwarzen Markt besorgt hat. Dadurch konnten sie ihn stürzen.“

Nach den Plänen der deutschen Besatzer sollte der tschechische Film liquidiert werden – als Teil einer „Germanisierung des Raumes“. Tereza Dvořáková hat Dokumente gefunden, in denen dieser geheime Plan formuliert wurde. Tatsächlich ging die Produktion tschechischer Filme deutlich zurück. Da sämtliche Ateliers der Prag-Film gehörten, wurde tschechischen Filmemachern häufig der Zugang verweigert. Und nur zwei kleine Firmen durften überhaupt tschechische Filme drehen. Trotzdem erlebten die tschechischen Filme gewissermaßen eine Blütezeit, so Ivan Klimeš:

Die Studie von Tereza Dvořáková mit einem Aufsatz von Ivan Klimeš ist unter dem Titel: „Prag-Film AG 1941-1945. Im Spannungsfeld zwischen Protektorats- und Reichskinematographie“ in der Edition text + kritik erschienen.