Die Wähler zu den Urnen führen - Wahldiskussionen im Tschechischen Fernsehen
Die Wahlen zum tschechischen Abgeordnetenhaus rücken immer näher, in unseren Sendungen haben wir Sie in letzter Zeit immer wieder über die Ergebnisse unterschiedlicher Wahlumfragen informiert. Aus diesen Umfragen geht unter anderem hervor, dass es in Tschechien ein relativ hohes Potential noch unentschlossener Wähler gibt - nach jüngsten Erhebungen etwa 30 Prozent. Insbesondere diese Wähler will das öffentlich-rechtliche Tschechische Fernsehen (CT) durch seine Vorwahlberichterstattung in der Meinungsfindung unterstützen.
"Wir wollen ein Maximum gut informierter Wähler an die Urnen führen." Martin Krafl, Sprecher von Ceska televize, dem Öffentlich-rechtlichen Tschechischen Fernsehen, bringt unmissverständlich auf den Punkt, was das Ziel der Vorwahlberichterstattung ist, die die Öffentlich-rechtlichen - im Vergleich zu früheren Wahlen - deutlich erweitert und um neue Sendeformate ergänzt haben.
"Otazky Vaclava Moravce" ("Die Fragen von Vaclav Moravec") - zweifellos der wichtigste Eckpfeiler in der Vorwahlberichterstattung von Ceska Televize (CT). Die seit zwei Jahren ausgestrahlte politische Diskussionssendung des jungen Moderators, der sich bei der tschechischen Redaktion der BBC zum wohl prominentesten Fragensteller Tschechiens profiliert hat, ist seit Ende letzten Jahres die beliebteste Polit-Talkshow des Landes. Und beschert der zeitgleich ausgestrahlten Konkurrenz-Sendung "Sedmicka" auf dem privaten Sender "Nova" zunehmend sinkende Quoten.
Vor dem Hintergrund der bevorstehenden Wahlen zum Abgeordnetenhaus hat Ceska Televize seit Anfang März die "Fragen" von Vaclav Moravec erweitert: Zusätzlich zu der sonntäglichen Diskussion mit jeweils zwei führenden Politikern gibt es jetzt donnerstags die "Otazky Special", in denen sich bis zu den Wahlen am 2./3. Juni Spitzenkandidaten aus allen 14 Landkreisen Tschechiens den Fragen von Moravec und - das ist das Neue - der Zuschauer stellen werden. Vaclav Moravec:
"Inspiriert haben uns dabei Diskussionssendungen aus Deutschland, wo das Wahlsystem ähnlich ist wie in Tschechien. Und hinsichtlich der Zuschauerbeteiligung kommt das Vorbild aus Großbritannien, von der BBC, wo die Öffentlichkeit in die Fernsehdiskussionen der Wahlkandidaten einbezogen wird."Erstmals wird es in Tschechien wenige Tage vor den Wahlen auch ein Fernsehduell zwischen den Spitzenkandidaten der beiden stärksten politischen Parteien geben, ebenfalls vor Zuschauer-Kulisse. Der sozialdemokratische Regierungschef Jiri Paroubek und der Chef der konservativen Oppositionspartei ODS, Mirek Topolanek, werden sich am 28. Mai im Prager Kongresszentrum einen letzten politischen Schlagabtausch liefern.
Vorher jedoch bietet Ceska televize zunächst den Spitzenkandidaten aller Parteien, die nach unterschiedlichen Erhebungen Chancen haben ins Abgeordnetenhaus einzuziehen, eine Plattform. Bereits in acht der 14 tschechischen Landkreise haben sich die Kandidaten bereits der Diskussion mit Presse und Öffentlichkeit gestellt, die übrigen folgen in den kommenden Wochen. Bei der Vorbereitung dieser Sendungen arbeitet das öffentlich-rechtliche Fernsehen eng mit führenden Meinungsforschungsinstituten des Landes zusammen, die für jeden Landkreis die regionalen Spezifika hinsichtlich der Wählerpräferenzen ermitteln. Oberstes Gebot ist dabei absolute Aktualität, betont Vaclav Moravec:
"Es handelt sich um eine soziologische Erhebung, die das Meinungsforschungsinstitut STEM jeweils zwei Tage vor der Wahldebatte in dem jeweiligen Landkreis durchführt. Diese Daten werden also äußerst aktuell sein und hinsichtlich der Zahl der Befragten wird es sich um eine der breitesten Erhebungen handeln, die seit 1989 über die politischen Präferenzen tschechischer Wähler durchgeführt wurden."
Kritiker der Vorwahl-Diskussionen im öffentlich-rechtlichen Tschechischen Fernsehen werfen der Sendung einen fragwürdigen Umgang oder gar Manipulation mit Zuschauerbefragungen vor, die normalerweise ja eher in privaten Sendern üblich sind. Zwar betone der Moderator Vaclav Moravec immer wieder, es handele sich dabei nicht um repräsentative Erhebungen, wie sie von Meinungsforschungsinstituten durchgeführt werden. Das Stimmungsbild, das durch die Ted-Umfragen entstehe, präge sich den Fernsehzuschauern aber dennoch ein und sei irreführend und kontraproduktiv, meint etwa der Medienexperte Jiri Svoboda:
"Durch solche Befragungen kann man auch einen gegenteiligen Effekt erreichen: Wenn ein Politiker beim Fernsehpublikum viel Zuspruch erfährt - wie etwa im Fall des Aussiger Bürgermeisters Petr Gandalovic (ODS), mit über 50 Prozent Zuschauerstimmen - könnten sich die übrigen Fernsehzuschauer auch sagen: Die ODS hat ihr gutes Wahlergebnis ohnehin schon in der Tasche, da brauch ich gar nicht mehr wählen zu gehen, sondern fahr an dem Tag lieber ins Grüne. Und dann stellen sie auf einmal fest, dass ihr Nichtwählen fatale Folgen hatte "
Fragwürdig findet die Ted-Umfragen in der öffentlich-rechtlichen Vorwahlberichterstattung auch Petr Zantovsky, Leiter des Instituts für mediale Kommunikation und früheres Mitglied des Rundfunk- und Fernsehrats. Er weist darauf hin, dass die Medien die Realität durch die Präsentation von Umfragen nicht nur abbilden, sondern eine eigene Realität formen:
"Die Grünen-Partei ist dafür ein sehr gutes Beispiel. Die Grünen sind ganz eindeutig ein mediales Produkt. Ihre Stärke basiert heute zu 90 Prozent auf der Präsentation in den Medien. Als Jakub Patocka und Jan Beranek Parteichefs waren, sind die Grünen nicht in den Medien aufgetaucht. Der neue Vorsitzende Martin Bursik und seine Leute haben hingegen einen guten Draht zu den Medien gefunden und sind daher hier präsent. Und die Medien bilden die Grünen nicht nur ab, sondern formen das Bild von ihnen mit."