„Die Zeiten von Clinton und Havel sind vorbei“ – Politologe Kratochvíl über Tschechien und USA
Nach dem Wahlsieg von Donald Trump macht man sich in Prag auch Gedanken über die tschechisch-amerikanischen Beziehungen. Wie sich diese seit der politischen Wende entwickelt haben, und was nun zu erwarten ist, dazu ein Gespräch mit Petr Kratochvíl, Leiter des Instituts für Auslandsbeziehungen in Prag.
„Tatsächlich gab es Zeiten, in denen viele tschechische Politiker eine spezielle Beziehung zu den Vereinigten Staaten hatten. Das war in den 1990er Jahren. Diese Zeiten sind heute aber längst vorbei. Und auch damals handelte es sich eigentlich auch nur um einen frommen Wunsch von tschechischer Seite. Heutzutage ist Tschechien für die Amerikaner bestimmt nicht so wichtig wie zum Beispiel Polen. Und die amerikanische Diplomatie sieht die Entwicklung hier im Land eher in einer breiteren regionalen Perspektive. Man kann also nicht von speziellen Beziehungen zwischen Tschechien und den Vereinigten Staaten sprechen.“
Im tschechischen Bewusstsein ist allerdings weiterhin verhaftet, wie Bill Clinton im Jahr 1994 bei seiner Staatsvisite im Jazz-Club Reduta Saxophon gespielt hat. Gab es wenigstens zwischen dem damaligen tschechischen Präsidenten Václav Havel und Clinton eine besondere Beziehung?„Das stimmt, aber darin liegt gleichzeitig auch das Problem: Die Beziehungen waren damals sehr stark personalisiert. Zum anderen war es auch eine besondere Zeit. Die Länder unserer Region strebten nach einer Sicherheit vor Russland, und die Nato-Mitgliedschaft war eines der wichtigsten Ziele der tschechischen Außenpolitik. Heute haben wir hierzulande keine solchen strategischen Ziele mehr. Der außenpolitische Konsens fehlt in Tschechien, die Lage ist ganz anders. Die Zeiten von Clinton und Havel sind längst vorbei.“
Sie haben es bereits angedeutet: Tschechien ist im Vergleich zu Polen oder den baltischen Staaten zurückhaltender mit Kritik an Russland. Hat dies Bedeutung für die transatlantischen Beziehungen?„Es ist deutlich, dass die Wahrnehmung in Polen oder den baltischen Staaten anders ist als in Tschechien. Hierzulande wird zum Beispiel der islamische Fundamentalismus beziehungsweise die Terrormiliz ‚Islamische Staat‘ als ein viel größeres Problem gesehen als Russland. Natürlich wird die Gefahr durch Russland auch in Tschechien diskutiert, besonders in Zusammenhang mit der Krise in der Ukraine. Aber die tschechischen Reaktionen lassen sich mit denen in Polen überhaupt nicht vergleichen. Russland gilt hier nicht als die größte Gefahr für die Souveränität des Staates.“
Staatspräsident Zeman hat im Juni über die Möglichkeit gesprochen, Referenden über die tschechische Mitgliedschaft in EU und Nato zu veranstalten. Einige Politiker haben kritisiert, dass Zeman damit Zweifel an der Westbindung Tschechiens nährt. Werden Äußerungen wie die von Zeman in Washington, Ihrer Meinung nach, wahrgenommen? Hat so etwas vielleicht auf längere Sicht negative Konsequenzen für die tschechisch-amerikanischen Beziehungen?„Die Amerikaner haben erfahrene Diplomaten in Prag. Und sie wissen sehr gut, dass der Staatspräsident nur einen Teil des politischen Establishments in Tschechien repräsentiert. In der amerikanischen Diplomatie werden sicher die Annäherung Tschechiens an China analysiert und auch die vielschichtigen Beziehungen zu Russland. Aber jetzt mit Donald Trump als Präsident ist alles anders: ‚All bets are off‘, wie die Amerikaner sagen – wir müssen jetzt einfach seine ersten Schritte abwarten.“
Da möchte ich aber gern noch anknüpfen: Könnte der Wahlsieg von Trump zu Änderungen in den tschechisch-amerikanischen, oder man muss auch sagen: in den europäisch-amerikanischen Beziehungen führen?„Die zweite Frage ist wohl die richtige. Die Auswirkungen auf Tschechien sind mit der Politik des neuen amerikanischen Präsidenten gegenüber ganz Europa verknüpft. Wie wird beispielsweise die neue Nato funktionieren? Oder: Wie verändern sich die Beziehungen zwischen dem Weißen Haus und dem Kreml? Wird Trump dem russischen Präsidenten Putin freundlicher begegnen als zuvor Obama? Das wird auch die Zukunft der tschechisch-amerikanischen Beziehungen bestimmen.“
Donald Trump hat im Wahlkampf den Artikel fünf der Nato-Doktrin angezweifelt, also den Beistand aller, wenn eines der Nato-Mitglieder angegriffen wird. Blickt die tschechische Außenpolitik mit Befürchtungen auf diese Äußerung?„Die Befürchtungen sind, wie ich gesagt habe, nicht so groß wie in Polen oder in den baltischen Staaten. Die meisten Diplomaten hoffen, so glaube ich, dass dies nur ein Teil der Wahlkampf-Rhetorik war. Und dass sich alles ändern wird, wenn Trump das Präsidentenamt wirklich antritt. Da die Befürchtungen nicht so groß sind, wird auch die Aussage nicht so diskutiert, wie in den anderen Ländern unserer Region.“