Diplomatische Krise zwischen Tschechien und Russland vertieft sich
In Tschechien wird über weitere mögliche Schritte diskutiert, die die Regierung in der aktuellen diplomatischen Krise mit Russland unternehmen könnte. Für Mittwochnachmittag hat Vizepremier und Außenminister Jan Hamáček (Sozialdemokraten) den russischen Botschafter vorgeladen. Währenddessen heißt es, dass mehr als zwei russische Agenten 2014 an den Anschlägen in Vrbětice beteiligt gewesen sein könnten.
Am Samstag hat die tschechische Regierung 18 russische Diplomaten des Landes verwiesen. Dabei geht um zwei Explosionen im Munitionslager Vrbětice im Osten Mährens vor knapp sieben Jahren. Laut Ermittlungsergebnissen soll dahinter der russische Geheimdienst GRU stecken. Russland reagierte am Sonntag mit der Ausweisung von 20 Mitarbeitern der tschechischen Botschaft in Moskau. Diese Maßnahme sei unangemessen hart, sagte Vizepremier Jan Hamáček am Dienstag vor Journalisten:
„Für morgen habe ich den russischen Botschafter Smejewski vorgeladen. Ich werde unseren Protest zum Ausdruck bringen gegen das Vorgehen Russlands und ihn über unsere Reaktionen unterrichten.“
Wie die weiteren diplomatischen Schritte von Seiten Tschechiens aussehen könnten, ließ Hamáček jedoch offen. Der Verteidigungsausschuss des Abgeordnetenhauses hat indes am Dienstag einen konkreten Vorschlag gemacht. Jana Černochová (Bürgerdemokraten) ist die Vorsitzende des Gremiums:
„Wir fordern die Regierung auf, die Zahl der Diplomaten anzugleichen, die für Russland auf dem Gebiet Tschechiens arbeiten. Und dies entsprechend der Zahl der tschechischen Diplomaten auf dem Gebiet Russlands. Dies sind aktuell fünf oder sechs.“
Reporter des öffentlich-rechtlichen Tschechischen Fernsehens haben diese Zahlen konkretisiert: In Moskau halten sich demnach aktuell fünf tschechische Diplomaten und 19 Botschaftsmitarbeiter auf. In der russischen Vertretung in Prag hingegen arbeiten im Moment 94 Personen, von denen etwa 30 Diplomaten sind. Der Forderung nach einer Angleichung schlossen sich der außenpolitische Ausschuss des Abgeordnetenhauses sowie die Oppositionsparteien an.
Parallel dazu gab es einige Unruhe über die offizielle Definition dessen, was 2014 im Munitionslager Vrbětice passiert ist. Am Montag verkündete Premier Andrej Babiš (Partei), dass darin kein Akt von Staatsterrorismus zu erkennen sei. Vielmehr handle es ich um einen Angriff auf die Ware eines bulgarischen Geschäftsmannes. Nicht nur die Opposition protestierte. Auch die Parteiführung des sozialdemokratischen Koalitionspartners äußerte Kritik. Daraufhin ruderte Babiš am Dienstag im Abgeordnetenhaus zurück:
„Ich entschuldige mich dafür, dass ich das Wort ‚Ware‘ benutzt habe. Ich bedaure natürlich, dass dabei zwei unserer Mitbürger ums Leben gekommen sind. Das war nicht so gemeint. Ich habe nur das interpretiert, was uns gesagt wurde.“
Dabei müsse zwar von einem terroristischen Anschlag gesprochen werden, so Babiš weiter. Dieser sei aber nicht gegen Tschechien gerichtet gewesen. Diese Erklärung ergänzte der Premier mit der Ankündigung, dass das Finanzministerium eine Klage auf Schadensersatz gegen Russland vorbereiten würde.
Staatsanwalt Pavel Zeman, auf den sich Babiš berief, untersucht derzeit die Erkenntnisse des tschechischen Inlandsnachrichtendienstes BIS. Demnach wurde der Anschlag von den beiden russischen Agenten Anatoli Tschepiga und Alexander Mischkin verübt. Dagegen veröffentlichte am Dienstag die Zeitschrift „Respekt“ ihre Rechercheergebnisse, nach denen am Fall Vrbětice mehr Agenten beteiligt waren. Ondřej Kundra fasste im Tschechischen Fernsehen zusammen, was seine Redaktion in Zusammenarbeit mit dem investigativen Netzwerk Bellingcat herausgefunden hat:
„Vor und während der Operation haben sich im Land mindestens sechs Agenten des russischen Geheimdienstes GRU aufgehalten. Darunter war auch der Chef der Einheit. Dieser hat direkte Kontakte in den Kreml und zur Leitung des GRU.“
Konkret handelt es sich dabei um Andrei W. Awerjanow. Er gilt als der Kommandeur der Sondereinheit 29155, die außerhalb Russlands agiert und auch Morde ausführt. Dass Awerjanow offenbar persönlich in Vrbětice anwesend war, belegt laut „Respekt“ die Bedeutung der Operation für Russland.
Als einen weiteren Schritt zur Eindämmung des russischen Einflusses in Tschechien interpretiert die Zeitschrift gemeinsam mit dem Nachrichtenportal Aktualne.cz zudem einen Polizeieinsatz, über den am Mittwochvormittag berichtet wurde. In der Nacht zu Mittwoch ließ die Polizeizentrale zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens fünf Menschen mit tschechischer Staatsbürgerschaft festnehmen. Ihnen werden terroristische Aktivitäten im Zusammenhang mit den Kämpfen in der Ostukraine vorgeworfen, wo sie die selbsternannte prorussische Volksrepublik Donezk unterstützen sollen. Die Polizei twitterte am Morgen, dass der Vorgang nichts mit dem Fall Vrbětice zu tun hätte. Dagegen schreiben Aktualne.cz und „Respekt“, dass die Festgenommenen in Tschechien Kämpfer für die Donezker Separatisten rekrutiert und ihre Ausreise in die Ukraine organisiert hätten. Dies sei, so heißt es weiter, von den GRU-Agenten aus der russischen Botschaft in Prag koordiniert worden, die am Samstag ausgewiesen wurden.
Mit dem Fall Vrbětice befasst sich am Mittwoch auch der tschechische Senat.