Direktwahl des Präsidenten

Standarte des tschechischen Präsidenten

Standarte des tschechischen Präsidenten
Ende vergangener Woche starteten die Parteien des liberal-konservativen Parteienbündnisses Koalition, d.h. die Christdemokraten und die Freiheitsunion, eine landesweite Unterschriftenaktion. Deren Ziel ist es die Einführugn der Direktwahl des tschechischen Präsidenten zu erwirken. Dabei handelt es sich um einen bisher einmaligen Vorgang in der neueren tschechischen Politik, denn noch nie seit der Wende wurde auf dem Weg eines Volksbegehrens versucht ein Anliegen zu verwirklichen. Natürlich, wie so vieles in der Politik, ist aber auch diese Initiative kein Selbstzweck. Letzten Endes geht es nämlich auch darum auf dem Weg des unmittelbaren Kontaktes mit den Bürgern um Vertrauen nicht nur für die Idee einer Direktwahl des Staatsoberhaupts zu werben, sondern generell um Vertrauen für die Zwei-Parteien-Allianz. Und das hat die Koalition, wenn man sich an die Turbullenzen der letzten Wochen und Monate zurückerinnert, ziemlich nötig.

Würde man die Zustimmung der Bevölkerung zu diesem Vorhaben nur anhand der Umfragen.ableiten, dann wäre es eine ziemlich klare Angelegenheit. Seit mehr als drei Jahren wünschen sich nämlich die Tschechen gemäss repräsentativen Umfragen selbst über den Präsidenten zu bestimmen. Doch Umfragen sind eine Sache, eine völlig andere aber die Bereitschaft auch tatsächlich ein entsprechendes Begehren per Unterschrift zu unterstützen. Das weiss auch der Abgeordnete der Freiheitsunion Vladimír Mlynáø, wenn er im Gespräch mit Radio Prag absichtlich die sprichwörtliche Latte im Bezug auf die zu erwartende Zahl der Unterschriften unten anssetzt:

"Ich gestehe, dass es keine offizielle Messlatte für einen Erfolg, bzw. Misserfolg gibt. Meine persönliche Meinung ist, dass wenigstens eine halbe Million Unterschriften, zusammenkommen sollte. Soviele Unterschriften müssen es nämlich laut Gesetz sein, um in der Frage eine Volksabstimmung beschliessen zu können. Alles, was unter dieser Grenze liegen würde, wäre ein klarer Misserfolg. Wir setzen ganz enifach darauf, dass die Bürger mehr Beteiligung an den politischen Entscheidungen wünschen und sie es satt haben das Spielfeld ausschliesslich den politischen Parteien zu überlassen, bzw. höchstens einmal in vier Jahren diese Möglichkeit zugestanden zu bekommen."

Obwohl die Unterschriftenaktion bereits angelaufen ist und gute Chancen auf Erfolg hat, ist bei weitem noch nicht sicher, dass es bereits im Januar 2003, wenn also die Amtszeit des jetzigen Präsidenten Václav Havel ausläuft, zu einer Volkswahl kommen würde. Dazu bedarf es einer Verfassungsänderung, die jedoch jetzt kurz vor den Wahlen wohl kaum durchzusetzen sein wird. Und im Herbst könnte dann die Zeit sehr knapp werden. Das gesteht auch Vladimír Mlynáø ein, auch wenn er etwas zweckoptimistisch meint:

"Theoretisch lässt sich das natürlich schon schaffen. Denn die damit zusammenhängende Verfassungsreform erfordert vor allem eines - nämlich gewissen politischen Mut und den den Willen dazu. Unter diesen Vorrausetzungen liesse sich das schon schaffen. Wichtig wäre dann allerdings, dass die entsprechenden Beratungen im Parlament sofort nach den Wahlen beginnen, also gleich während der ersten Sitzungen, damit keine wertvolle Zeit verloren geht."

Würde die Einführung der Direktwahl des Präsidenten gelingen, wäre das ein Novum in der tschechischen Verfassungstradition. Bisher war es nämlich Aufgabe des Parlaments das Staatsoberhaupt zu wählen und zwar schon seit den Tagen der ersten Tschechoslowakischen Republik. Im Jahr 1918, als die Tschechoslowakei gegründet wurde und es völlig unbestritten war, dass Professor Tomá^Ú Masaryk der erste Präsident sein wird, soll eben Masaryk gefragt worden sein, wie er sich wünschen würde gewählt zu werden. Masaryk soll sich damals, laut dem Historiker Antonín Klimek, ohne länger zu zögern, für eine Parlamentswahl ausgesprochen haben. Erstens, weil das Prozedere im Parlament schneller zu verwirklichen wäre, anderseits aber auch, weil er gewisse Befürchtungen vor der demokratischen Unreife der damaligen Bevölkerung hatte.

Nur einmal wurde in den vergangenen 84 Jahren eine Direktwahl des Staatsoberhaupts ernsthafter ins Auge gefasst. Das war unmittelbar nach dem Sturz des kommunistischen Regimes im November 1989. Während das oppositionelle Bürgerforum auf der Beibehaltung des bisherigen Wahlmodus bestand und sich auch letzten Endes durchsetzte, forderten jedoch erstaunlicherweise die Kommunisten eine Volkswahl. Die KP versprach sich davon gewisse taktische Vorteile, weil sie als einzige Partei über ein dichtes Netz von Ortsgruppen verfügte und somit für Kampagnen jeglicher Art gut gerüstet schien. Nicht zuletzt auch aus diesem Grund wurde in den letzten Wochen am Vorhaben der Koalitionsparteien vereinzelt Kritik geäussert. Die Freiheitsunion und die Christdemokraten wollten auf diese Art und Weise das parlamentarische System, so wie seinerzeit die Kommunisten, schwächen, lautete der Vorwurf. Der Abgeordnete Vladimír Mlynáø hält das für absurd und sieht, wie er gegenüber Radio Prag meint, spätestens seit Ende letzten Jahres die Chancen auf Erfolg gestiegen, nachdem sich die Sozialdemokraten mehrheitlich für eine Direktwahl ausgesprochen haben:

"Die Sozialdemokraten haben die Idee der Direktwahl aufgegriffen, nachdem sie parteiintern eine Umfrage durchgeführt haben. Wichtig für uns ist deshalb, dass die Partei bereits ihre Bereitschaft deklarierte mit uns darüber nach den Wahlen verhandeln zu wollen. Eindeutig dagegen haben sich bislang nur die Kommunisten und die Demokratische Bürgerpartei ausgesprochen. Wir haben zwar momentan noch keine verfassungsändernde 3/5 Mehrheit beisammen, aber ich nehme an, dass es nach den Wahlen zu einigen Verschiebungen zu Gunsten der Einführung einer Direktwahl kommen wird."

Einen ähnlichen Weg, wie ihn jetzt die Parteien der Koalition vorschlagen, sind bereits vor einigen Jahren die oppositionellen Parteien in der benachbarten Slowakei gegangen. Zunächst wurden dort ebenfalls Unterschriften gesammelt, um die Direktwahl zu erwirken. Als dann die Parteien im Herbst 1998 an die Macht gelangten, setzten sie ihr Wahlversprechen sofort um und im Mai 1999 wählten die Slowaken mit Rudolf Schuster zum erstenmal ihren Staatschef direkt. Seither sind einige Jahre vergangen und die anfängliche Begeisterung ist einer relativ grossen Enttäuschung gewichen. Die Direktwahl stärkte zwar einerseits die Legitimität und das Mandat des Präsidenten, verleitete ihn aber oft zu Versuchen seine reale, durch die Verfassung gegebene politische Macht, zu überschreiten. So legte er sich oft mit der Regierung und dem Parlament an und trug somit zum relativ grossen Ansehensverlust des Präsidentenamtes in der Slowakei bei. Droht aber Tschechien bei einer Direktwahl des Staatsoberhaupts auf grund der recht ähnlichen politischen Kultur in den beiden Staaten nicht etwas ähnliches? Vladimír Mlynáø meint dazu im folgenden:

"Da habe ich keine Befürchtungen, denn ehrlich gesagt, ist es in der Vergangenheit auch zwischen dem heutigen, parlamentarisch gewählten Präsidenten und der Regierung, bzw. dem Parlament in einigen Fällen zu Konflikten gekommen. Das gehört eben zum Wesen der Politik dazu und das wird es auch immer wieder geben. Aber ich meine, dass es mehr darauf ankommt, welche Persönlichkeiten an der Spitze des Parlaments, der Regierung und im Präsidentenamt sitzen. Es kommt eben auf die menschliche Qualität und den persönlichen Amtsstil an. Das hat eigentlich in meinen Augen mit der Art der Bestellung des Präsidenten nur wenig zu tun."

Eine weitere Frage, die immer wieder gerade in diesem Zusammenhang ins Spiel gebracht wird ist die nach einer möglichen Änderung der Kompetenzen eines direkt gewählten Präsidenten. In Tschechien liegt es z.B. immer noch am alleinigen Ermessen des Präsidenten, wen er nach Wahlen mit der Regierungsbildung beauftragt, wobei er sich nicht an deren Ergebnisse zu halten hat. Ein weiteres Themenfeld ist die relativ uneingeschränkte Möglichkeit des tschechischen Staatsoberhautps Begnadigungen auszusprechen. Vladimír Mlynáø hat in dieser Angelegenheit keine eindeutige Position, wenn er abschliessend meint:

"Es wäre vielleicht angebracht, aber ich meine, dass das nicht notwendig ist. Unser Vorschlag geht davon aus, dass auch ein direkt gewählter Präsident die gleichen Machtbefugnisse, wie der jetzige haben sollte. Wie sie ja wissen, gab es in den letzten 12 Jahren immer wieder Bestrebungen von Seiten bestimmter Politiker die präsidialen Kompetenzen einzuschränken. Dabei handelte es sich um eine starke Zweckgesetzgebung mit dem Ziel die Macht Václav Havels noch mehr einzuschränken - es war also stark auf Havel bezogen. Ich meine aber sogar, dass wir die Einführung der Direktwahl zum Anlass nehmen könnten wirklich erntsthaft über mögliche Kompetenzänderungen zu diskutieren und die Sache somit ein für alle mal zu lösen."