Dokumentiert und improvisiert: Fall Mauer Fall
Seit vergangenem Jahr hat sich das deutsch-tschechische Kabarett To téma / Das Thema in der grenzüberschreitenden Kulturszene etabliert. Nun hat das Ensemble weitere Kollegen eingeladen und zusammen mit ihnen ein neues Stück auf die Beine gestellt. Es heißt Fall Mauer Fall oder auf Tschechisch: Zeď nám spadla. Dieses knüpft nur zum Teil an die erste Inszenierung an, stattdessen gibt es viele Neuerungen.
Zwar hat auch die neue Inszenierung einigen Wortwitz, doch insgesamt ist sie deutlich ernster als das erste Stück vom Kabarett-Ensemble To téma / Das Thema. Für Philipp Schenker ist das aber ganz normal. Er habe in den vergangenen Jahren viel Dokumentarisches Theater gemacht, verrät der in Prag lebende Schweizer:
„Ich mag das deshalb, weil man dem Publikum seine eigenen Geschichten erzählt. Es geht nicht darum, dass meine Geschichte die interessanteste ist. Meine Erfahrung ist aber, dass dies das Publikum dazu inspiriert, über seinen eigenen Bezug zum Thema nachzudenken. Natürlich haben wir keine Zeit, mit allen nach der Vorstellung darüber zu diskutieren. Aber für mich hat das einen Wert – egal ob es mit mehr oder weniger Humor ist –, und deswegen macht es Spaß.“
Jeder hat seine Geschichte
Auf der Bühne stehen aber nicht nur Philipp Schenker und sein Kabarettpartner Roman Horák, sondern auch Mitglieder des Ensembles Ernst von Leben aus Bamberg. Kennengelernt hat man sich in Regensburg. Zur ersten Begegnung kam es im Kulturklub Degginger.
„Ernst von Leben sind zufälligerweise an dem Klub vorbeigegangen. Und Sven, unser drittes Mitglied aus dem deutsch-tschechischen Kabarett, hat sie draußen angeworben: ‚Hey, wollt ihr nicht reinkommen, wir haben heute eine Vorstellung.‘ Das war noch vor der Aufführung. Und sie sagten: ‚Wir würden ja sehr gerne, aber wir haben heute Abend ebenfalls eine Vorstellung.‘ Sie haben also woanders gespielt, sind aber danach ins Degginger gekommen. Wir haben dann über unser Projekt gesprochen und dass wir Partner suchen. Sie meinten, dass wir uns austauschen sollten. So ist es entstanden“, schildert Roman Horák.
Dabei sei man schon ein wenig unter Zeitdruck gewesen, wie Philipp Schenker gesteht:„Wir mussten einen Termin beim Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds einhalten, der uns dankenswerter Weise unterstützt hat. Wir haben dann einfach nachgehakt beim Ensemble Ernst von Leben, ob sie wirklich ernsthaft Interesse haben. Und wir haben auch noch Heda Bayer aus Chemnitz kontaktiert, sie hat ebenfalls zugesagt.“
Die gebürtige Tschechin Heda Bayer hat an der Theaterhochschule Damu in Prag studiert, lebt und arbeitet aber seit zwölf Jahren in Chemnitz. Sie sagt:
„Das Grundthema war klar, doch wir haben unglaublich viel recherchiert, diskutiert und versucht, wie dieses Thema auf die Bühne gebracht werden kann. Es war gar nicht einfach, eine Form zu finden. Und wir haben gegen Ende quasi alles noch einmal umgeschmissen und sind neu herangegangen. Denn das Einzige, was sich wirklich bewährt hat, war absolute Ehrlichkeit – und wenig oder gar nicht zu inszenieren.“
So kommt es zum Beispiel bei der Aufführung auch zu einer Diskussionsrunde, in die das Publikum eingebunden wird. Bei der Vorpremiere für geladene Gäste waren einige der Besucher durchaus überrascht. Das wiederum erstaunt Jakob Fischer von Ernst von Leben nicht sonderlich, wie er unmittelbar nach der Aufführung meinte…
„Ich könnte mir vorstellen, dass im Moment gerade viel diskutiert wird. Eigentlich wurde schon während der Vorstellung diskutiert. Das ist auch genau unsere Intention gewesen. Wir wollten uns nicht in etwas Artifizielles abheben, sondern nahe am Publikum sein. Wir wollten am Ende einen Diskurs auf die Bühne bringen. Das war uns letztlich wichtiger, als Witze zu machen in Bezug auf dieses Thema.“
Außerdem sagt Jakob Fischer:
„Das Ensemble Ernst von Leben ist ein Improvisationstheater. Für uns ist die Interaktion mit dem Publikum eine Essenz. Dass das immer etwas Unerwartetes hervorbringt, ist für uns gängige Praxis. Dass es dann auch wirklich auch um Politik geht, um ernsthafte Themen, um Dinge, die Kontroversen mit sich bringen – das war nicht direkt zu erwarten, aber ehrlich gesagt besonders erfreulich.“
Interaktion mit dem Publikum
Und auf der Bühne bringt beispielsweise die österreichisch-tschechische Schauspielerin Markéta Richter eine weitere Sicht ein: die eines Kindes tschechoslowakischer Dissidenten. Sie hatte auch schon bei der ersten Inszenierung von To téma / Das Thema mitgespielt. Deswegen sagt Philipp Schenker:„Wir fanden es sehr wichtig und richtig, zu diesem Thema eben einen westdeutschen und einen ostdeutschen Partner zu haben. Dazu kommen wir als mit Nationalitäten durchmischtes tschechisches Ensemble. Das sollte auch auf der Bühne zu sehen sein. Es geht nicht darum, dass wir alle gleich sind. Sondern wir haben auch künstlerisch ein Format und einen Weg für den Austausch gesucht.“
Die neue Inszenierung läuft gerade erst an. Und Heda Bayer findet:
„Ich denke, dass uns das echte Abenteuer erst noch erwartet. Heute hatten wir eine bestimmte Resonanz, aber in Bamberg wird sie ganz anders sein und in Chemnitz noch einmal anders. Darauf freue ich mich wahnsinnig.“
Fall Mauer Fall wird in dieser Woche an den genannten Orten in Deutschland aufgeführt. Und zwar am Dienstag und Mittwoch (17. Und 18. Dezember) in den Haas-Sälen in Bamberg. Und am Donnerstag und Freitag im Theater Komplex in Chemnitz.