„Ein ganz großer Schritt“ – Premier Nečas im bayerischen Landtag
Es war der erste offizielle Besuch eines tschechischen Premierministers in Bayern. Petr Nečas gab sich betont versöhnlich und sprach in seiner Rede im bayerischen Parlament offen die Vertreibung der Sudetendeutschen an. Dies fand die Begeisterung der Abgeordneten. Mehr zum Besuch in der heutigen Ausgabe der Sendereihe „Schauplatz“.
„Wir sollten diese Prüfung annehmen, und wir sollten dabei ehrlich sein. Wir bedauern, dass durch die Vertreibung der Sudetendeutschen aus der ehemaligen Tschechoslowakei, durch die Enteignung und Ausbürgerung, unschuldigen Menschen viel Leid und Unrecht zugefügt wurde. Und das auch mit Blick auf die Annahme einer Kollektivschuld.“
Es war vor allem diese Entschuldigung, die auf offene Ohren traf – und das, obwohl sie fast wörtlich mit einer Passage aus der deutsch-tschechischen Erklärung aus dem Jahr 1997 übereinstimmte. Nach seiner Rede applaudierten die Abgeordneten begeistert, und auch die Vertreter der Sudetendeutschen Landsmannschaft auf der Zuschauertribüne stimmten mit ein. Noch 1997 war die Deutsch-Tschechische Erklärung sowohl der Landsmannschaft, als auch der CSU zu wenig gewesen. Über 15 Jahre später jedoch zeigte sich Bernd Posselt, der Sprecher der Sudetendeutschen Volksgruppe, beeindruckt:„Aus einem angekündigten kleinen Schritt ist ein sehr großer geworden, und ich bin sehr beeindruckt. Nečas hat aus einer gemeinsamen Perspektive, aus unserer gemeinsamen Geschichte argumentiert und die Wiederbelebung der Gemeinsamkeit in einem europäischen Geist als Ziel entworfen. Das ist etwas, was uns sehr positiv beeindruckt. Nečas ist in der Diktion der Aussagen zur Vertreibung über Havel hinausgegangen – das ist wirklich ein ganz großer Schritt.“
In der Diskussion über eine Gültigkeit der Beneš-Dekrete und mögliche Entschädigungen an ehemalige deutsche Bürger der Tschechoslowakei bezog der tschechische Premier jedoch eine eindeutige Stellung:„Es ist allerdings zweifellos klar, dass wir nicht in die Zeit vor 80 Jahren zurückkehren können. Wir müssen uns eingestehen, dass sich nur sehr wenig von dem, was Schlechtes in der Geschichte geschehen ist, wiedergutmachen lässt. Die Suche nach einer gemeinsamen Interpretation der Geschichte bietet eine moralische Genugtuung, es wird jedoch nicht möglich sein, die Vorkriegs-Besitzverhältnisse wiederherzustellen.“
Bernd Posselt war dies durchaus bewusst, wie er dem Tschechischen Rundfunk beim Dachau-Besuch der beiden Premierminister sagte. Für ihn sind tatsächlich die kleinen Schritte der Aussöhnung wichtiger:
„Ich freue mich über eine Vereinbarung zwischen dem sudetendeutschen Museum und dem in Entstehung begriffenen Museum in Aussig (Collegium Bohemicum, Anm. d. Red.). Hier entstehen zwei Leuchttürme der Zusammenarbeit in der kompetenten Geschichtsaufarbeitung und der kulturellen Kooperation. Natürlich, vieles geht nicht, das muss man akzeptieren - und es geht vieles nur langsam, das muss man auch akzeptieren. Wenn man aber jedes Mal einen Schritt nach vorne macht und keinen zurück, dann ist es der richtige Weg.“ Dass die Vertreibung der Sudetendeutschen und die Beneš-Dekrete im Wahlkampf um das Präsidentenamt der Tschechischen Republik Thema waren, hat den Europaabgeordneten Posselt nicht verwundert:„Ich habe immer gesagt: Der gemeinsame Landsmann von Tschechen und Sudetendeutschen ist Sigmund Freud. Sigmund Freud lehrt uns: Wenn man etwas unterdrückt, dann kommt es immer im falschen Moment besonders heftig hervor. Man hat das Thema tabuisiert und unterdrückt - und plötzlich ist es wieder explodiert. Diese Gefahr droht immer wieder. Deshalb glaube ich, dass es vernünftig und sinnvoll ist, die Dinge langsam, aber wirkungsvoll aufzuarbeiten.“
Deshalb hat der tschechische Premier auch angekündigt, vor allem die historische Aufarbeitung durch Geschichtsprojekte voranzutreiben. Er kündigte eine gemeinsame tschechisch-bayerische Landesaustellung an und lenkte den Blick auf die regionale Zusammenarbeit:
„Ein untrennbarer Bestandteil dieses Prozesses sollte die Unterstützung der regionalen Geschichte sein, zum Beispiel die Arbeit der tschechisch-deutschen Historikerkommission oder anderer Fachinstitutionen. Ich sehe großes Potential in der neu entstandenen Stiftung Egerwald (Chebský les), im Tschechisch-Deutschen Zukunftsfonds und im Tschechisch-Deutschen Diskussionsforum, die sich alle sowohl den Orten gesellschaftlicher Erinnerung wie auch aktuellen Themen unserer Beziehungen widmen. Ich würde es begrüßen, wenn diese Institutionen auch die tschechisch-bayerischen Beziehungen akzentuieren würden. Wir werden auch weiterhin das Collegium Bohemicum unterstützen, das sich Projekten der tschechisch-deutschen und tschechisch-bayerischen Nachbarschaft widmet.“ Die Aufarbeitung der Geschichte und viele tschechisch-bayerische Gemeinsamkeiten, hergeleitet aus eben dieser Geschichte – das prägte den Besuch. In Tschechien stieß die Visite in München größtenteils auf Zustimmung. Karel Schwarzenberg, Außenminister und Vorsitzender von Nečas´ Koalitionspartner Top 09, bezeichnete die Rede des Premiers als Durchbruch. Auch die Sozialdemokraten (ČSSD), die größte Oppositionspartei, zeigten sich zufrieden. Der stellvertretende Vorsitzende Lubomír Zaorálek sagte, er empfinde großen Respekt vor den Worten des Premiers.Die konservative tschechische Tageszeitung Lidové Noviny kommentierte, mit der Wiederholung der Worte aus der Tschechisch-Deutschen Erklärung von 1997 sei Nečas an die Grenzen des Möglichen gegangen. Warum das so ist, erklärt der Publizist Petr Brod, Mitglied des Verwaltungsrates des Tschechisch-Deutschen Zukunftsfonds:
„Schon vor 1997 hatte es eine mehrjährige Diskussion zwischen Tschechien und Deutschland über die Erklärung gegeben. Der Text war also sehr gründlich bearbeitet worden. Aber für einige Leute, zum Beispiel für die Kommunisten oder für Menschen, die sich nicht damit abfinden konnten, dass die Beziehungen nun einen völlig anderen Charakter haben würden als früher, enthält der Text bis heute einige unangenehme Formulierungen.“So waren es auch die Kommunisten, die heftige Kritik am Besuch Nečas´ in Bayern äußerten. Sein erniedrigender Auftritt habe nur gezeigt, dass Nečas nicht in der Lage sei, den Vorsitz eines souveränen Staats der Europäischen Union zu führen. Der Besuch eines deutschen Bundeslandes habe gemäß der Verfassung eher durch den Hauptmann eines benachbarten Kreises zu erfolgen, so der Vorsitzende der Kommunistischen Partei Böhmen und Mähren, Vojtěch Filip.
Die linksgerichtete Tageszeitung Právo forderte in einem Kommentar am Freitag aber auch, dass es nun an der Zeit sei für die Sudetendeutschen, sich für die Kollaboration mit den Nationalsozialisten und für ihren Teil an der Zerschlagung der demokratischen Tschechoslowakei zu entschuldigen. Dieselbe Forderung erschien in seltener Einmütigkeit auch in der Tageszeitung Lidové Noviny.