„Ein unglaublicher Einblick in die EU“ – Liaison Officers bei der tschechischen Ratspräsidentschaft

Inga Berg und Martin Rumler im Studio von Radio Prague International

Mit dem bevorstehenden Jahreswechsel endet für Tschechien auch der aktuelle Vorsitz im Rat der Europäischen Union. Bei den informellen Ministertreffen, bei dem Gipfeltreffen in Prag und den weiteren Veranstaltungen waren über 90 sogenannte Liaison Officers im Einsatz. Diese haben die Delegationen aus den anderen EU-Mitgliedsstaaten bei ihrem Aufenthalt in Tschechien auf Schritt und Tritt begleitet. Verantwortlich für die Staatsgäste aus Deutschland waren die Konferenzdolmetscherin Inga Berg und der Student Martin Rumler. Wir haben die beiden vors Mikrophon gebeten und nach ihren Erfahrungen während der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft befragt.

Inga Berg und Martin Rumler | Foto: Ferdinand Hauser,  Radio Prague International

Inga, Martin, was waren eigentliche Eure Aufgaben als Liaison Officers?

Inga Berg: „Der Liaison Officer ist das Bindeglied zwischen der Gastgeber-Institution und den ausländischen Delegationen – in unserem Fall das tschechische Regierungsamt und die Gäste aus Deutschland. Die Delegationen akkreditieren sich eigentlich alle im Voraus online. In der Praxis gibt es aber viele Dinge, die man noch abklären muss: von der Unterkunft, über den Anreisetermin oder vegetarische Verpflegung bis hin zu Ummeldungen von Teilnehmern. All das haben wir im Vorfeld organisiert. Dann haben wir die Gäste bei ihrer Ankunft abgeholt und begrüßt und zum Hotel sowie zum Konferenzort begleitet. Man ist der Ansprechpartner eigentlich für alles.“

Das heißt, Ihr habt als erstes die Gäste vom Flughafen bis hin zum Hotel begleitet?

Martin Rumler: „Genau. Normalerweise sind die Delegationen per Flugzeug angekommen. Aber aus Deutschland kamen die meisten mit dem Zug.“

Inga Berg: „Oder auch mit dem Auto. Zug, Auto und Regierungsmaschine waren die gängigen Transportmittel. Linienflüge wurden nur selten genutzt.“

Gab es denn im Vorfeld eine Schulung? Ich stelle mir den Umgang mit internationalen Spitzenpolitikern nicht einfach vor…

Inga Berg: „Bevor die Ratspräsidentschaft begann, gab es eine zweitägige Schulung am Regierungsamt. Mit den Informationen konnten wir jedoch kaum etwas anfangen, weil wir uns die Situationen einfach gar nicht vorstellen konnten. In einem Handbuch wurden die Abläufe dann noch einmal erklärt, was sich sehr gut zur Vorbereitung eignete. Aber das war natürlich nur die Theorie. In der Praxis sah das Ganze manchmal anders aus…“

Martin Rumler: „Ja, das stimmt! Herausfordernd für die Polizei und uns waren für allem der EU-Gipfel und das Gründungstreffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft. Denn bei diesen Veranstaltungen waren Staats- und Regierungschefs aus ganz Europa hier, was die Organisation sehr verkompliziert hat.“

Was waren denn Eure Aufgaben bei diesen Spitzentreffen? Habt Ihr dabei auch die deutsche Delegation, sprich Bundeskanzler Scholz, begleitet?

Martin Rumler: „Ja, ich habe für Herrn Scholz gearbeitet. Und Du warst im Pressezentrum, oder?“

Inga Berg: „Genau. Vor allem wegen dem Treffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft waren viel mehr Helfer notwendig, als bei einem einfachen Gipfel. Deswegen waren eigentlich alle rekrutierten Liaison Officers im Einsatz. Aber nicht alle wurden für die Delegationsbegleitung eingesetzt. Ich war zum Beispiel im Pressezentrum. Es war extrem spannend, einmal den Arbeitsalltag von Journalisten hautnah mitzuerleben.“

Was war Euer persönliches Highlight der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft? Gibt es eine lustige Anekdote, die Ihr erzählen könnt?

Inga Berg: „Ein großes Highlight kann ich nicht ausmachen. Es waren eher viele kleinere besondere Momente, die sich manchmal auch wiederholt haben. Ein ganz erhabener Augenblick war für mich etwa immer die Landung des Regierungsfliegers. Da rollte diese weiße Maschine an, mit dem schwarz-rot-goldenen Wappen und der Aufschrift ‚Bundesrepublik Deutschland‘ in schwarzen Lettern – und ich stand zur Begrüßung oder zur Verabschiedung bereit. Auch mit den Delegationen gab es besondere Momente. Manchmal war der Kontakt eher professionell-distanziert, mitunter hat man sich aber fast angefreundet. Einmal habe ich eine Gruppe zum Hauptbahnhof gebracht und zum Abschied haben wir noch ein Gruppenfoto gemacht. Diese persönlichen Momente waren echte Highlights.“

Martin Rumler: „Ja, für mich auch. Und das Gipfeltreffen war ein Höhepunkt. Für den Bundeskanzler zu arbeiten, war wirklich super spannend. Und besonders waren auch die persönlichen Kontakte. Mit einigen Delegationsmitgliedern habe ich Privatnummern ausgetauscht und wir stehen in Kontakt. Wenn sie wieder einmal in Prag sind, oder ich in Berlin, wollen wir uns treffen.“

Ihr habt die Politiker von morgens bis abends begleitet. Das war bestimmt auch manchmal stressig, oder?

Inga Berg: „Ja, morgens bis abends ist gut! Man könnte auch fast sagen in der Nacht, denn wir mussten nonstop ansprechbar sein. Einmal hat mich beispielsweise um halb eins, als ich endlich schlafen wollte, jemand aus der Delegation angerufen. Die Person hat mir mitgeteilt, dass der Minister gern um halb sechs morgens joggen gehen möchte. Ich sollte nun ein Auto und vier Personenschützer organisieren. Also musste ich viele Leute wachklingeln und alles absprechen. Es war auf jeden Fall ein stressiger Job.“

Es war also ein spannendes halbes Jahr für Euch mit viel Stress, aber auch mit vielen guten Erlebnissen. Die nächste Ratspräsidentschaft kommt bestimmt. Würdet Ihr den Job noch einmal machen?

Martin Rumler | Foto: Ferdinand Hauser,  Radio Prague International

Martin Rumler: „Wenn ich die Gelegenheit dazu bekommen sollte, auf jeden Fall. Vielleicht werde ich dann schon weitere Sprachen beherrschen und andere Erfahrungen haben und könnte auch eine andere Funktion übernehmen. Aber ich wäre natürlich sehr gern noch einmal dabei.“

Inga Berg: „Ich würde es auch auf jeden Fall noch einmal machen und kann es auch nur jedem weiterempfehlen. Man bekommt einen unglaublichen Einblick in die Funktionsweise der Europäischen Union. Und man stellt fest, dass die Ministertreffen im Grunde nichts anderes sind als Klassentreffen. Die Politiker sind auch nur normale Menschen. Man hat einen anderen Blick auf die EU, wenn man diesen Job gemacht hat.“

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