Eine jüdische Gemeinde in Prag

In der Gemeinde Bejt Simcha

1500 Juden leben derzeit noch in Prag und drei verschiedene Gemeinden sorgen für die religiöse Praxis. Eine und die einzig liberale davon: Bejt Simcha, 1990 unter anderem gegründet von Sylvie Wittmann, einer der ersten, die Führungen durch das jüdische Viertel angeboten hat. Melanie Thun hat die Gemeinde besucht.

Freitag abend kurz vor 18 Uhr: Zwei Männer treffen sich zufällig vor einem Altbau in der Manesova-Straße. Der eine aus Prag, der andere aus den Vereinigten Staaten, beide aber aus dem gleichen Grund hier: Sie wollen hier den Sabbath in der Gemeinde Bejt Simcha feiern. Denn das Motto dieser liberalen Gemeinde ist einfach, so Sylvie Wittmann, die Gründerin:

"Ich bin der Meinung, dass jeder den jüdischen Gottesdienst sehen kann. Genau wie wenn ich zur christlichen Kirche gehen würIn der Gemeinde Bejt Simcha"/< sagen: Ach, du bist Jude, du kannst unseren Gottesdienst nicht sehen. Aber ich denke, dass wirklich jeder willkommen sein sollte, um zu sehen, zu lernen, zu verstehen. Und ich glaube, dass das für praktizierende Christen besonders wichtig ist, denn das Judentum ist der Hintergrund für das Christentum und wenn man das Judentum nicht versteht, können sich die Christen selbst nicht verstehen."

So mischen sich auch immer wieder einmal Touristen unter die 140 Gemeindemitglieder. Doch diesmal sitzen nur knapp zwanzig Menschen auf Holzbänken um einen Tisch herum. Der Ort des Sabbath: Ein Keller in einem Wohnhaus. Kurz nach 18 Uhr legt der Kantor seinen Tallit, seinen Gebetsmantel um, denn einen Rabbi gibt es in dieser Gemeinde nicht. Die Gäste, die kein Tschechisch sprechen, bekommen ein englischsprachiges Gebetbuch und immer wieder einen Hinweis vom Kantor, welche Seite sie jetzt aufschlagen sollten. Während die Menschen gemeinsam beten und singen, wird immer mal wieder gelacht, ein Mitglied reicht seine gerade frisch entwickelten Fotos herum, Menschen stehen auf und gehen kurz raus. Doch nach einer Stunde, nach dem Ende des Sabbath, ist nicht Aufbruch, sondern Diskussion über Sitten und Gebräuche im Judentum angesagt. Katerina Jelinkova, die Koordinatorin der Gemeinde:

"Das ist immer so, denn die Leute kommen nicht nur um zu beten, sie kommen auch um etwas zu lernen. Denn nach vierzig Jahren Kommunismus und der Welt davor wissen die Leute, sogar wenn sie Juden sind, nicht viel über das Judentum und so müssen sie lernen und sie wollen lernen. Das ist der Grund, warum sie kommen, nicht nur um zu beten, sondern auch um zu lernen."

Lernen darf in dieser Gemeinde auch der Nachwuchs. Nebenan in einem anderen Raum bekommen Kinder zwischen fünf und zwölf Jahren an vier Tagen in der Woche Unterricht in Jüdischen Traditionen, Kunst, Englisch und Hebräisch. Der Name der unabhängigen jüdischen Nachmittagsschule: Bejt Elend.

Seit mehr als 10 Jahren führen zudem Sylvie Wittmann und zahlreiche ihrer Fremdenführer Menschen durch das jüdische Viertel in Prag - damit auch die Touristen Prag um einiges schlauer wieder verlassen können.

(Fotos: www.bejtsimcha.cz)

Autor: Melanie Thun
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