Eine neue Dimension der tschechischen Parteipolitik: Die nationalen Parteien als Mitglieder von europäischen Parteienbünde

Die heutige Ausgabe unserer Sendereihe Schauplatz widmet sich einem wichtigen Aspekt der EU-Mitgliedschaft Tschechiens, nämlich der Mitwirkung der heimischen Parteien in Rahmen der europäischen Parteienbünde. Mehr darüber erfahren Sie nun von Robert Schuster.

Seitdem im Jahr 1979 das Europäische Parlament erstmals direkt von den Wählerinnen und Wählern der damals neun Mitgliedsländer gewählt wurde, spielen auch die Parteienbünde auf europäischer Ebene eine immer stärkere Rolle. Im Laufe der Zeit bildeten sich im Rahmen aller großen weltanschaulichen Richtungen transnationale Strukturen heraus, deren organisatorischer Aufbau mit jenem der Parteien auf nationaler Ebene identisch ist.

Die Vorreiter bei dieser Entwicklung waren Ende der 1970er Jahre Europas Christdemokraten und Liberale, etwas später folgten auch die Sozialdemokraten und die Grünen. Im Frühjahr vergangenen Jahres wurde dann die Gruppe der transnationalen Parteienbünde noch durch die Europäische Linkspartei, also einen Zusammenschluss von kommunistischen und radikalsozialistischen Gruppierungen erweitert.

Die tschechischen Wählerinnen und Wähler waren erstmals im Juni vergangenen Jahres im Vorfeld der Wahlen zum Europaparlament mit dem europäischen Parteienspektrum konfrontiert. Alle relevanten tschechischen Parteien sind mittlerweile - mal mehr, mal weniger stark - in diese europäischen Parteistrukturen integriert. Einige, wie etwa die Christdemokraten, oder Sozialdemokraten setzten in ihrer Wahlwerbung auch ganz offen auf das Argument, dass sie den größten und somit einflussreichsten Gruppierungen innerhalb des Europäischen Parlaments angehören würden.

Nach den Wahlen traten von den insgesamt 24 tschechischen EU-Parlamentariern gleich 14 Mandatare aus vier verschiedenen Gruppierungen der Fraktion der Europäischen Volkspartei bei. Vollmitglieder bei der EVP sind allerdings nur die tschechischen Christdemokraten von der KDU-CSL.

Wie verlief die Eingliederung der KDU sowie der übrigen Parteien aus den neuen Mitgliedsländern in die Strukturen der Europäischen Volkspartei? Welche Bilanz lässt sich nach den ersten zehn Monaten ziehen? Darüber unterhielten wir uns im Folgenden mit dem stellvertretenden Generalsekretär der Europäischen Volkspartei, Christian Kremer, der vor einigen Tagen zu politischen Gesprächen in Prag weilte:

"Wir können ja schon viel länger Bilanz ziehen als zehn Monate, weil wir ja schon seit Anfang der 1990er Jahre die Parteien in unsere Strukturen integriert haben und nach der Auflösung der EUCD, die früher als Parallelorganisation bestand, hatten wir seit 1997 in allen Kandidatenländern assoziierte Mitgliedsparteien, die stimmberechtigt waren und ganz normal wie auch andere Parteien an den Entscheidungen teilgenommen haben. Wir arbeiten also mit diesen Parteien, wie etwa der KDU-CSL aus Tschechien schon seit sieben Jahren zusammen. Diese Integration hat gut funktioniert, die Parteien nehmen auch an allen Diskussionen und an den Gremien teil. Ich würde mir da und dort noch etwas mehr Aktivität wünschen, aber natürlich hat auch nicht jede Partei immer gleich viel Geld, so dass dann aus verschiedenen Ländern die Repräsentation nicht so gut ist, wie wir das gerne hätten, aber grundsätzlich sind das sehr zuverlässige Partner und wir arbeiten sehr lange und gut zusammen."

Für die Europäische Volkspartei ist die Lage in Tschechien deshalb relativ spezifisch, weil außer den bereits erwähnten Christdemokraten auch noch weitere Gruppierungen zu den befreundeten Parteien gehören. An erster Stelle ist hier vor allem die oppositionelle Demokratische Bürgerpartei (ODS) zu erwähnen, die aktuellen Umfragen zufolge gute Aussichten hat, die nächsten Wahlen zu gewinnen und somit die nächste Regierung zu stellen.

Die ODS ist zwar Mitglied der EVP-Fraktion im Europaparlament, aber genauso wie etwa die britischen Konservativen ist sie nicht Mitglied in der Partei. Der Grund ist, dass die tschechischen Bürgerdemokraten genauso wie ihre britischen Kollegen eine verstärkte Integration innerhalb der Europäischen Union ablehnen. Es überrascht also nicht, dass bei der jüngst erfolgten Verabschiedung des Europäischen Verfassungsvertrags im Europaparlament die ODS-Mandatare geschlossen gegen den Vertragstext stimmten.

Stellt diese abweichende Haltung der ODS, auch wenn sie keine offizielle Mitgliedspartei ist, in einer zentralen Frage des europäischen Einigungsprozesses nicht ein Problem für die Führung der Europäischen Volkspartei dar, gerade wenn man bedenkt, dass die Mehrheit der übrigen befreundeten Parteien klar für den Verfassungsvertrag gestimmt haben? Dazu meint Christian Kremer von der Europäischen Volkspartei:

"Sie haben recht, dass die ODS zu den befreundeten Parteien gehört und auch, dass die ODS im Moment nicht in die Entscheidungsstrukturen in der EVP eingebunden ist. Die Vereinbarungen in der Fraktion sehen ja vor, dass in diesen verfassungsmäßigen Fragen die britischen Konservativen und die ODS andere Positionen vertreten können. Wir glauben, dass wir in sehr vielen Fragen die gleichen Positionen vertreten und am gleichen Strang ziehen, aber es ist schon richtig, dass für uns als Partei, als EVP die Position der ODS zur Verfassung problematisch ist."

Die Europawahlen erfreuen sich in den meisten Mitgliedsländern der Europäischen Union keiner allzu großen Beliebtheit. Von den nationalen politischen Eliten werden sie oft als zweite und somit "weniger wichtige" nationale Wahlen für innenpolitische Zwecke instrumentalisiert. Auch in Tschechien war das im Juni vergangenen Jahres nicht anders. Hinzu kam noch, dass das schlechte Abschneiden der regierenden Sozialdemokraten, die weit abgeschlagen auf Rang fünf landeten, nicht nur zu einem Wechsel an der Spitze der Partei, sondern auch bei der Regierung führte.

In Tschechien gingen bei den Europawahlen lediglich 28 Prozent der Wahlberechtigten an die Urnen. Was können die europäischen Parteien gegen diesen Negativtrend tun, bzw. können sie überhaupt etwas unternehmen? Hören Sie dazu den stellvertretenden Generalsekretär der Europäischen Volkspartei Christian Kremer:

 EU-Parlament  (Foto: Europäische Kommission)
"Also wir waren natürlich über die geringe Wahlbeteiligung insbesondere in den neuen Ländern der Union sehr bestürzt, weil das natürlich auch zeigt, dass die Bürger in den neuen Mitgliedsländern, die natürlich nicht so viel über Europa wissen, vielfach nicht verstanden haben, wie viel das Europäische Parlament eigentlich wirklich schon zu entscheiden hat und dass das Europäische Parlament in weiten Teilen der Gesetzgebung gleichberechtigt neben dem Rat der Gesetzgeber ist, das heißt, ohne das Europäische Parlament kommen Entscheidungen nicht zustande. Das müssen wir sicher weiter kommunizieren, aber ein großes Problem in Europa ist natürlich bis heute die fehlende Personalisierung, dass die Bürger schlicht nicht wissen, wer für welche Entscheidungen verantwortlich ist und dass auch die Medien schlecht vermitteln können, wie Entscheidungen gefällt werden und deshalb aus dem Europäischen Parlament häufig gar nicht berichtet und nicht vermittelt wird, was in Brüssel passiert. Das heißt, es muss zu einer stärkeren Personalisierung kommen und das ist auch ein Grund, warum die Europäische Verfassung positiv ist, denn schließlich wird dort die Position des Außenministers eingeführt, der die Union in außenpolitischen Fragen repräsentieren kann, so dass mehr personelle Transparenz da ist und außerdem die Entscheidungsstrukturen klarer sind. Es gibt also weniger Entscheidungsverfahren und es gibt im Grunde den Standard, dass das Europäische Parlament immer gemeinsam mit dem Rat, also in einer Art Zweikammersystem der Gesetzgeber ist."

Eine wichtige Frage, die den europäischen Diskurs am Ende des vergangenen Jahres beherrschte, war jene nach einer möglichen Beitrittsoption für die Türkei. Der Europäische Rat hat dann diesbezüglich Mitte Dezember grünes Licht für den Beginn von ergebnisoffenen Beitrittsverhandlungen gegeben.

Die politischen Umwälzungen, die fast zeitgleich in der Ukraine stattfanden, haben wiederum die Frage nach einer möglichen EU-Mitgliedschaft auch dieses Landes in den Raum gestellt. Wo sollen also einmal die Grenzen der Europäischen Union liegen? Welche Kriterien sollen bei der Beurteilung der Beitrittsgesuche von Ländern wie der Ukraine herangezogen werden? Hören Sie dazu abschließend noch einmal den stellvertretenden Generalsekretär der Europäischen Volkspartei Christian Kremer:

"Die Frage der Grenzen Europas ist eine sehr schwierige. Letztendlich gibt es zwei unterschiedliche Positionen. Die eine sagt, man muss irgendwo eine geographische Grenze ziehen. Die andere sagt, man muss im Grunde offen sein für die Länder, die bestimmte Bedingungen erfüllen und bei diesem europäischen Projekt mitmachen wollen. Es ist sehr schwierig, diese beiden Positionen miteinander zu vereinigen. Was die beiden Beispiele - Türkei und Ukraine angeht, so meine ich, dass nach all den positiven Entwicklungen, die wir in der Ukraine sehen, wir schon die Perspektive für die Ukraine nach der Entscheidung, die für die Türkei gefallen ist, nicht verschließen können. Ich sage nicht, dass man jetzt sagen muss, die Ukraine wird EU-Mitglied, wann auch immer, aber ich glaube, man kann auch nicht sagen, dass sie nicht Mitglied werden kann. Die Ukraine hat schon eine europäische Tradition, ist ein europäisches Land und es sollte im Interesse von uns allen sein, auch aus sicherheitspolitischen und strategischen Überlegungen eine positive Entwicklung und westliche Orientierung zu fördern. Das kann so aussehen, dass die Ukraine irgendwann mal Mitglied wird, dass man aber auch über eine privilegierte Partnerschaft, oder einen speziellen Status redet."