Einzigartig in Tschechien - Mit Deutsch von der ersten Klasse bis zum Abitur

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Es ist so in Deutschland. Warum sollte es anderswo, in diesem Fall in Tschechien, also nicht so sein? In der Adventszeit organisieren zahlreiche Schulen, wenn nicht sogar alle, ihre eigenen Weihnachtsfeiern. An sich also nichts Ungewöhnliches. Doch die Schulen, um deren Weihnachtsfeier es im folgenden Beitrag geht, sind etwas Ungewöhnliches in Tschechien. Warum erfahren Sie in einer neuen Ausgabe unserer Sendereihe Begegnungen.

Foto: Archiv Radio Prag
„Vážení hosté! Je mi potěšením, že jste přijali naše pozvání na adventní setkání přátel a příznivců škol německo-českého porozumění v Praze 8. - Sehr verehrte Gäste! Es ist mir eine Freude, dass Sie unsere Einladung zum Advents-Treffen der Freunde und Anhänger der Schulen der deutsch-tschechischen Verständigung in Prag 8 angenommen haben.“

Zweisprachig – so wurden die Besucher begrüßt. Denn die Schule, oder besser die Schulen, die zur Weihnachtsfeier in ein nobles Vier-Sterne Hotel in Prag Smíchov geladen hatten, sind keine gewöhnlichen tschechischen Schulen. Deutsch wird hier groß geschrieben, größer als anderswo. Das Thomas-Mann-Gymnasium und die Grundschule der deutsch-tschechischen Verständigung im achten Prager Stadtbezirk bieten dabei ein besonderes Konzept an, wie die Schulleiterin Eva Marešová erklärt:

„Unsere Losung ist: Mit Deutsch von der ersten Klasse bis zum Abitur, und das ist einzigartig. Das gibt es anderswo nicht in der Tschechischen Republik. Wir knüpfen im Gymnasium ja dort an, wo die Grundschule aufhört. Da gibt es keine Lücke dazwischen.“

Die Grundschule wurde 1991 gegründet, 1995 dann das Gymnasium. Initiatoren der Schulgründungen waren Vertreter der deutschen Minderheit in der Tschechoslowakei beziehungsweise in Tschechien. Es sind jedoch keine Schulen nur für deutsche Kinder. Im Gegenteil. Eva Marešová beschreibt die Intentionen der Schulgründer:

„Zuerst hat man an eine Schule für die Minderheit gedacht, aber dann sah man ein, dass eine solche Idee in Prag nicht realisierbar ist. Die Schule steht also eigentlich allen Kindern offen, die - oder deren Eltern - es sich wünschen, dass der Unterrichtsschwerpunkt auf Deutsch liegt. Die tschechischen Kinder sind in der Mehrheit, aber wir haben auch viele bilinguale Schüler, weil es in Prag viele Familien gibt, in denen beide Sprachen gesprochen werden.“

Aus einer solchen bilingualen Familie kommt auch Joana. Sie ist mit Mitschülern in einer Projektarbeit der Frage nachgegangen, warum ihre Schule wohl nach Thomas Mann benannt ist.

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„Thomas Mann hat Prag mehrmals besucht. Er wurde 1936 sogar tschechoslowakischer Staatsbürger. Hinzu kommt sein gesamtes Werk, was in der ganzen Welt bekannt ist. Das war dann für uns ausschlaggebend, warum unsere Schule wohl nach Thomas Mann benannt wurde.“

Joana wird noch in diesem Schuljahr Abitur, beziehungsweise auf Tschechisch Maturita, machen. Danach will sie studieren. Was erhofft sie sich von dem Abschluss am Thomas-Mann-Gymnasium? Vielleicht sogar ein Studium in Deutschland?

„Wahrscheinlich nicht für die ganze Zeit, aber vielleicht für ein oder zwei Semester.“

Wenn Joana ihren Plan wahr macht und irgendwann an einer deutschen Universität studiert, wird sie sicherlich nicht die Einzige aus ihrem Jahrgang sein, die den Schritt über die Grenze nach Deutschland wagt.

„Die Zielstrebigen wissen, dass sie mit unserem Schulangebot und mit unserem Schulabschluss gute Chancen haben, in Deutschland zu studieren und dann auch einen guten Beruf zu erwischen. 20 Prozent unserer Absolventen gehen nach dem Abitur nach Deutschland.“

Das sagt die Schulleiterin Eva Marešová stolz. Tobias Boué ist der Leiter des Fördervereins der Schulen. Seine Tochter und sein Sohn besuchen erst die Grundschule. Es wird wohl noch dauern bis sie ein Studium beginnen. Für Bouè waren also zunächst andere Gründe ausschlaggebend, seine Kinder auf die Grundschule der deutsch-tschechischen Verständigung zu schicken.

„Ich und meine Frau sind beide Deutsche. Wir leben seit 13 Jahren in Prag. Unsere Kinder sind hier geboren worden. Wir haben für sie nach einer Schule gesucht, die eine tschechische Schule sein sollte, denn wir leben hier. Unsere Kinder werden hier groß und werden hier wahrscheinlich auch studieren. Auf der anderen Seite sollte die Schule aber auch die deutsche Sprache fördern, und da erschien uns die Grundschule der deutsch-tschechischen Verständigung als die ideale Lösung, weil sie uns beides bietet. Es ist eine tschechische Schule mit Schwerpunkt auf der deutschen Spracherziehung, und sie fördert eben auch das gegenseitige Verständnis für die jeweils andere Kultur.“

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Aber nicht alle Schulanfänger wachsen wie die Kinder der Boués mit Deutsch als Muttersprache auf. Das Niveau der Deutschkenntnisse ist also besonders auf der Grundschule noch sehr unterschiedlich. Doch die Schule trägt dem Umstand Rechnung, wie Tobias Boué erklärt.

„Die Klasse wird in drei Gruppen geteilt. Zum einen sind das die Muttersprachler. In den letzten Jahren waren das bei uns so zwei bis vier Schüler. Dann gibt es aber auch tschechische Kinder, die mit ihren Eltern schon in Deutschland waren und zum Beispiel dort in den Kindergarten gegangen sind. Die landen dann in der mittleren Gruppe. Und dann gibt es natürlich noch die Anfänger, die erst in der Grundschule zum ersten Mal mit Deutsch konfrontiert werden.“

Am Ende der 13 Schuljahre erhalten die Abiturienten zusammen mit der Hochschulzugangsberechtigung auch das Sprachdiplom II der deutschen Kultusminister-Konferenz. Das berechtigt dann auch zum Studieren an deutschen Universitäten.

Aber wie ist aber überhaupt das Interesse am Angebot der beiden Schulen in Prag Střížkov? Schulleiterin Marešová kann Zahlen nennen:

„Auf der Grundschule haben wir fünf Klassen. Das sind an die 130 Kinder. Auf dem Gymnasium haben wir acht Klassen. Das sind ungefähr 160 bis 170 Schüler. Wir können nicht mehr als 26 Kinder pro Klasse aufnehmen. Das Interesse ist aber doppelt so groß. Das Gymnasium ist leider mit den Räumlichkeiten eingeschränkt. Deswegen haben wir nun das Vorhaben, anzubauen. Dann kann sich auch das Gymnasium erweitern.“

Und genau aus diesem Grund wurde auch die Weihnachtsfeier organisiert. Man sucht Sponsoren zur Finanzierung des Anbaus, denn vom tschechischen Staat ist kein Geld zu erwarten. Gymnasium und Grundschule sind nämlich Privatschulen. Der Förderverein hat daher eine Aktion mit dem Titel „Ziegel für Střížkov“ ins Leben gerufen. Potentielle Unterstützer können symbolische Ziegelsteine kaufen, um so zur Verwirklichung der Anbaupläne beizutragen. Bisher sind fast 300.000 Kronen zusammengekommen. Das sind etwa 12.000 Euro. Und das ist natürlich noch viel zu wenig. Ob sich die Schüler in Střížkov in absehbarer Zukunft über neue Schulgebäude freuen können, ist also noch ungewiss. Sie und ihre Eltern freuten sich jedenfalls erstmal über ein exzellentes Weihnachtsbuffet. Und zur passenden Untermalung wurde fleißig musiziert.