Er war der Zeit voraus - neuer Bildband über Architekt Josef Gočár

Josef Gočár (Foto: Josef Binko)

Er war der größte tschechische Architekt des 20. Jahrhunderts. Dies ging aus einer Umfrage hervor, die vor kurzem hierzulande unter Architekten durchgeführt wurde. Josef Gočár war jedoch nicht nur Architekt, sondern auch Stadtplaner und Pädagoge. Erst jetzt, 65 Jahre nach seinem Tod, ist ein umfangreicher Bildband erschienen, in dem Gočárs Schaffen vollständig dargestellt wird.

Haus zur Schwarzen Mutter Gottes in der Prager Altstadt
Das kubistische Haus zur Schwarzen Mutter Gottes in der Prager Altstadt ist wohl der bekannteste Bau, den Josef Gočár in der tschechischen Hauptstadt schuf. Das Ziel der neuen Monographie sei es, eine faszinierende Persönlichkeit der tschechischen Kultur vorzustellen, sagt der Architekturhistoriker und Herausgeber Zdeněk Lukeš. Gočárs Schaffen hat eine komplizierte Entwicklung durchgemacht: vom Jugendstil über die Moderne, den Kubismus, den so genannten holländischen Rationalismus und modernen Klassizismus bis zu den Stilen der Avantgarde – dem Konstruktivismus und Funktionalismus:

Wenzel-Kirche im Prager Stadtteil Vršovice  (Foto: Ester Havlová)
„Als Künstler war Gočár imstande, sich den schnell sich entwickelnden Stilen anzupassen. Ich sage immer, der Architekt Pavel Janák hat die Dinge ausgedacht. Aber bevor er den Gedanken zu Ende bringen konnte, hatte Gočár schon einen bedeutenden Bau in diesem Stil erbaut. Mit dem modernistischen Wenke-Haus im ostböhmischen Jaroměř war er der Zeit um 20 Jahre voraus. Aus der Epoche des Art Déco ist das Gebäude der Legiobanka in Prag zu nennen. Als älterer Herr, als seine Schüler schon der Avantgarde angehörten, schuf Gočár die funktionalistische Wenzel-Kirche im Prager Stadtteil Vršovice.“

Faszinierend sei die Breite und Vielfalt von Gočárs Tätigkeit, meint der Experte. Der hervorragende Stadtplaner Gočár war auch ein ausgezeichneter und beliebter Pädagoge, der eine ganze Reihe von Architekten ausgebildet hatte, so Lukeš:

„Auch wenn Gočár sehr erfolgreich war, war er ein ausgesprochen netter Mensch. Zudem war er sehr tolerant. Darin kann man ihn mit dem Architekten Jan Kotěra vergleichen. Dieser pflegte oft zu sagen: ´Ich verstehe Ihre Entwürfe nicht, aber ich respektiere sie. ´ Gočár hat es geschafft, bis zu seinem Tod im Jahre 1945 Schritt mit der Zeit zu halten. Das kommunistische Regime in der Tschechoslowakei hat er nicht mehr erlebt. Er hätte es aber bestimmt kaum ertragen können, denn er war ein großer Demokrat und Bewunderer von Präsident Masaryk.“

Neben Gočárs Stadtplänen werden in der neuen Monographie auch seine Möbelentwürfe und Projekte vorgestellt, die nie verwirklicht worden sind. Yvonna Fričová vom tschechischen Verlag „Titanic“:

Bildband über Josef Gočár
„Im Bildband sind zahlreiche Archivfotos abgedruckt, die wir nicht nur von Institutionen, sondern auch von Privatpersonen erhalten haben: vor allem von der Enkelin des Architekten, Lucie Gočárová, und vom Prager Nationalmuseum für Technik. Im Museum wird der Nachlass von Josef Gočár aufbewahrt, der zum Teil während des Hochwassers 2002 beschädigt wurde.“

Der Bildband über Josef Gočár umfasst 440 Seiten und kostet über 100 Euro.