Fahrradkultur im Sozialismus: Ausstellung zeigt Rolle des Fahrrads in DDR und Tschechoslowakei

Das Fahrrad in Zeiten der Unfreiheit

Welche Fahrräder wurden während des Kommunismus in der Tschechoslowakei hergestellt? Was macht die Geschichte der Internationalen Friedensfahrt so interessant? Und wie hat sich Fahrradkultur hierzulande nach 1989 verändert? Antworten auf diese Fragen gibt eine Ausstellung, die derzeit im Prager Goethe-Institut zu sehen ist.

Das Fahrrad in Zeiten der Unfreiheit | Foto: Ferdinand Hauser,  Radio Prague International

Man muss ein bisschen in die Pedale treten, dann wird ein kleines Video auf einem angeschlossenen Bildschirm abgespielt. Das Fahrradkino haben die Verantwortlichen des Goethe-Instituts mit Blick auf die Prager Burg ausgerichtet.

Noch bis nächste Woche ist hier, am Masaryk-Ufer Nummer 32, eine kleine Ausstellung zu sehen zur Geschichte des Fahrrads in der Tschechoslowakei, der DDR und Westdeutschlands. Hannah Jung leitet die Programmarbeit des Goethe-Instituts in Prag und in der Region Mittel- und Osteuropa. Sie erklärt, wie es zur aktuellen Ausstellung kam:

„Seit Herbst letzten Jahres setzen wir einen großen Schwerpunkt auf den Bereich DDR und eine Auseinandersetzung mit der Geschichte. Denn wir befinden uns hier in der ehemaligen DDR-Botschaft, und das geht für uns auch mit der Verpflichtung einher, uns intensiver mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen und sie aufzuarbeiten. Wir haben uns deshalb überlegt, wie wir unsere Arbeit mit diesem Thema verknüpfen können. Dabei bot sich auch unser Projekt ‚Cycle Up!‘ an.“

Das Fahrrad in Zeiten der Unfreiheit | Foto: Ferdinand Hauser,  Radio Prague International

Um die Koordination des Projekts „Cycle up!“ kümmert sich unter anderem Veronika Svítil. Über das Programm sagt sie:

„Das ist ein vierjähriges EU-Projekt, an dem wir zusammen mit fünf weiteren Partnern arbeiten. Es geht uns darum, mehr Fahrräder in die Städte zu bringen, denn wir wollen es als Transportmittel der Zukunft fördern. Das wollen wir durch Workshops, künstlerische Installationen oder eben diese Ausstellung erreichen.“

Zweiräder von Favorit und Eska

Das Fahrrad in Zeiten der Unfreiheit | Foto: Ferdinand Hauser,  Radio Prague International

In der Kammerausstellung sind es dann auch die Fahrräder, die als erstes ins Auge fallen. So hängt ein Klapprad der Marke Eska an der Wand. Vertreten sind aber auch andere Hersteller, die früher von Bedeutung gewesen seien, meint Veronika Svítil. So etwa die Zweiräder von Favorit:

„Das war eine beliebte Marke. Jeder, der ein Fahrradbegeisterter war, wünschte sich ein solches Rad. Hier an der Wand hängt auch ein entsprechendes Exemplar.“

Der Besitzer des blauen Rennrads mit dem roten Lenkerband und den weißen Bremszughüllen heißt Jan Králík. „Fahrräder sind meine Herzensangelegenheit. Ich sammele alte Räder, das ist einfach genau mein Ding“, meint der graubärtige Mann im Interview mit Radio Prag International. Was ist die Geschichte hinter dem ausgestellten blauen Rennrad?

Veronika Svítil,  Hannah Jung und Jan Králík | Foto: Ferdinand Hauser,  Radio Prague International

„Dieses Favorit-Exemplar aus dem Jahr 1959 fuhr auch bei der Internationalen Friedensfahrt. Ich habe das Rad aus erster Hand übernommen; es ist nicht aufgearbeitet, sondern im Originalzustand. Es hat auch eine spannende Geschichte: Hergestellt wurde das Fahrrad nämlich von einem Favorit-Angestellten, der es für seinen Kollegen baute, der wiederum für die tschechoslowakische Nationalmannschaft an der Friedensfahrt teilnahm. Die Sonderanfertigung hat italienische Komponenten von Campagnolo und eine französische Schaltung. Ich gehe sehr sorgsam damit um.“

Mit diesem Fahrrad im Straßenverkehr zu fahren, sei für ihn deshalb undenkbar, meint Jan Králík.

Die Friedensfahrt: Gefeiertes Sportevent und Propagandainstrument

Das Fahrrad in Zeiten der Unfreiheit | Foto: Ferdinand Hauser,  Radio Prague International

Der Internationalen Friedensfahrt, bei der auch das Fahrrad aus der Sammlung von Jan Králík unterwegs war, ist ein Großteil der Ausstellung im Goethe-Institut gewidmet. Seine Ursprünge hatte das Rennen in der Tschechoslowakei. Veronika Svítil erläutert:

„Das war eine Fahrt zwischen Prag und Warschau. Später schloss sich dann auch die DDR an, und es gab einen zweiten Streckenteil zwischen Berlin und Prag. Angefangen hat das Ganze 1948. In den 1960er Jahren dann war das Rennen wirklich sehr beliebt, und es gab viele Teilnehmer.“

Thematisiert wird auf den Ausstellungspanelen aber auch, dass die Friedensfahrt durchaus als sozialistische Propaganda genutzt wurde. Hannah Jung sagt:

„Es ist wichtig, zu beleuchten, dass Mitfahrende unter großem Druck standen. Wenn sie etwa ihre Fahrt abbrachen, verloren sie mitunter ihren Job und ihre Reputation. Man muss die Friedensfahrt deshalb immer von beiden Seiten betrachten. Viele Zuschauende waren nicht rein freiwillig dabei, auch wenn es so verkauft wurde. Es gab eine Pflicht, sich das Spektakel anzuschauen und den Fahrenden zuzujubeln.“

Das Fahrrad in Zeiten der Unfreiheit | Foto: Ferdinand Hauser,  Radio Prague International

Daran kann sich auch noch Jan Králík erinnern, der in seiner Kindheit anstelle des Schulunterrichts verpflichtend die Rennradfahrer feiern musste. Heute, so Hannah Jung, gebe es eine Neuauflage der Friedensfahrt: den European Peace Ride.

„Im Rahmen der Kulturhauptstadt Chemnitz 2025 soll die Friedensfahrt wieder über mehrere Jahre hinweg durchgeführt werden. Wir sind mit dem Team intensiv im Austausch und freuen uns sehr, dass sowohl die Geschichte aufgearbeitet wird, als auch der Kerngedanke wieder ausgelebt wird, Menschen über Grenzen hinweg durch Sport zu verbinden.“

Historisches Rad mit Unterschrift von Täve Schur

An die historische Internationale Friedensfahrt erinnern in der Ausstellung auch zeitgenössische Plakate. Und dann ist da noch ein weiteres Fahrrad, eines der Marke Diamant. Ein wenig unscheinbar steht es da, fest angeschlossen an ein Heizungsrohr. Blau- und goldfarben ist der Rahmen, versehen mit Chrom-Applikationen. Auf dem Oberrohr prangt eine Unterschrift, und mit etwas Phantasie kann man sie entziffern: Sie stammt von Täve Schur.

Das Fahrrad in Zeiten der Unfreiheit | Foto: Ferdinand Hauser,  Radio Prague International

Schur, der heute 93 Jahre alt ist, ist eine der Legende des Radsports. Als erster Deutscher gewann er die Friedensfahrt, neunmal wurde er zum besten Sportler der DDR gewählt – so oft wie kein anderer. Zur Verfügung gestellt wurde das Rad mit seiner Signatur von Karel Gerolt. Der Tscheche, der seit 50 Jahren in Dresden lebt, ist gut mit Schur befreundet. 1961 sei das Diamant-Rad hergestellt worden, sagt er. Aber fuhr Täve Schur eigentlich selbst auf dem ausgestellten Drahtesel? Nein, sagt Gerolt…

„Täve Schur ist nicht so groß, er hatte deshalb ein kleineres Rennrad. Dieses Modell hat er also nur unterzeichnet. Ich habe zwar andere eigene Rennräder von Täve Schur in meiner Sammlung, aber das Exemplar in der Ausstellung stammt aus der breiteren Nationalmannschaft.“

37 Stück wurden in der limitierten Serie mit den Unterschriften Schurs für das DDR-Team hergestellt. Schur und Gerolt haben sich 1987 bei der Friedensfahrt in Berlin kennengelernt. Karel Gerolt war damals als Sprachmittler bei dem Rennen dabei:

„Ich fahre seit meiner Kindheit Rennrad. Später habe ich als technischer Dolmetscher in Dresden gearbeitet. Einmal kam dann mein Vorgänger bei der Friedensfahrt und fragte, wer dort als Dolmetscher tätig sein möchte. Ich bewarb mich und wurde genommen. Später fuhr ich nicht nur bei der großen Friedensfahrt mit, sondern auch bei der DDR-Rundfahrt und beim Sechstagerennen in Berlin. Ab den 1980er Jahren hatte ich aktiven Kontakt zur Nationalmannschaft der Tschechoslowakei, der DDR und auch zu allen anderen.“

Was sagt Gerolt dazu, dass unter den Zuschauern anscheinend nicht nur Freiwillige waren und das Rennen auch instrumentalisiert wurde?

„Bestimmte Themen hat man zu Zeiten des Sozialismus anders gesehen. Ich denke mir, dass viele Leute von sich aus dabei waren. Denn die Friedensfahrt war damals sehr populär, viel mehr noch als heutzutage der Fußball. Die Massen sind also von sich aus gekommen, aber natürlich auch organisiert.“

Der Wandel des Radfahrens nach 1989

Von der Friedensfahrt ausgehend schlägt die kleine Ausstellung im Goethe-Institut auf einigen Paneelen auch die Brücke zur Gegenwart – ganz im Sinne des Projekts „Cycle Up!“ So wird darüber informiert, wie sich die Radkultur hierzulande nach 1989 verändert hat. Außerdem erfährt der Besucher, dass heute jeder Haushalt in Tschechien im Schnitt 1,23 Fahrräder besitzt, dass laut Polizeistatistiken pro Tag 14 Zweiräder geklaut werden und hierzulande pro Jahr 350.000 Fahrräder und 200.000 E-Bikes produziert werden. Und dass bei alldem die Fahrradinfrastruktur und damit einhergehend auch die Sicherheit auf dem Rad von vielen Tschechen noch als verbesserungswürdig eingestuft werden.

Die kleine Ausstellung „Das Fahrrad in Zeiten der Unfreiheit“ ist noch bis zum Mittwoch kommender Woche im Prager Goethe-Institut zu sehen. Besucht werden kann die Schau während der Öffnungszeiten des Hauses.