Faustballett – ein Tanz mit den Teufeln

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Am Wochenende feierte im Prager Nationaltheater Goethes wohl bekannteste Tragödie Premiere: „Faust“. Wer nun jedoch den Klassiker erwartet, der irrt. Regisseur Libor Vaculík inszeniert modernes Ballett und nimmt eine ganz eigene Faust-Interpretation vor. Die Tänzer auf der Bühne befinden sich auf der Schattenseite des 20. Jahrhunderts, zwischen Nazi-Regime und kommunistischer Diktatur. Was erleben die Zuschauer dort und wie reagieren sie auf den untraditionellen Faust?

Foto: ČTK
Es ist Sonntagabend. Das Prager Stavovské Divadlo, das Ständetheater, ist im wahrsten Sinne des Wortes bis zur Decke gefüllt. Auf der Bühne wird getanzt, geliebt, gehasst und gemordet. Faust wird aufgeführt, nicht als klassisches Theaterstück, sondern als Ballett – ohne Worte, nur durch Tanz versuchen die Darsteller der Geschichte von Faust Leben einzuhauchen. Dieser Faust entspricht jedoch nicht vollständig Goethes Vorlage. Er heißt Feustel, sucht nach Ruhm anstatt nach Weisheit und lässt sich dafür mit den Teufeln des 20. Jahrhunderts ein – Hitler und Stalin. Auf der anderen Seite: Gretchen, in die sich Feustel unsterblich verliebt. Doch sie ist Jüdin und wird deportiert. Da sind sie, die zwei Seelen in seiner Brust: Die Tragödie nimmt ihren Lauf.

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Tanzende NS-Soldaten, die Arme in die Höhe gestreckt, wirbeln über die Bühne. Hitler spuckt antisemitischen Parolen in den Saal. Überall hängen Hakenkreuze und judenfeindliche Transparente. Schließlich wird die Maschinerie der Grausamkeiten in Gang gesetzt. Mittendrin das Liebespaar, dessen tragisches Ende bereits in Stein gemeißelt ist. Faust begreift, wie folgenschwer und falsch sein Pakt mit dem Teufel war. Doch zu spät. Vertrag ist Vertrag – er ist gefangen und muss letztlich auch dem nächsten Unrechtsregimes dienen. Das Hakenkreuz ist weg – es leben Hammer und Sichel. Eine eigenwillige Faustinszenierung, die sich dem Publikum da vorstellt:

„Goethe ist das eigentlich nicht, aber das ist eine Bearbeitung Goethes für ein modernes Publikum. Bevor ich ins Theater gegangen bin, habe ich nicht gewusst, dass es sich hier um eine Anspielung auf die Nazizeit handelt. Das war mir neu, aber es gefällt mir, denn die Legende von Faust lässt sich an alle Zeiten anpassen, also auch an die Nazizeit“, so der Prager Professor Charles Webel.

Doch ein modernes Publikum muss nicht zugleich ein junges Publikum sein. Das beweist die 90-jährige Tschechin Jarina Smolákova:

„Ich finde es überraschend. Ich habe etwas ganz anderes erwartet, aber es gefällt mir sehr, sehr gut. Es ist wirklich etwas Besonderes.“

Besonders war auch, dass es Choreograph Vaculík gelungen ist, das komplexe Faust-Drama ganz ohne Einsatz von Sprache anschaulich zu vermitteln. Sicherlich ist es von Vorteil, Faust zu kennen, aber es geht auch ohne. Allein Tanz, Musik und Bühnenbild machen Faust zu einer gelungenen Ballettaufführung. Das findet auch eine ballettinteressierte Irin:

„Es war beeindruckend. Extrem beeindruckend. Es hat uns umgehauen. Wir gehen oft ins Ballett und waren schon in vielen Ländern, um uns Ballett anzuschauen. Das hier ist einfach nur spektakulär.“

Autor: Sina Stach
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