„Man fühlt sich mit Mozart als Komponisten extrem verbunden“
Im Prager Ständetheater hatte am vergangenen Samstag eine Neuproduktion von Mozarts Oper „Così fan tutte“ Premiere. Musikalisch hat der deutsche Dirigent Karsten Januschke das Werk einstudiert. Tatjana Gürbaca hatte Regie. Martina Schneibergová hat mit der deutschen Opernregisseurin kurz vor der Premiere gesprochen.
Frau Gürbaca, Sie haben Regie der Oper „Così fan tutte“ im Ständetheater. Das Werk wird im Rahmen einer Serie von Mozarts Opern aufgeführt, die der Komponist auf Libretti von Lorenzo Da Ponte geschrieben hat. Wenn man diese Oper mit „Don Giovanni“ oder „Figaros Hochzeit“ vergleicht, hat man den Eindruck, es gebe da nicht so viel Action. Wie ist Ihre Meinung?
„Aber es gibt hier sehr viel Psychologie. Die Da Ponte-Opern von Mozart haben einen bestimmten Kern, um den sie alle kreisen. Und das ist die Zeitenwende. Alle drei Opern sind um die Französische Revolution herum entstanden. In den Stücken spürt man auch, wie Mozart sich damit auseinandersetzt, dass wir in ein Zeitalter der Aufklärung übergehen und in der Aufklärung das menschliche Verhalten, das menschliche Denken oder das menschliche Fühlen ein anderes werden soll. Die Menschen sollen gewissermaßen erzogen werden. Wie immer bei Mozart ist er ein großer Künstler darin, vorzuführen, was die menschlichen Konventionen sind und was die wirklichen Gedanken und Gefühle dahinter aussagen. Dies ist sehr interessant, denn man hat immer mit dieser Doppelsichtigkeit zu tun.“
Es ist nicht das erste Mal, dass Sie diese Oper inszenieren. Spielt für Sie diesmal die Tatsache eine große Rolle, dass Mozart einst in diesem Theater persönlich die Premiere von „Don Giovanni“ dirigiert hat?
„Man bekommt Gänsehaut, wenn man das weiß, dort steht, gleichzeitig Mozart selbst inszenieren darf und diese Musik hört. Das ist wirklich etwas ganz Besonderes.“
„Natürlich. Das ist eine riesige Ehre und ein ganz besonderer Moment, finde ich, wenn man zum ersten Mal in dem Haus steht. Bei der Inszenierung selbst befinde ich mich sehr oft im hochgefahrenen Orchestergraben, weil ich den Sängern nahe sein kann. Und da stehe ich jedes Mal an dem kleinen Schild, das sagt: ,Hier hat Mozart seinen Don Giovanni nicht nur dirigiert, sondern auch vom Cembalo aus gespielt und begleitet.‘ Man bekommt Gänsehaut, wenn man das weiß, dort steht, gleichzeitig Mozart selbst inszenieren darf und diese Musik hört. Das ist wirklich etwas ganz Besonderes. Man fühlt sich wirklich mit dieser Zeit von Mozart und mit ihm als Komponisten extrem verbunden.“
Die Oper wird in einer Kooperation mit dem Nationaltheater Mannheim aufgeführt, sie wird in diesem Jahr auch in Schwetzingen gespielt. Unterscheiden sich die Inszenierungen voneinander, und passen Sie die Regie auch an die Solistinnen und Solisten an?
„Ja. Ich habe das große Glück, dass ich schon einmal in Schwetzingen arbeiten durfte. Ich kenne den Ort sehr gut. Das ist ein besonderer Raum, weil es ein historisches Theater ist. Jeder Sänger bringt etwas Eigenes, etwas Neues mit. Für mich als Regisseurin ist es das größte Vergnügen, mit unterschiedlichen Individuen zu arbeiten und zu entdecken, wie sie sich bewegen, wie sie fühlen, wie man mit diesen Sängern eine Figur erarbeiten kann. Ich finde es sehr viel interessanter in der Regie, wenn man nicht einen Charakter einem Sänger aufdrückt, sondern im Gegenteil: Wenn man in dem Sänger das findet, was die Fiordiligi oder den Ferrando ausmacht. Das bedeutet, dass die Sänger sehr viel von sich mit einbringen können und sich die Inszenierung dementsprechend auch stark verwandelt. Die Grundideen, die ich zu dem Stück habe, bleiben jedoch die gleichen.“
Haben Sie einige der Solistinnen und Solisten des Prager Nationaltheaters schon vorher gekannt?
„Ja, ich kannte Arnheiður Eiríksdóttir, weil sie im Ensemble in Köln war und in einer meiner Inszenierung gespielt hat. Die anderen Sänger habe ich mir im Internet sehr gut angeschaut. Petr Nekoranec (Darsteller von Ferrando, Anm. d. Red.) war mir natürlich ein Begriff, weil er lange in Luzern war und ein Star ist. Kateřina Kněžíková (Darstellerin von Fiordiligi, Anm. d. Red.) habe ich im Internet gesehen. Sie sind beide unglaublich phantastisch. Sie sind so tolle Darsteller, Sänger, Künstler, aber darüber hinaus so tolle Menschen mit einem reichen Gefühlsleben und einer schönen Phantasie, dass man mit ihnen sehr gerne arbeitet und Zeit verbringt.“
Sie haben an der Hochschule für Musik Hanns Eisler studiert. Wer hat Sie am stärksten beeinflusst?
„Meine beiden wichtigsten Lehrer waren Ruth Berghaus und Peter Konwitschny. Ich kam als eine der ersten Studentinnen aus dem Westen nach Ostberlin, um zu studieren. Ich bin mit der Absicht dort hingegangen, weil mich die Hochschule interessierte, die sich zwischen Walter Felsenstein und Bertolt Brecht befindet. Brecht ist für alle Theatermenschen ein wichtiger Denker. Von Ruth Berghaus, die eine große Choreographin und Opernregisseurin war, konnte man viel lernen: den Umgang mit Musik, dem Raum und wie man eine Szene entwickelt.“
Sie sind, nehme ich an, in einer musikalischen Familie aufgewachsen. Warum haben Sie sich schließlich für die Opern-Regie entschieden? Sie hätten auch Musikerin werden können…
„Tatsächlich beherrsche ich mehrere Instrumente – Klavier, Cello und Kontrabass – und habe in vielen Orchestern gespielt. Musik war für mich ein wichtiger Teil meines Lebens. Aber ich glaube, was uns Menschen ausmacht, oder was für mich so wichtig ist, ist die Kommunikation zwischen den Menschen. Dass wir uns oft verständigen können, indem wir uns Geschichten erzählen. Die Geschichten, die vielleicht aus einer anderen Zeit stammen, aber trotzdem für uns noch aktuell sind, und uns einen Spiegel vorhalten, damit wir etwas von uns und von unserer Welt begreifen. Und das bietet für mich einfach die Opern-Regie.“
Wie ist Ihre Beziehung zur tschechischen Musik? Denn Sie haben auch schon Erfahrung bei der Regie der „Rusalka“, der „Verkauften Braut“ und dem „Schlauen Füchslein“. Und nun inszenieren Sie auch „Katja Kabanowa“ sowie „Jenůfa“…
„Für mich sind seine Stücke – das ‚Schlaue Füchslein‘ oder ‚Katja Kabanowa‘ – wie Albert Camus. Es geht wirklich um ein Leben des Menschen und auch des modernen Menschen, seine Verlorenheit in der Welt.“
„Ich komme selbst aus einer sehr internationalen Familie. Mein Vater stammt aus der Türkei, meine Mutter aus einer slowenischen Minderheit in Italien, und wir sprechen zu Hause Slowenisch. Deswegen ist mir auch die tschechische Sprache nahe. Ich kann sie leider nicht sprechen, aber ich verstehe fast alles und speziell, wenn ich ein Libretto lese, kann ich das sehr gut verstehen. Ich habe das Gefühl, es ist eine Herzenssprache. Vielleicht weil ich Slowenisch so viel als Kind gehört habe. Auch die tschechische Musik ist mir deswegen so nah. Für mich ist Leoš Janáček einer der wichtigsten Komponisten überhaupt. Ich finde das, was er geschrieben hat, so unglaublich modern, fast existenzialistisch, würde ich sagen. Für mich sind seine Stücke – das ‚Schlaue Füchslein‘ oder ‚Katja Kabanowa‘ – wie Albert Camus. Es geht wirklich um ein Leben des Menschen und auch des modernen Menschen, seine Verlorenheit in der Welt. Wie man in die Welt geworfen ist, wo man so etwas wie eine Spiritualität findet und welche Kraft uns die Natur geben kann. Ich glaube, Janáček ist ein besonderer Komponist. Ich kann mich gut daran erinnern, als ich 13 oder 14 Jahre alt war. Damals bin ich oft in die Oper gegangen, ich habe das immer gemocht. Als ich aber meine erste Janáček-Oper gehört habe, war das wirklich ein Schock für mich. Wie ein Erwachen.“
Bei Janáček spielt die Sprache eine besondere Rolle…
„Ja, sehr. Und ich glaube, man hört es auch, wenn tschechische Sänger Janáček singen: Es ist etwas ganz Besonderes. Sie können sich mit der Sprache ganz anders ausdrücken, mit dieser Musik.“
Haben Sie einen unerfüllten Wunsch, was tschechische Opern anbelangt? Etwas, dass Sie vielleicht einmal inszenieren möchten?
„Ich habe das große Glück, dass dieses Jahr alle meine Wünsche erfüllt worden sind. Denn ich bin sehr lange hinter allen Intendanten hergerannt und habe gesagt: ,Ich will Janáček inszenieren!‘ Und dieses Jahr darf ich wirklich alle drei wichtigen Stücke von ihm machen: das ‚Schlaue Füchslein‘, ‚Katja‘ und ‚Jenůfa‘. Und natürlich wäre es ein großer Wunsch, in diesem Janáček-Kosmos noch viel weiter zu gehen. Ich finde die ,Sache Makropulos‘ (Věc Makropulos, Anm. d. Red.) ein wunderbares Stück, ich finde auch ,Osud‘ (Schicksal, Anm. d. Red.) unglaublich interessant. Oder selbst ein Stück, das vielleicht seltsam ist – ,Die Ausflüge des Herrn Brouček‘ (Výlety páně Broučkovy, Anm. d. Red.) – würde ich auch gerne einmal machen.“
Die nächsten Aufführungen von Mozarts Oper „Così fan tutte“ sind am 21. Januar sowie am 6., 10. und 18. Februar in der Staatsoper in Prag.