Fit for Ratspräsidentschaft? EU-Klimapolitik unter Tschechiens Führung

Am Freitag übernimmt Tschechien die EU-Ratspräsidentschaft. Für diese halbjährige Aufgabe haben auch die einzelnen Regierungsressorts ihre Prioritäten formuliert. Für das Umweltministerium steht das Paket „Fit for 55“ im Mittelpunkt, mit dem die Europäische Kommission bereits die Richtung in der Klimapolitik vorgegeben hat. Viel von dem, was im kommenden halben Jahr in Sachen Umwelt- und Energiepolitik auf EU-Ebene diskutiert wird, ist allerdings abhängig von der weiteren Entwicklung im Ukraine-Krieg und neuen globalen Partnerschaften. In dieser Umbruchphase wird Tschechien an der Spitze der EU weltweit sichtbar und hörbar sein.

EU-Länder mit größten Treibhausgas-Emissionen | Quelle:  Energieatlas,  Eurostat,  Heinrich-Böll-Stiftung,  Flickr,  CC BY 2.0

„Fit for 55“ heißt das Maßnahmen-Paket, das die Europäische Kommission im vergangenen Sommer vorgelegt hat. Es soll die Klima- und Energiepolitik der EU-Länder darauf ausrichten, bis zum Jahr 2030 die Treibhausgasemissionen auf 55 Prozent abzusenken im Vergleich zum Stand von 1990. Dazu sind deutliche Veränderungen in der Industrieproduktion oder auch eine vermehrte Nutzung erneuerbarer Energien nötig.

Von all dem muss aber das EU-Parlament überzeugt werden. Und dieses hat noch Anfang Juni wichtige Passagen von „Fit for 55“ abgelehnt. Am Dienstagabend verabschiedeten die EU-Umweltminister nun eine überarbeitete Variante, die vor allem die Regelungen zum Handel mit Emissionszertifikaten angepasst hat. Jan Dusík (parteilos) ist stellvertretender tschechischer Umweltminister:

Jan Dusík | Foto: Camille Montagnon,  Radio Prague International

„Im Hinblick auf das Tempo, was in den nächsten sechs Monaten erreicht werden kann, wären wir froh, wenn wir uns während der tschechischen Ratspräsidentschaft mit dem EU-Parlament auf ein Gesetz einigen können. Dies hängt davon ab, wie viele offene Punkte die französische Ratspräsidentschaft hinterlässt, wann das EU-Parlament einen Gesetzesentwurf verabschiedet und wie lange dieser Entwurf auch im Rat der EU verhandelt wird.“

Eine Übereinkunft im EU-Ministerrat ist damit das erste klimapolitische Ziel Tschechiens im kommenden halben Jahr. Dies erläuterte Dusík auf einer Diskussionsveranstaltung mit dem Titel „Die tschechische EU-Ratspräsidentschaft im Bereich Klima und Umweltschutz“, die die Karlsuniversität, die Klimakoalition sowie die Gesellschaft für ein nachhaltiges Leben Mitte Juni ausgerichtet haben. Eine weitere Rednerin war Hana Müllerová, die Leiterin des Zentrums für Klimarecht und Nachhaltigkeitsstudien an der tschechischen Akademie der Wissenschaften. An die EU-Ratspräsidentschaft Tschechiens würden große Erwartungen gestellt, betonte die Juristin. Und dies nicht nur auf der Ebene der Union, sondern auch für die Kommunikation und Verteidigung der Klimaziele im eigenen Land:

Hana Müllerová | Foto: Matěj Skalický,  Tschechischer Rundfunk

„Die tschechische Bevölkerung sollte davon überzeugt werden, dass der Green Deal der EU eine Gelegenheit darstellt und keine Gefahr. Ein konkretes Beispiel dafür ist das geplante Verkaufsverbot von Autos mit Verbrennungsmotoren ab 2035. Dieses gehört zu dem Teil des ‚Fit for 55‘-Pakets, der im Europäischen Parlament gleich durchgegangen ist. Also muss auch die tschechische Regierung damit irgendwie umgehen. Das ist in Tschechien aber ein sehr sensibles Thema, und viele Menschen stimmen diesem Vorschlag nicht zu. Ich denke aber, dass dies in erheblichem Maße an gewissen Unkenntnissen zu dieser Problematik liegt und am fehlenden Wissen darüber, was diese Maßnahme eigentlich bedeutet. Dass sie zum Beispiel nur den Verkauf fabrikneuer Autos betrifft und den Menschen nicht ihre älteren Autos weggenommen werden. Dies ist eine große Aufgabe für die tschechische Regierung. Darum lautet mein Appell an sie, nicht nur auf der europäischen Ebene zu verbleiben und eben nicht zu vergessen, dass sie auch die richtigen Signale nach innen senden muss, also an die Bewohner Tschechiens.“

Neuausrichtung der Energiepolitik

Ölförderung in Russland | Foto: Gennadij Kolodkin,  World Bank,  Flickr,  CC BY-NC-ND 2.0

Nicht einfacher wird diese Aufgabe für das Kabinett von Premier Petr Fiala (Bürgerdemokraten) durch den Krieg in der Ukraine. Das EU-weite Ziel, schnellstmöglich unabhängig von fossilen Rohstoffen aus Russland zu werden, wird nämlich auch in Tschechien mit der Forderung unterlegt, vermehrt Atomkraft aus eigener Herstellung zu nutzen. Dies geht zu Ungunsten des europäischen Green Deals und der Pläne, die Nutzung erneuerbarer Energien auszuweiten. Noch konkreter in ihrer Kritik an der bisherigen Klimapolitik der tschechischen Regierung wurde Romana Březovská, Analytikerin der Assoziation für internationale Fragen (AMO):

„Wenn Tschechien in der EU eine Transformationsagenda vorlegen und mitgestalten soll, ist es unlogisch, wenn der tschechische Staat noch keine Schlüsseldokumente hat, wie etwa eine Strategie zur Klimaneutralität. Es gibt außerdem kein wissenschaftliches und politisches Gremium, das verfolgen würde, ob die Emissionen hierzulande tatsächlich gesenkt werden. Wir haben zudem keine aktualisierte Strategie zur Nutzung des Potentials erneuerbarer Energien, und auch die Indikationsziele für Energieeffektivität werden nicht erfüllt.“

Illustrationsfoto: René Volfík,  Tschechischer Rundfunk

Auf diese von Seiten tschechischer Umweltorganisationen schon mehrfach vorgetragene Kritik reagierte Ministeriumsvertreter Jan Dusík mit dem Hinweis, dass in die Diskussion um klimapolitische Inhalte auch NGOs einbezogen würden und sein Ressort sich in dieser Richtung offen gebe.

Während der Zeit der Ratspräsidentschaft muss die tschechische Regierung aber auch auf kaum vorhersehbare globale Entwicklungen reagieren. Dies beträfe vor allem die Neuausrichtung der Energiepolitik, erläuterte Hana Müllerová:

Illustrationsfoto: Zdeňka Trachtová,  Tschechischer Rundfunk

„Der Bereich der Energiegewinnung ist aktuell stark verknüpft mit dem Geschehen in der Ukraine und den Reaktionen der EU. Dieser Schlüsselbereich für den Klimasektor verändert sich derzeit andauernd. Er unterliegt einer hohen Dynamik, die das einzige ist, worüber wir uns in der aktuellen Lage sicher sein können. Es fehlen hingegen feste Punkte, an denen wir uns festhalten können. Die Vorbereitung der Ratspräsidentschaft ist darum in der aktuellen Lage unglaublich schwierig, und wir müssen auf gewisse Improvisationen vorbereitet sein.“

Zum Hauptproblem Klima kommt nun das Thema Natur dazu

Und auch längerfristig betrachtet – unabhängig vom Kriegsgeschehen in der Ukraine – unterliegt die Umweltpolitik der EU derzeit dramatischen Veränderungen, meint Vojtěch Kotecký. Laut dem Zoologen vom Zentrum für Umweltfragen an der Karlsuniversität in Prag war Ökologie in den vergangenen 20 Jahren im Prinzip gleichzusetzen mit der Klimaproblematik. Inzwischen mache sich aber ein zweites, ebenso weitreichendes Umweltthema bemerkbar:

Vojtěch Kotecký | Foto: Barbora Linková,  Tschechischer Rundfunk

„Und dies ist die Natur – also die biologische Diversität, deren Rückgang sowie die Auslastung natürlicher Ressourcen und das Nachlassen ihrer Wirkungsweisen. Für diese Problematik braucht es eine ähnlich umfassende Lösung wie beim Thema Klima. Wenn es einen Moment gibt, in dem dies deutlich sichtbar wird und Zugang findet in die offizielle EU-Umweltpolitik, dann ist dies genau die Zeit der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft.“

Im kommenden halben Jahr sollen nämlich wichtige Weichen gestellt werden für das sogenannte Nature restoration law, also ein Gesetz zur Wiederbelebung der Natur, dessen Entwurf die Europäische Kommission am Mittwoch vergangener Woche vorgelegt hat. Damit würde sich die Ausrichtung des Umweltschutzes von dem bloßen Bestandserhalt auf eine aktive Erneuerung natürlicher Ressourcen verlagern, kommentierte Kotecký. Und Jan Dusík bestätigte, dass das Thema Natur neben dem Paket „Fit for 55“ im Mittelpunkt stehen wird bei der informellen Ratssitzung der EU-Umweltminister Mitte Juli in Prag.

Weiter führte Zoologe Kotecký aus:

„Schon seit mehreren Jahren wird eine Debatte geführt, dass es ähnlich wie den Pariser Vertrag zum Klima auch einen Pariser Vertrag für biologische Diversität geben sollte. Dazu werden bereits internationale Verhandlungen geführt. Dies wäre der zentrale multilaterale Ansatz, in dem Tschechien als Ratsvorsitzender nicht nur die Debatte innerhalb der EU beeinflussen, sondern auch für die EU auf globaler Ebene sprechen könnte. Und zwar darüber, wie der Rückgang der biologischen Vielfalt gestoppt und die Natur in unsere Welt zurückgebracht werden könnten.“

Tschechien wird EU weltweit vertreten

Dass Tschechien an der Spitze der EU im kommenden Halbjahr die Aufmerksamkeit der ganzen Welt auf sich ziehen wird, habe auch mit den Verzögerungen durch die Corona-Pandemie zu tun, ergänzte Ministeriumsvertreter Jan Dusík:

„Der Bereich der Umweltpolitik hat die Besonderheit, dass er etwa zu gleichen Teilen einen europäischen und einen globalen Bezug hat. In der anstehenden tschechischen Ratspräsidentschaft hat die globale beziehungsweise multinationale Ebene aber noch etwas mehr Gewicht. Dies unter anderem deshalb, weil sich zahlreiche internationale Verhandlungen, die für die letzten zwei Jahre geplant waren, wegen Corona soweit verzögert haben, dass sie für das kommende halbe Jahr erwartet werden. Es sind etwa 25 weltweite Veranstaltungen geplant, bei denen Tschechien die EU vertreten wird. Dazu gehören die Klima-Konferenz COP27 in Scharm El-Scheich oder auch die Konferenz zu Biodiversität, die noch keinen Termin oder Ort hat.“

Bezüglich der letzten Klima-Konferenz COP26 im November vergangenen Jahres erinnerte Analytikerin Romana Březovská noch daran, dass danach ein positives Gefühl geherrscht habe, weil die Teilnehmer sich auf das Erreichen der Klimaneutralität bis Mitte dieses Jahrhunderts geeinigt hatten. Nur habe der Ukraine-Krieg gezeigt, dass die Staaten aber seitdem ihre Hausaufgaben nicht gemacht hätten:

Romana Březovská | Foto:  Assoziation für internationale Fragen

„Für COP27 bedeutet dies Folgendes: Weil Tschechiens Politiker bisher nicht konform gehen mit der EU-Politik, schwächen sie die Europäische Union in großem Maße. Und dies sowohl bei den Bemühungen zur Erreichung der Klimaneutralität, als auch im aktuellen Kontext bei Fragen des Weltfriedens. Indem Ausnahmen von EU-Sanktionen gegen Russland gefordert werden, ermöglicht Tschechien es, den Krieg weiterzuführen und mit Material auszustatten.“

Damit bezog sich Březovská auf eine Ausnahme vom Öl-Embargo, die Premier Petr Fiala verhandelt hat. Obwohl ab Ende dieses Jahres die Einfuhren aus Russland über den Seeweg in die EU-Länder gestoppt werden, darf Tschechien noch 18 Monate länger Öl auf diesem Wege beziehen.

Lichtsmog | Illustrationsfoto: Mathias Siebold,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 3.0

Die Prioritäten des tschechischen Umweltministeriums für die EU-Ratspräsidentschaft umfassen neben diesen wichtigsten Punkten auch die Themen Zirkularwirtschaft, Lichtsmog oder Verbesserung der Luftqualität. Als ein erster Praxistest gilt laut Jan Dusík das informelle Treffen der EU-Umweltminister Mitte Juli. Über die konkreten Gesetzesvorhaben werde dann bei den Sitzungen des EU-Ministerrates abgestimmt, die Tschechien sowohl am 24. Oktober als auch am 20. Dezember ausrichtet.

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