Frühlingsbote der Wende und langsamer Garant der Versöhnung: Helmut Kohl und Tschechien

Helmut Kohl (Foto: Archiv der Konrad Adenauer Stiftung, CC BY 2.0)

Helmut Kohl – ein Schwergewicht der deutschen und europäischen Politik findet am Samstag in Speyer seine letzte Ruhe. Ohne Frage hatte der Altkanzler auch Einfluss auf das kleine Nachbarland im Osten, spätestens mit der Deutsch-Tschechischen Erklärung von 1997. Adam Černy ist anerkannter Publizist und Politologe. Er ist Deutschland-Experte und hat sich unter anderem mit Helmut Kohl befasst. Ein Gespräch mit ihm über die Bedeutung Helmut Kohls für Tschechien gesprochen, genauso wie über das Bild des ehemaligen Kanzlers in der tschechischen Gesellschaft.

Helmut Kohl  (Foto: Archiv der Konrad Adenauer Stiftung,  CC BY 2.0)
Herr Černý, vor fast zwei Wochen ist der ehemalige deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl verstorben. Am Samstag findet nun der umstrittene Gedenkakt in Straßburg statt, bevor der Altkanzler in Speyer bestattet wird. Vielleicht zu Beginn ganz allgemein die Frage: Wie hat man denn den Tod Helmut Kohls in Tschechien aufgenommen?

„Die Reflexion von Helmut Kohl in den tschechischen Medien war eigentlich eindeutig. Einerseits wurde er als Autor der deutschen Einheit gewürdigt. Also als der Politiker, der mit diesem Gedanken gekommen ist und ihn durchgesetzt hat trotz Widerständen. Anderseits wurde Helmut Kohl natürlich auch als der Politiker wahrgenommen, der die tschechisch-deutschen Beziehungen deutlich vorangebracht hat, und zwar mit der Deutsch-Tschechischen Erklärung von 1997 als Abschluss. In Tschechien ist aber ebenso zum Thema geworden, dass Helmut Kohl nicht so glänzend wegkam nach seinem Abgang aus der Politik. Vor allem im Vergleich mit Helmut Schmidt, der bis zu seinem Tod unbestritten eine Autorität auf der deutschen politischen Bühne war.“

„Als den DDR-Bürgern schließlich die Ausreise gestattet wurde – und dass auch noch über das kommunistische Ostdeutschland – war den Tschechen klar, dass sich irgendetwas ändern wird und dass die Wende schon um die Ecke lauert.“

Das erste Mal ist Prag eigentlich im Herbst 1989 in den Blick von Helmut Kohl geraten, und zwar als in der bundesdeutschen Botschaft tausende DDR-Bürger auf ihre Ausreise warteten. Wie war damals die Kommunikation bzw. die Zusammenarbeit mit den tschechoslowakischen Behörden?

„Die Ereignisse damals wurden mit großer Spannung verfolgt. Nach den Geschehnissen in Ungarn und dann, als der Garten der bundesdeutschen Botschaft immer voller und voller wurde, war klar, dass irgendwas passiert. Und auch die Bewohner Prags und der ganzen Tschechoslowakei wussten auf einmal, dass der weitere Verlauf der Dinge auch Einfluss nehmen könnte auf die Entwicklung in der heimischen Politik. Als den DDR-Bürgern schließlich die Ausreise gestattet wurde – und dass auch noch über das kommunistische Ostdeutschland – war den Tschechen klar, dass sich irgendetwas ändern wird und dass die Wende schon um die Ecke lauert. Auch wenn niemand damals sagen konnte, wann genau sie kommen wird.“

ZDF berichtete in seiner Nachrichten über flüchtende DDR-Bürger in Prag  (Foto: Archiv ZDF)
Hatten die Ereignisse an der Botschaft dann letztlich die entscheidende Wirkung auf die Wendezeit in der Tschechoslowakei?

„Bedeutung hatte das genauso wie die ersten freien Wahlen in Polen und Ungarn. Jedem war also dadurch klar, dass sich auch in der Tschechoslowakei etwas verändern muss. Niemand ahnte aber, wann es passieren könnte. Aber all das – und vor allem die Ausreise der DDR-Bürger über das Gelände der bundesdeutschen Botschaft in Prag – waren Anzeichen dafür, dass das Regime schon schwach und am Ende war.“

Welche Rolle spielte Helmut Kohl vor und dann später nach der Wende für die Dissidenten. Der Altkanzler unterhielt ja nicht so enge Kontakte mit den Oppositionellen wie zum Beispiel der ehemalige französische Präsident François Mitterrand…

Frühstück der Dissidenten mit François Mitterrand in der französischen Botschaft | Foto: Französische Botschaft in Prag
„Natürlich waren die Kontakte auf der obersten Ebene nicht so eng, wie es zum Beispiel mit den Franzosen der Fall war. Das berühmte Frühstück der Dissidenten mit François Mitterrand in der französischen Botschaft ist da eines der deutlichsten Zeichen gewesen. Nichtsdestotrotz unterhielt die deutsche Botschaft damals enge Kontakte mit den Dissidenten wie auch den Vertretern der sich herausbildenden Zivilgesellschaft. Das durfte ich als Journalist damals auch miterleben. Wahr ist aber, dass auf der höchsten Ebene die Beziehungen weit nicht so eng waren, wie mit den Franzosen.“

Nach der Wende haben die neuen politischen Eliten trotzdem bewusst Kontakt zu Helmut Kohl gesucht. Václav Havel zum Beispiel ist schon zu Kohl gereist, bevor er offiziell tschechoslowakischer Präsident wurde…

„Am Ende war es Bundespräsident Richard von Weizsäcker, der Kohl dazu gedrängt hat, die Deklaration unterschriftsreif zu machen und die ganze Sache abzuschließen.“

„Man hat da halt versucht aufzuholen, was vor der Wende im November 1989 noch nicht so weit gediehen war. Und zwar eben diese engen Kontakte zur deutschen Staatsspitze. Nichtsdestotrotz rief die erste Reise Havels nach Deutschland, auch wenn er noch nicht zum amtierenden Präsidenten gewählt worden war, große Kontroversen in der Tschechoslowakei hervor. Die Kommunisten hatten damals ja noch einen großen Einfluss. Für diejenigen aber, die von einer klaren Wende träumten, war das natürlich ein wichtiges Zeichen. Tschechien schien damit seinen Weg zu finden und deutlich zu zeigen, wohin man sich orientieren wolle. Und Deutschland als wichtigster Nachbar war da natürlich das erste große Ziel.“

Richard von Weizsäcker  (Foto: Bundesarchiv,  Bild 146-1991-039-11 / CC-BY-SA 3.0)
Schon gegen Ende seiner Amtszeit ist Kohl dann doch zum Symbol der tschechisch-deutschen Versöhnung bzw. der Normalisierung der bilateralen Verhältnisse geworden, und zwar 1997 mit der Deutsch-Tschechischen Erklärung. Was hat den Kanzler, trotz Widerständen auch in seiner eigenen konservativen CDU-CSU-Fraktion, zu diesem Schritt auf Prag zu konkret bewegt?

„Die Rolle Kohls war dabei natürlich bedeutend. Dennoch, wie soll ich es sagen, sie war auch nicht unbedingt sehr aktiv. Denn Kohl nahm ebenso sehr viel Rücksicht auf die konservativen Kreise in seiner Partei in der Frage der Beziehungen zu Tschechien. Am Ende war es Bundespräsident Richard von Weizsäcker, der Kohl dazu gedrängt hat, die letzten Schritte zu unternehmen, die Deklaration unterschriftsreif zu machen und die ganze Sache abzuschließen. Tatsächlich musste Weizsäcker den Kanzler mit Nachdruck in Bewegung setzen, denn hier wurde seine typische Art, die Dinge auszusitzen, bereits kontraproduktiv.“

In Deutschland wird Kohl auch als ein Kanzler Europas wahrgenommen, zudem gelten auch die EU und der Euro mehr oder weniger als seine Kinder. Hat das auch einen Einfluss auf das Kohl-Bild in Tschechien?

François Mitterrand und Helmut Kohl auf dem Schlachtfeld von Verdun  (Foto: YouTube Kanal Ina Actu)
„Auf jeden Fall hat das einen Einfluss. Es ist vor allem Kohl als Symbol der europäischen Integration als Friedensprojekt, was haften bleibt. Ikonisch dafür ist dieses berühmte Bild mit Mitterrand auf dem Schlachtfeld von Verdun, das ihm viele auch hierzulande hoch anrechnen. Und zwar auch diejenigen, die diese Vorstellung von Europa nicht uneingeschränkt teilten und teilen.“