Funktionalismus, Hrabal und bilanzierende Journalisten
In Bayern wird in den kommenden Wochen hervorragende Kunst aus Tschechien präsentiert. So dreht sich demnächst in Regensburg alles um den Prager Funktionalismus. In München ist der Monat Mai dem 100. Geburtstag des Schriftstellers Bohumil Hrabal gewidmet. Außerdem ziehen dort tschechische Journalisten Bilanz. Was es damit auf sich hat, das erfahren Sie im Interview mit dem Leiter des Tschechischen Zentrums in München, Ondřej Černý.
„Auch wenn vor allem der Schweizer Architekt Le Corbusieur einen prägenden Einfluss auf die Entwicklung des Funktionalismus hatte, gehört auch Prag zu den wichtigsten urbanen Zentren der funktionalistischen Architektur. Eine ganze Generation junger Architekten machte die Stadt zu einem architektonischen Labor, dessen Bedeutung weit über die Grenzen der Tschechoslowakei hinausreichte. Nicht nur Miet- und Familienhäuser, sondern auch Verwaltungsgebäude, Schulen, Krankenhäuser und weitere Gebäude wurden in diesem neuen Stil gebaut. Die funktionalistischen Bauwerke Prags gehören zu den Perlen der Modernen Architektur weltweit. Eine Auswahl davon wird eben in der Ausstellung präsentiert - unter anderem das Haus Müller von Architekt Adolf Loos, das Gebäude des Künstlervereins Mánes von Otakar Novotný oder die katholische Kirche des heiligen Wenzels von Josef Gočár.“
In welcher Form wird die funktionalistische Architektur Prags in der Ausstellung präsentiert?„Es sind 38 Panels mit Fotos und Beschreibungen. Sie wurden von der Jaroslav-Fragner-Galerie in Prag gestaltet.“
Als Begleitprogramm zur Ausstellung planen Sie auch einige Vorträge…
„Der Einführungsvortrag wird vom Architekturhistoriker Zdeněk Lukeš gehalten, einem der besten tschechischen Kenner des Prager Funktionalismus, und zwar nach der Vernissage am 1. April. Weitere Vorträge halten Vertreter der führenden tschechischen Architekturateliers. Am 8. April sind es zwei Vertreter der jungen Architekturszene: Roman Brychta und Ondřej Hoffmeister vom Atelier Projektil. In diesem Atelier wurde zum Beispiel die neue Technische Nationalbibliothek in Prag entworfen. Am 9. April folgt ein Vortrag von Miroslav Cikán und Pavla Melková. Sie präsentieren ihr Atelier MCA, das sich auf Modernisierungsprojekte in historischen Städten spezialisiert hat. Und am 15. April referiert dann Ivan Kroupa in Regensburg. Es ist eine große Freude für uns, dass wir ihn gewonnen haben, weil er ein hervorragender tschechischer Architekt der Gegenwart ist. Eines seiner Werke ist zum Beispiel das DOX, das Zentrum für zeitgenössische Kunst in Prag.“
Die Ausstellung hat zwei Teile, so werden nicht nur die funktionalistischen Bauten selbst präsentiert, sondern auch die zeitgenössische tschechische Architektur. Ist die Architektur der Gegenwart immer noch vom Funktionalismus der Zwischenkriegszeit beeinflusst?„Der Titel der Ausstellung spricht von den Anklängen des Funktionalismus. Diese kann man ohne Zweifel in der Nüchternheit beziehungsweise im Purismus der präsentierten zeitgenössischen Bauten sehen. Auch bei ihnen gilt das, was für den Funktionalismus typisch ist: dass die Funktion die Form bestimmt. Man kann es bei der Ausstellung ganz konkret sehen, etwa am Beispiel des Euro-Palastes am Wenzelsplatz oder des DOX-Zentrums für zeitgenössische Kunst. Ein anderes Beispiel dafür ist die puristische U-Bahnstation Kolbenova.“
Soweit also zur Ausstellung über den Prager Funktionalismus in Regensburg. Sie findet vom 1. bis 15. April an der Fakultät für Architektur der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg statt. Im Programm der Tschechischen Zentren weltweit spiegelt sich zudem weiterhin das Jahr der tschechischen Musik wider. Was planen Sie dazu in Bayern in der nächsten Zeit?„Das Jahr der tschechischen Musik ist für uns eine der wichtigsten Programmdominanten. Wir planen eine Reihe Veranstaltungen. Die nächste kommt am 5. April im Rahmen des Zyklus Winners and Masters. Im Münchner Konzerthaus Gasteig spielt das Eben-Trio. Das Eben-Trio entstand im Jahr 2012 in der Besetzung Terezie Fialová (Klavier), Roman Patočka (Geige) und Jiří Bárta (Violoncello). Das Ensemble ist nach dem bedeutenden tschechischen Komponisten Petr Eben benannt und spielt unter anderem Werke von Bedřich Smetana. Eine weitere Veranstaltung folgt in Baden-Württemberg, und zwar am 4. Mai in Böblingen bei Stuttgart. Dort findet der traditionsreiche „Böblinger Orgelfrühling“ statt, bei dem der tschechische Organist Pavel Kohout ein Konzert gibt. Er spielt nicht nur Bach und Brahms, sondern auch Werke von Petr Eben, der in diesem Jahr seinen 85. Geburtstag feiern würde. Leider lebt Petr Eben nicht mehr.“
Ein weiteres Jubiläum ist der 100. Geburtstag des Schriftstellers Bohumil Hrabal. Im Tschechischen Zentrum war bereits im vergangenen Jahr eine Foto-Ausstellung über Hrabal zu sehen. Was ist nun geplant?„Wir haben uns entschieden, den gesamten Monat Mai Bohumil Hrabal zu widmen. Anfang Mai wird bei uns im Tschechischen Zentrum eine Ausstellung von Graphiken von Oldřich Hammera eröffnet. Er ist einer der besten Freunde von Bohumil Hrabal und hat auch zahlreiche seiner Bücher illustriert. Diese Ausstellung wird von einer Diskussionsreihe begleitet, die wir zusammen mit Eva Čapková vorbereiten. Sie ist eine Kunsthistorikerin und Bohemistin, die in München arbeitet und auf von Hrabal inspirierte Kunstwerke spezialisiert ist - dazu gehören vor allem Graphiken von Vladimír Boudník. Sie wird veranstaltet in Zusammenarbeit mit dem Institut für Slawistik an der Ludwig-Maximilians-Universität München.“
Und zum Schluss möchte ich noch auf eine Vortragsreihe hinweisen. Im Rahmen des Zyklus „Tschechische Journalisten ziehen Bilanz“ laden Sie in Zusammenarbeit mit dem Adalbert Stifter Verein in diesem Jahr mehrere tschechische Journalisten nach München ein. Diese bilanzieren das Vierteljahrhundert seit der Samtenen Revolution. Auf welche Aspekte werden sich die Vorträge konzentrieren? Wie viele Vorträge planen Sie, und welches sind die nächsten Termine?„Der nächste Termin dieses Zyklus ist am 10. April. Es ist ein Vortrag von Kateřina Šafaříková mit dem Namen ‚Die innere Peripherie‘. Kateřina Šafaříková erläutert in diesem Vortrag, wie sich die Außenpolitik der Tschechischen Republik von den 1990er Jahren bis heute gewandelt hat, welche Position in Europa sich Tschechien geschaffen hat und welche Strategien es verfolgt. Kateřina Šafaříková ist eine sehr erfahrene und dynamische Journalistin. Sie begann bei der Lidové noviny in Prag, dann war sie fünf Jahre lang Korrespondentin dieser Zeitung in Brüssel. Des Weiteren war sie (im Wochenmagazin ‚Respekt‘ und in der Leitung der Abteilung für Neue Medien im Tschechischen Fernsehen tätig. Mittlerweile arbeitet sie für die der Internetzeitung Česká pozice. Danach wird am 8. Mai ein Vortrag von Tomáš Lindner vom Wochenblatt Respekt folgen.“