Funktionalismus pur: Der Prager Messepalast

Messepalast

Das Gebäude wurde von hervorragenden Architekten entworfen und war einst das größte seiner Art auf der ganzen Welt. Die Rede ist vom Messepalast im Prager Stadtteil Holešovice, in dem heute die Nationalgalerie ihre Sammlungen moderner Kunst zeigt.

Messepalast in Prag-Holešovice | Foto: Nationalgalerie Prag

Der Prager Messepalast geht auf die Bedürfnisse eines Privatunternehmens zurück. Und zwar dachte man vor etwa 100 Jahren in der Prager Mustermesse, dass die Hauptstadt des neuen tschechoslowakischen Staates zu einem Handelszentrum von europäischem Rang werden dürfte. Dafür sollte ein entsprechendes Messegelände entstehen. Radomíra Sedláková ist Kunsthistorikerin bei der Nationalgalerie in Prag:

„Mit dem Bau wurde 1925 begonnen. Die Arbeiten verzögerten sich aus mehreren Gründen, aber 1928 war das Gebäude fertig. Es wurde als Geschenk zum zehnten Gründungsjubiläum der Tschechoslowakischen Republik eröffnet, und zwar mit der Veranstaltung einer ersten Messe. Recht schnell war der Palast dann etabliert, und man erwog sogar, eine ganze Messestadt aufzubauen. Dort sollte ein zweites Palais entstehen, ein Verwaltungsgebäude und ein Hotel. Zur Diskussion stand zudem, einen eigenen Bahnanschluss zu schaffen. Letztlich zeigte sich, dass die Pläne zwar groß waren, der Geldbeutel aber klein. Also blieb der erste auch der letzte Messepalast.“

Messepalast in den 1930er Jahren | Foto: Nationalgalerie Prag

Entworfen wurde dieser von den Architekten Josef Fuchs und Oldřich Tyl. Der Messepalast war eines der ersten großen funktionalistischen Gebäude in Europa. Seinetwegen reisten Architekten aus der ganzen Welt nach Prag…

„Selbst Le Corbusier kam hierher. Dabei wurde kolportiert, dass er sich negativ geäußert habe. Er soll gesagt haben, es handle sich beim Messepalast um einen Bau, aber nicht um Architektur. Wenn man aber den ganzen Bericht über den Aufenthalt von Le Corbusier in Prag liest, dann muss man zu dem Schluss kommen, dass er nur neidisch war. Denn er stellte die rhetorische Frage, warum hier solche Häuser gebaut würden, wo er doch nur Privatvillen entwerfe. Er wollte liebend gerne auch einen solchen Auftrag bekommen. Und wenige Jahre später begann er dann ebenfalls damit, große Bauten zu planen“, so die Expertin.

Messepalast in den 1920er Jahren | Foto: Nationalgalerie Prag

In den ersten Jahrzehnten pulsierte das Leben in dem Gebäude. Neben den Messen wurden hier Ausstellungen abgehalten. Zudem gab es zahlreiche Restaurants, Schnellimbisse und Cafés – davon eines oben auf dem Dach mit einem tollen Blick über Prag – sowie einen Billard-Saal und ein Kino. Dieses Lichtspielhaus bot 650 Besuchern Platz und war das modernste im ganzen Land.

Während des Zweiten Weltkriegs missbrauchten die deutschen Reichsbehörden das Palais und das angrenzende Gelände als Sammelstelle für die Juden aus Böhmen und Mähren. Diese wurden von dort aus in die Konzentrationslager verschleppt.

Umbau und verheerender Brand

Messepalast  (Open House Praha 2021) | Foto: Štěpánka Budková,  Radio Prague International

Nach dem Krieg ging es ziemlich bald schon wieder unglücklich weiter. Denn die Betreibergesellschaft Prager Mustermesse wurde 1951 von den kommunistischen Behörden aufgelöst. Der Staat verlagerte die Messeaktivitäten im Land nach Brno / Brünn, und im Messepalast in Prag wurden nur noch Papiere aufeinandergetürmt. Kunsthistorikerin Sedláková:

„1953 wurde das Palais in ein Verwaltungsgebäude verwandelt. Es siedelten sich hier die Modellager kleiner und großer Firmen an sowie Werbeagenturen, die Redaktionen von Zeitschriften und die Büros von Außenhandelsgesellschaften. Das passte aber nicht wirklich hier her, denn das Gebäude war für Messen konzipiert worden. Es hatte zwei große Plätze, um die herum die Ausstellungsflächen waren. Deswegen wurden viele An- und Umbauten vorgenommen – und das natürlich in aller Eile mit billigem Material.“

Letztlich wurde dies dem Gebäude auch zum Verhängnis. Am 14. August 1974 kam es zu einem Brand, und das Feuer erfasste den ganzen Palast. Mehrere Tage lang kämpfte die Feuerwehr mit den Flammen.

Messepalast nach dem Brand 1974 | Foto: Nationalgalerie Prag

„Als ob jemand darauf gewartet hätte, brannte das Gebäude komplett aus. Nur die Konstruktion als solche wurde nicht direkt von den Flammen zerstört, sondern durch die Löscharbeiten. Deswegen wusste nach dem Brand niemand so richtig, was man nun machen soll: Man dachte daran, den Komplex abzureißen, da aber das Exterieur denkmalgeschützt war, ließ man ihn stehen. In der Folge kamen unterschiedliche Ideen auf, zum Beispiel ein Krankenhaus oder ein Studentenwohnheim daraus zu machen. Dann sollte ein technisches Rathaus für den siebten Prager Stadtbezirk entstehen. Am Ende nahm sich die Bauprojektgesellschaft aus Liberec (Stavoprojekt Liberec, Anm. d. Red.) ohne konkreten Auftrag der Sache an. So entstand die Idee, eine Galerie zeitgenössischer Kunst im Messepalast einzurichten. Das gipfelte darin, dass sich die Nationalgalerie dafür zu interessieren begann. 1978 erwarb die Galerie das Palais, und ab 1980 wurde der Bau restauriert“, so Radomíra Sedláková.

Messepalast - Nationalgalerie in Prag | Foto: Khalil Baalbaki,  Tschechischer Rundfunk

Die Restaurierungsarbeiten zogen sich jedoch immer weiter in die Länge. In der Zwischenzeit fegte die Samtene Revolution das kommunistische Regime hinweg, und aus der Tschechoslowakei wurde Tschechien. 1995 endlich eröffnete man feierlich den Museumsbetrieb auf drei Etagen des Messepalastes. Seit dem Jahr 2000 gibt es auch noch eine vierte Etage, auf der ebenfalls Kunst gezeigt wird, wobei ein Stockwerk für Kurzzeitausstellungen hergerichtet ist. Die Kunsthistorikerin der Nationalgalerie erläutert:

„Von außen erwartet der Besucher nichts Besonderes, weil der Bau sehr nüchtern wirkt. Wenn man aber in die sogenannte kleine Wandelganghalle geht, sagen viele Leute: ‚Oh‘. Im Übrigen wird die Wandelganghalle als klein bezeichnet, weil dies auf ihren Grundriss auch zutrifft. Doch sie ist fünf Stockwerke hoch, wobei durch das Glasdach das Licht hineinfällt. Hier lässt sich nichts ausstellen, die Halle ist ein Exponat für sich. Von den Wandelgängen gehen aber die Räume mit den attraktiven Ausstellungsstücken ab.“

Messepalast | Foto: Nationalgalerie Prag

Und in den Räumen trifft man unter anderem auf Werke von Pablo Picasso, Claude Monet, Vincent van Gogh, Georges Braque, Auguste Renoir oder Gustav Klimt. Die Sammlungen in diesem Teil der Nationalgalerie umfassen zudem zeitgenössische Kunst.

Aber zurück zum Gebäude an sich. Dieses berge nämlich noch eine Besonderheit, erläutert Radomíra Sedláková:

„Man findet hier keinen rechten Winkel, außer vielleicht in den späteren Anbauten. Schon das Grundstück ist nicht rechteckig, sondern trapezartig geformt. Damit also das Gebäude auf den Grundriss passt, durfte es nicht rechteckig sein. Das ist eines der kleinen, netten Geheimnisse, die sich im Messepalast entdecken lassen.“

Messepalast | Foto: Nationalgalerie Prag

Nicht gerade ein Geheimnis ist, dass das Palais immer noch sehr modern wirkt – obwohl es vor fast 100 Jahren gebaut wurde…

„Der Messepalast ist bis heute für jene Architekten, die sich mit dem 20. Jahrhundert beschäftigen, eine Offenbarung. Er altert nicht, die Architektur ist einfach zeitlos“, findet die Expertin.

Und alle haben etwas von diesem wunderbaren Bau: Wenn man nicht unbedingt die ausgestellte Kunst bewundern will, kann man auch einfach auf ein Bier oder einen Snack vorbeischauen – im Café im Erdgeschoss des Gebäudes.

Messepalast | Foto: Slavík,  Nationalgalerie Prag

Der Messepalast (Veletržní palác) befindet sich in der Straße Dukelských hrdinů 47 im Prager Stadtteil Holešovice. Die Öffnungszeiten sind Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr. Jeden ersten Mittwoch im Monat ist bis 20 Uhr geöffnet.

16
50.10107443608181
14.432788456018786
default
50.10107443608181
14.432788456018786
Autoren: Till Janzer , Katarína Brezovská
schlüsselwörter:
abspielen

Verbunden

  • Moderne Palais in Prag

    In Prag finden sich zahlreiche funktionalistische Palais, konstruktivistische Häuser und einmalige Paläste der Moderne. Wir stellen sie vor.