Gegen die Vereinfachung – Milan Kundera wird 90

Milan Kundera (Foto: Gisèle Freund, IMEC/Fonds MCC, Archiv der Galerie der Hauptstadt Prag)

Sein Leben und Werk ist auf zwei Sprachen und zwei Ländern aufgeteilt. Die erste Hälfte seines Lebens hat er in der Tschechoslowakei verbracht, die andere in Frankreich.

Milan Kundera  (Foto: Gisèle Freund,  IMEC/Fonds MCC,  Archiv der Galerie der Hauptstadt Prag)
„Die heutige Welt wird vom Dämon der Vereinfachung beherrscht. Ich hasse das.“

Das sagte der Romancier in einem seiner seltenen Radiointerviews zu Mitte der 1970er Jahre gegenüber der ARD. In seinen Romanen strebt er einen Gegenpol an durch Vielschichtigkeit und Vieldeutigkeit. Obwohl Kundera als einer der Protagonisten des Prager Frühlings in der Tschechoslowakei aus politischen Gründen in die Emigration ging, verwehrte er sich dagegen, dass sein Schreiben aufs Politische reduziert werde:

„Leider in unserem dümmlicherweise völlig politisierten Jahrhundert verstehen die Leute nicht mehr, einen Roman wirklich als einen Roman zu lesen. Sie wollen vielmehr im Roman die Illustration vereinfachter politischer Thesen sehen. Ganz besonders, wenn es sich um einen Romanschriftsteller handelt, der aus dem sogenannten Osten kommt und der bereits früher eine politische Proklamation von sich gegeben hat.“

Kunderas Jugendwerk bestand aus Gedichten und Theaterstücken, später trat er aber vor allem als Roman-Autor in die Weltliteratur ein:

„Der Roman ist die Kunst der Ironie. Er ist eine Konfrontation von Figuren, das heißt die Begegnung von verschiedenen relativen Wahrheiten. Die Welt des Romans ist die Welt der Relativität, die Welt der Démystification. Wo die Ideologien ihre simplifizierenden Wahrheiten in die Welt hinausposaunen, zeigt der Roman mit einem ironischen Lächeln auf den Lippen die Relativität der Dinge und bezeugt sein Einverständnis mit den menschlichen Irrtümern. Seiner Struktur nach, seinem Wesen nach ist der Roman vehement antiideologisch eingestellt.“

Foto: Suhrkamp Verlag
Mit seinem Romandebüt „Der Scherz“ legte Kundera 1967 eine literarische Reportage der vorangegangenen stalinistischen Epoche in der Tschechoslowakei vor. Gleichzeitig entwarf er aber auch ein allgemein gültiges Bild vom menschlichen Handeln und Verhalten der Machtinhaber zu jeder Zeit.

1975 emigrierte Milan Kundera nach Frankreich. Dort schrieb er seine weiteren Romane, zunächst auf Tschechisch, seit den 1990er Jahren ausschließlich auf Französisch. Seinen weltweiten Durchbruch errang er mit „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“. Als sein bedeutendster Roman gilt „Die Unsterblichkeit“, das letzte Erzählwerk, das er auf Tschechisch verfasst hat. Danach schrieb er nur noch in der Sprache seiner neuen Heimat. Anlässlich des 90. Geburtstags des Autors wurde im Tschechische Rundfunk eine Lesung aus Kunderas „Unsterblichkeit“ einstudiert. Regisseur Aleš Vrzák über die Interpretation des Textes:

„Die Wechselhaftigkeit im Stil seiner Sprache ist sehr schwierig. Die essayistischen Passagen, die die Sätze auflockern und auslegen, bringen jeden Interpreten in Verlegenheit. Das Problem ist, die formale Seite des Satzes zu erhalten und gleichzeitig diesen möglichst richtig mit dem Inhalt zu füllen.“

Milan Kundera lehnt Publizität ab und kommuniziert kaum mit Medien. Viele seiner späten Romane sind dem Lesepublikum hierzulande unbekannt, da sie nicht ins Tschechische übersetzt wurden. Trotzdem steht er mit seiner Heimat in Kontakt, allerdings besucht er sie nur inkognito. Der Brünner Verlag Host hat seit der Wende insgesamt 16 seiner Werke herausgegeben – Romane und Essays.

Foto: Verlag Atlantis