Gemeinsam gegen die Wohnungsnot: Zu Besuch auf der Baustelle des ersten Hausprojekts in Tschechien

Ein Teil des Kollektives von Sdílené domy

Die Wohnungsnot in Tschechien ist groß wie nie. Eine Gruppe von zwölf Menschen hat nun gemeinsam in Prag ein Haus gekauft. Das soll aber nicht nur als Wohnraum, sondern auch als Veranstaltungsort dienen. Die Inspiration für das solidarische Wohnprojekt kommt aus Deutschland und Österreich.

Jana und Tomáš führen mir durch das Gebäude am Stadtrand von Prag, in dem gerade das erste solidarische Hausprojekt Tschechiens entsteht. Ein Teil des Kellers soll eine Waschküche werden. Und hier an der Bar eines ehemaligen Restaurants stehen noch einige Biergläser in einem verspiegelten Schrank. Ein Blick in die Speisekarten macht Appetit. Doch zu essen gibt es hier schon lange kein Schnitzel und keine svíčková mehr und auch der Tresen muss demnächst weichen – für Wohnungen.

Außenansicht | Foto: Ferdinand Hauser,  Radio Prague International

Die Preise für Wohnraum gehen in Tschechien in den letzten Jahren durch die Decke. Wie aus einem Bericht der Initiative Za bydlení (Für das Wohnen) hervorgeht, haben rund zehn Prozent aller tschechischen Haushalte übermäßige Ausgaben für ihren Wohnraum. Übermäßige Ausgaben bedeutet dabei, dass sie mehr als 40 Prozent ihrer monatlichen Einkünfte für ein Dach über dem Kopf aufwenden müssen. Informationen des Beratungskonzerns Deloitte zufolge zahlen Tschechen für eine durchschnittliche 70-Quadratmeter-Wohnung im Schnitt 20.000 Kronen pro Monat. Umgerechnet sind das etwa 800 Euro, was nicht viel erscheinen mag. Doch das tschechische Durchschnittsgehalt beträgt weniger als die Hälfte des deutschen. Der Traum einer Eigentumswohnung rückt damit in Tschechien für viele in weite Ferne. Denn hierfür muss man laut Deloitte zwölf Jahresgehälter berappen – der zweithöchste Wert in Europa.

Jana und Tomáš | Foto: Ferdinand Hauser,  Radio Prague International

Aus der Wohnungsnot eine Tugend macht das Projekt Sdílené domy (Geteilte Häuser). Vor einigen Jahren hat sich eine Gruppe junger Menschen zusammengetan und beschlossen: Wir möchten in Würde leben – und das gemeinschaftlich und solidarisch. Mittlerweile hat die Gruppe von zwölf Menschen das scheinbar Unmögliche geschafft – und gemeinsam in Prag ein Haus gekauft. Jana und Tomáš sind Mitglieder in der Sozialgenossenschaft. Jana zählt auf, als was das Gebäude, in dem wir uns befinden, schon alles gedient hat: „Das Haus war schon ein Hotel, ein Hort und ein Kino“, sagt die junge Mutter, die gerade mit dem zweiten Kind schwanger ist. Für sie und ihren Freund Tomáš waren vor allem soziale Aspekte entscheidend für den geplanten Einzug in das Hausprojekt:

„Für uns waren verschiedene Gründe ausschlaggebend. Etwa, dass wir in einem coolen Projekt wohnen wollten, wo man nur ein Stockwerk nach unten gehen muss und dort auf andere Menschen trifft und kulturelles Leben stattfindet.“

Bald schon keine Bar mehr | Foto: Ferdinand Hauser,  Radio Prague International

Jana zufolge gab es aber noch weitere Argumente für das geteilte Eigenheim, darunter auch finanzielle.

„Wir leben seit zwei Jahren in Leipzig, wollen aber nach Prag zurück. Mit zwei Kindern sehen wir das Hausprojekt fast als einzige Chance, um hierher zurückzukehren. Die Mietverträge in Prag sind oft auf ein Jahr befristet. Wir hatten das schon oft, wollen das aber nicht wieder. Denn mit Kindern ist man froh, wenn man Kindergarten und Schule gefunden hat, und möchte nicht wieder umziehen müssen. Die Miete in unserem Haus wird anfangs nicht so wahnsinnig unter der Marktmiete liegen, aber es ist dennoch erschwinglicher als anderswo. Zudem haben wir hier ganz andere Möglichkeiten. So können wir zunächst nur eine Dreizimmerwohnung haben und diese später noch um einen Raum erweitern.“

Ein 3D-Modell des Ist-Zustandes des Hauses | Foto: Alexandr Peterka

600 Quadratmeter Wohnfläche

In dem Haus, in dem wir stehen, sollen einmal bis zu 17 Menschen leben. Diese werden in einzelnen Wohneinheiten mit einer Gesamtfläche von 600 Quadratmetern leben. Hinzu kommt ein 80 Quadratmeter großes Wohnzimmer, in dem die Bewohner zusammenkommen können. Aber nicht nur das.

„Es soll auch Räumlichkeiten für Büros geben. Die wollen wir zu einem günstigen Preis etwa an NGOs vermieten“, erläutert mir Tomáš.

Zudem soll ein öffentlicher Gemeinschaftsraum entstehen. Dieser wird sich im Untergeschoss befinden, in das mich Jana und Tomáš mitnehmen. Eine dicke Staubschicht bedeckt den Boden, und die vorherige Nutzung des Gebäudes als Restaurant ist noch gut zu erkennen. Eine archaische Waage und ein Ofen stehen ungenutzt herum. Möbel stapeln sich, der Lastenaufzug wurde schon lange nicht mehr bewegt.

Die zukünftigen Bewohner helfen beim Umbau | Foto: Alexandr Peterka

Es gibt kaum Tageslicht. Man müsse sich einfach nur vorstellen, dass eine Wand dort nicht existiere und durch verglaste Türen ersetzt sei, sagt mir Jana. Sie fährt fort und beschreibt die Vision für diesen Ort:

„Es soll ein nicht-kommerzieller Gemeinschaftsraum sein. Hier können politische und kulturelle Veranstaltungen oder nachbarschaftliche Aktivitäten stattfinden – etwa ein Flohmarkt. Wir könnten uns auch vorstellen, Lebensmittel von einem Biobauernhof einzukaufen, die hier abgeholt werden können. Zudem sind Repariertage denkbar.“

Ein wichtiger Aspekt ist dabei auch, dass es in der Gegend nur wenige Cafés und ähnliche öffentliche Orte gibt, an denen die Nachbarschaft zusammenkommen kann. Der Gemeinschaftsraum in der „Schwalbe“, wie das Haus genannt wird, soll nun ein solcher Treffpunkt werden. Bis es jedoch soweit ist, dass die ersten Mieter einziehen und Veranstaltungen das Viertel beleben, ist es noch ein weiter Weg. Mittlerweile wurde ein Architektenteam gefunden, dass sich der Umgestaltung des recht verschachtelten Hauses angenommen hat. Dabei wird auch auf die Bedürfnisse der Mieter eingegangen.

„Es ist schön, selbst Dinge entscheiden zu können. Zum Beispiel haben wir diese laute Straße vor der Tür. Wir haben aber auch die Möglichkeit, in Lärmdämmung zu investieren. Zuletzt haben wir darüber diskutiert, ob der Boden in der Wohnung mit den Kindern schallisoliert werden sollte. Es ist einfach schön, dass wir selbst entscheiden können, wie das Geld investiert wird.“

Die Bar | Foto: Ferdinand Hauser,  Radio Prague International

Ein langer Weg bis zum Ziel

Bis die ersten Leute einziehen, wird es noch mindestens ein Jahr dauern. Das mag nach einer langen Zeit klingen, doch wenn man sich die Geschichte des Projekts Sdílené domy anschaut, ist man schnell überzeugt, dass die Initiatoren auch diese letzte Hürde nehmen werden. Denn der Weg bis zum eigenen Haus war lang, wie Tomáš beschreibt:

Frühere Küche | Foto: Ferdinand Hauser,  Radio Prague International

„Wir haben 2013 angefangen. Die Inspiration kam vom Mietshäuser-Syndikat aus Deutschland. Wir haben dann begonnen, uns nach Häusern umzusehen, hatten aber keine Finanzen. Erst im Frühling vergangenen Jahres konnten wir die Unterstützung auftreiben. Dann hatten wir zwar Geld, aber kein Haus. Wir mussten feststellen, dass während der Corona-Pandemie viele Leute in Immobilien investiert haben. Auf dem Markt gab es mit einem Mal nur noch wenige Gebäude, die für uns in Frage kamen, das heißt, in denen sich ein öffentlicher Raum einrichten ließ und in denen wir überhaupt alle Platz hatten. Es gab nicht so viele Möglichkeiten. Von den Häusern, die wir besichtigt haben, war dieses hier das einzige, das alle Kriterien erfüllt hat.“

Abstriche machen mussten Jana, Tomáš und die anderen Mitglieder des Kollektivs etwa beim gewünschten Garten. Doch da die Gegend um Bilá hora / Weißer Berg am Stadtrand von Prag sehr grün ist, verzichteten sie schließlich darauf – eben auch in Ermangelung bezahlbarer Alternativen. Im Architekturplan ist dafür aber eine Dachterrasse vorgesehen.

Ein Hauskauf für 1,5 Millionen Euro – ohne Bank

Foto: Ferdinand Hauser,  Radio Prague International

Den Kaufvertrag für das Haus unterschrieben die Mitglieder von Sdílené domy im Dezember vergangenen Jahres. Die Kosten betrugen umgerechnet 1,5 Millionen Euro, entsprechend dem derzeit üblichen Marktpreis – erzählen mir Jana und Tomáš. Auch wenn alle Mitglieder der Sozialgenossenschaft einer normalen Erwerbstätigkeit nachgehen, hätten sie für den Kauf keine Hypothek bekommen. Bei 15 Banken fragten Sdílené domy wegen eines Kredits an – vergeblich.

„Auch in Sachen Finanzen wurden wir vom Mietshäuser-Syndikat inspiriert“, erklärt Tomáš das Finanzierungskonzept. „Den Großteil bildet dort der Kredit einer Bank. In unserem Fall kommt das Geld allerdings von der Stiftung ‚Umverteilen‘. Der Rest sind Darlehen von uns und von Leuten, die uns unterstützen möchten.“

Die Kredite werden die Bewohner des Hauses durch ihre Mieten zurückzahlen. Die liegen zwar derzeit noch nicht unter den gängigen Preisen in Prag, steigen aber in der Zukunft nicht weiter an. Die Darlehensgeber und auch die Stiftung „Umverteilen“ bekommen zudem Zinsen. Das ist für Jana mit einem guten Gefühl verbunden.

„Mit unseren Mieten finanzieren wir entweder nette Menschen, die uns unterstützen, oder eine Stiftung, die tolle Projekte in Ländern des globalen Südens organisiert. Das ist für alle Beteiligten eine Win-win-Situation. Wir konnten ein Haus für 38 Millionen Kronen kaufen – ohne Bank!“

Auch wenn das Haus abgezahlt ist, kann es aber nicht wieder auf den Markt zurück, erklärt Jana: „Es ist nicht möglich, dass wir in 20 Jahren sagen: ‚Cool, die Immobilienpreise sind jetzt noch höher, dann verkaufen wir das Haus jetzt!‘ Dagegen haben wir zwei Mechanismen: Zum einen sind wir eine soziale Genossenschaft, die das so gar nicht dürfte. Zum anderen haben wir ein Vetosystem vom Mietshäuser-Syndikat übernommen. In unserer Satzung ist festgelegt, dass die Dachorganisation einen Verkauf ausschließt.“

Inspiration aus Deutschland und Österreich

Foto: Ferdinand Hauser,  Radio Prague International

Das Team von Sdílené domy hat in der Anfangsphase des Projekts zahlreiche Hausprojekte besucht, etwa die in Deutschland vom Mietshäuser-Syndikat. Aber auch in Österreich sind die zukünftigen Mitbewohner auf Gleichgesinnte gestoßen. Dort sind im Verband HabiTat mehrere Hausprojekte organisiert. Und auch dort ist ein Verkauf der Immobilien ausgeschlossen.

Die Inspiration zum Projekt Sdílené domy kam also aus den beiden Nachbarländern. Auch der Großteil des Geldes stammt aus Deutschland. Da kommt die Frage auf, warum es in Tschechien noch kein derartiges Hausprojekt gibt. Als einen der Gründe sieht Tomáš, dass viele Menschen hierzulande in den Immobilien großer Wohnungsgenossenschaften leben, die jedoch eher anonym funktionieren. Er sagt aber auch:

„Ein Unterschied zwischen Deutschland und Tschechien ist, dass hier im Gegensatz zum Nachbarland nur wenige Menschen zur Miete wohnen. 80 Prozent der Menschen haben ein ‚Eigenheim‘. Es ist hier normal, eine Hypothek aufzunehmen und diese dann 30 Jahre lang zurückzuzahlen.“

Solche Hypotheken sind aber eben nicht für jeden zu haben. Jana sagt zudem, dass auch die Geschichte des Landes einen Einfluss hat:

„Ich denke, dass es aus historischen Gründen weniger Euphorie für gemeinwohlorientierte Wirtschaftsformen gibt. In Ostdeutschland hat es auch lange gedauert, bis das erste Projekt in Potsdam entstanden ist.“

Möbiliar aus dem ehemaligen Restaurant | Foto: Ferdinand Hauser,  Radio Prague International

Tomáš ergänzt:

„Wir haben festgestellt, dass wir nicht die einzigen in den postkommunistischen Ländern sind, die so ein Hausprojekt starten. Also sind wir mit Menschen aus Ungarn, Serbien, Slowenien und Kroatien zusammengekommen. Gemeinsam mit ihnen sind wir Mitglied im Moba-Netzwerk. Diese Gruppe ist gerade deswegen entstanden, weil wir in den jeweiligen Ländern alle vor den gleichen Problemen stehen.“

Eines dieser Probleme ist eben gerade das Unverständnis für das Projekt, meint Jana.

„Oft sind wir darauf gestoßen, dass zum Beispiel Anwälte überhaupt nicht verstanden haben, warum wir kein Privateigentum wollen. Oder bei einer Bank! Wenn wir uns dort vorstellen und sagen, dass wir keinen Gewinn wollen, dann sind wir schon sehr komische Kunden und Kundinnen.“

Die „Schwalbe“ ist nur der Anfang

Tomáš sagt, dass es einige Projekte in Tschechien gäbe, die gemeinsam Häuser bewohnen würden. Charakteristisch für diese Gruppen sei aber, dass dabei nur einer der Bewohner das Haus besitze. Derartige hierarchische Strukturen wollte man bei Sdílené domy vermeiden. Tomáš erzählt weiter:

„Dieses Modell hat in Tschechien wirklich noch niemand umgesetzt. Indem wir uns unserem Ziel annähern und nun das Haus gekauft haben, überzeugen wir auch andere Leute hierzulande, dass so etwas realisierbar ist. Ich denke, dass die Skepsis am Anfang groß war. Aber das wird sich durch unser Projekt in Zukunft hoffentlich verändern.“

Und so hoffen Tomáš, Jana und die anderen Mitglieder von Sdílené domy, dass die „Schwalbe“ nur der Anfang ist und sich bald schon weitere Gruppen in anderen Städten Tschechiens der Bewegung anschließen. Erste Interessenten hierfür gibt es wohl bereits.

Mehr Informationen zum Projekt geteilte Häuser finden Sie auf der Webseite von Sdílené domy unter www.sdilenedomy.cz/de.