Gentechnik: Stille Debatte in Tschechien

Stammzellen

Hoffnungen setzen viele Kranke auch in neue medizinische Entwicklungen, in Technologien, die noch vor wenigen Jahren fast unvorstellbar waren. Doch eigentlich: Vorstellbar sind sie für die meisten Menschen auch heute nicht - viel zu abstrakt ist das Feld, auf dem sich die Apparatemedizin mittlerweile bewegt. "Nein ..., Weiß ich nicht..., Weder gehört noch gelesen..." Das sind die häufigsten Antworten von Passanten, die man etwa im Prager Stadtzentrum danach fragt, ob sie etwas über die neue Regelung zur Stammzellforschung wissen. Man könnte meinen, die tschechische Stammzellforschung wiege sich im Dornröschenschlaf, aus dem sie erst ein Gesetzeskuss so richtig wachrütteln wird. Die Realität ist jedoch eine andere. Jitka Mladkova berichtet:

Eva Sykova
"Wir befassen uns mit Experimenten an allen Typen von Stammzellen", sagt Prof. Eva Sykova, sozusagen die Grande Dame der Stammzellforschung in Tschechien. In dem von ihr geleiteten Prager "Zentrum für Zell- und Gewebeersatz" werden seit etwa drei Jahren klinische Experimente mit so genannten adulten, also erwachsenen Stammzellen bei querschnittgelähmten Patienten durchgeführt. Man implantiert ihnen ihre eigenen Stammzellen aus dem Knochenmark, erläutert Sykova und fügt hinzu:

"Wir haben aber auch menschliche Embryonalzellen. Derzeit verfügen wir über drei Zelllinien, die in unserer Forschungsstätte in Brno / Brünn am Leben erhalten werden. Diese Zellen sind im internationalen Register der Zellbank mit Sitz in Großbritannien verzeichnet. Tschechien ist somit eines der wenigen Länder, die menschliche Embryonalzellen besitzen. Sie wurden bei künstlicher Eibefruchtung jeweils im frühesten Entwicklungsstadium von Embryonen isoliert."

Im Klartext heißt das: Tschechische Wissenschaftler haben das umstrittene Forschungsfeld bereits betreten. Dass mithilfe therapeutischen Klonens etwa Hirnzellen für Parkinson-Kranke und Schlaganfallpatienten oder Herzzellen für Infarktopfer gezüchtet werden können, hält die Wissenschaftlerin Eva Sykova für keine überzogene Erwartung. Das Stammzellengesetz, für das sie sich persönlich stark gemacht hat, gibt ihrer Meinung nach den einheimischen Forschern neuen Rückenwind, hat jedoch auch andere Vorteile:

"Dieses Gesetz ist wichtig, um der Forschung Grenzen zu setzen. Es wurde erst nach einer umfassenden Auseinandersetzung über verschiedene Aspekte ins Leben gerufen, die ethischen Dimensionen mit eingeschlossen. Das Gesetz berücksichtigt alle international empfohlenen ethischen Prinzipien."

Der nach Sykova "umfassende" Meinungsaustausch fand faktisch ausschließlich hinter den Wänden des Abgeordnetenhauses statt. Allerdings erwies sich dort das Thema keineswegs als Zündstoff für einen erbitterten Schlagabtausch der Parteien. Bis auf einige wenige Ausnahmen galt das Experimentieren mit menschlichen Embryonen von Anfang an nur für die Christdemokraten als unakzeptabel. Stein des Anstoßes war die elementare Frage: Wo beginnt das menschliche Leben, und von welchem Moment an gebührt ihm das Recht auf Schutz? Wie ein Mann trat die christdemokratische Fraktion beim Votum gegen die Gesetzesvorlage auf - und wurde überstimmt. Jede Instrumentalisierung des menschlichen Embryos entspreche der Aberkennung seiner Würde, sagt der Christdemokrat Vladimir Riha, im Zivilberuf Arzt. Wo sieht er die Ursachen, dass seine Partei mit dieser Auffassung allein blieb?

"Erstens stehen wir kurz vor den Wahlen. Die Emotionen gelten eher anderen Gebieten, wo es politische Punkte zu sammeln gibt. Zugleich aber ist dies ein Spiegelbild unserer Gesellschaft: Ethische Fragen stehen eher im Hintergrund. Im Vordergrund stehen der materielle Wohlstand und das Streben nach optimalen individuellen Lebensbedingungen."

Von der philosophischen Einstellung zur Stammzellforschung mal abgesehen - wie ist es um die Gefahr eines möglichen Missbrauchs bestellt? Eine Frage an den Molekulargenetiker Vaclav Paces, Präsident der Tschechischen Akademie der Wissenschaften:

"Zum Glück gibt es hierzulande entsprechende Kontrollmechanismen. Jede Forschungsinstitution ist nämlich verpflichtet, einen Ethikrat einzusetzen. Und das funktioniert. Ich habe da also keine großen Bedenken."

Dass nicht nur embryonale Stammzellen, sondern gentechnisch modifizierte Zellen überhaupt irgendwann in der modernen Medizin zur Geltung kommen, davon ist auch Dozent Milan Macek vom Prager Institut für Biologie und medizinische Genetik überzeugt. Zugleich mahnt er vor jedem eugenischen Streben nach einer Pseudoverbesserung des Menschengeschlechts, das auf Kosten der Vielfalt geht. Zu jedem Zeitpunkt, so Macek, würden vier bis fünf genetische Mozarts auf der Welt geboren, zumeist in übervölkerten Regionen, wo allerdings die Leitfigur des Vaters und nicht zuletzt auch das Klavier fehlen, um aus dem genetischen einen realen Mozart zu machen.