Gesundheit! Aber wie?

Gesundheitsminister David Rath (Foto: CTK)
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Arrogant und machtsüchtig oder effektiv und durchgreifend? Gesundheitsminister David Rath ist derzeit einer der umstrittensten Männer der Republik. Die leisen Töne sind seine Sache nicht, und zwei Monate nach Amtsantritt hat er es bereits geschafft, große Teile des tschechischen Gesundheitswesens gegen sich und seine Reformen aufzubringen: Gerade an diesem Donnerstag haben tausende Apotheker eine Demonstration in Prag angekündigt. Über den "kranken Mann Gesundheit" in Tschechien berichtet Thomas Kirschner im folgenden Forum Gesellschaft.

Gesundheitsminister David Rath  (Foto: CTK)
Es hätte die Höhle des Löwen sein sollen, in die sich Gesundheitsminister David Rath in der vergangenen Woche gewagt hat, blieb aber letztlich eine zahme Veranstaltung. Beim "Forum auf der Sophieninsel", einer traditionellen Diskussionsrunde zu zeitpolitischen Fragen, stellte sich der Minister in Prag Vertretern von Ärzteschaft und Verbänden. Auch wenn der Eklat ausblieb: die Stimmung ist schlecht im Gesundheitswesen, seit Minister Rath angesichts von Milliardenschulden zu drastischen Einsparungen ansetzt. Dabei stehe das tschechische Gesundheitswesen eigentlich ausgezeichnet da, so die erstaunliche Eingangsthese des Ministers:

"Wenn wir die Effektivität messen, indem wir Ausgaben und Ergebnis gegenüber stellen, dann stellen wir fest, dass das tschechische Gesundheitswesen zu einem der effektivsten auf der Welt gehört!"

'Forum auf der Sophieninsel'  (Foto: CTK)
Tatsächlich können sich die Erfolge und das Niveau der tschechischen Medizin sehen lassen. So ist Tschechien etwa das Land mit der modernsten Herzinfarkt-Behandlung und einer der niedrigsten Kindersterblichkeiten in Europa, und das, obwohl nur sieben Prozent des ohnehin weit unter EU-Durchschnitt liegenden Bruttoinlandsproduktes in die Gesundheit fließen. Zum Vergleich: in den weitaus reicheren Nachbarstaaten Österreich und Deutschland mit unvergleichlich höherem Inlandsprodukt sind es neun bzw. elf Prozent. Was die relativen Zahlen angeht, liegt in Westeuropa etwa Großbritannien auf dem tschechischen Ausgabenniveau - dort allerdings sind die hoffnungslos veralteten Krankenhäuser sind längst zum Schrecken aller Patienten geworden. Kann man sich also entspannt zurücklehnen in Tschechien? Nicht ganz, meint Antonin Hlavacek, Stellvertretender Direktor des tschechischen Instituts für Gesundheitspolitik und Ökonomie (IZPE):

"Man könnte zufrieden sein, wenn die Lage auf ganzer Linie so gut wäre. Aber es lässt sich nicht übersehen, dass es im tschechischen Gesundheitswesen Probleme gibt. In der Tat sind wir auf einem Qualitätsniveau, das in anderen Ländern nur mit weit größerem finanziellem Aufwand erreicht wird. Aber das ist ein Ergebnis der spezifischen Situation nach 1989 und der Entwicklung seither."

Und das betrifft vor allem die Gehälter in medizinischen Berufen. Die waren vor der Wende niedrig, und auch in den Jahren seit 1989 ist es zu keinem überproportionalen Anstieg gekommen, betont Jaromir Hradec, der als Kardiologe aus einem der Vorzeigefächer der tschechischen Medizin kommt:

"Für die Geräte zahlen wir ganz genau das gleiche wie irgendwo sonst in Europa, ebenso für die Medikamente. Der Unterschied liegt nur in den lächerlichen Löhnen für die menschliche Arbeit."

Noch dazu werden die Arzthonorare oft erst mit mehrmonatiger Verspätung gezahlt, jedenfalls sofern sie von der größten Krankenversicherung des Landes, der VZP abgedeckt werden. Die hat einen Schuldenberg von 10 Milliarden Kronen angehäuft, knapp 350 Millionen Euro. Um das knappe Geld bzw. die Frage, wie und wofür es zu verteilen ist, geht es auch bei der tschechischen Gesundheitsreform, so Antonin Hlavacek:

"Die grundlegenden Probleme des tschechischen Gesundheitssystems sind meiner Meinung nach genau die gleichen wie in anderen Staaten: Die Möglichkeiten der Medizin haben sich in den letzten Jahrzehnten rasch entwickelt, die finanziellen Mittel aber sind bemessen. Das ist das Kernproblem, mit dem wir es noch lange zu tun haben werden - nicht nur in Tschechien, sondern in ganz Europa."

Eines der Rezepte ist daher die verstärkte Einführung von marktwirtschaftlichen Prinzipien in das Gesundheitswesen. Scharf gestritten wird in Tschechien über die Privatisierung von Krankenhäusern, die vor allem die neoliberalen Bürgerdemokraten fordern und die ein besseres Wirtschaften garantieren soll. Gesundheitsminister David Rath hält davon wenig: Ein funktionierender Markt setzte eine Wahlmöglichkeit zwischen verschiedenen Produkten voraus, so Rath. In der Medizin seien rund 60 Prozent der Fälle aber akut:

"Mindestens bei diesen 60 Prozent gibt es keine Wahl: Wenn mich hier vor der Tür ein Auto überfährt, dann kann ich nicht lange diskutieren, in welches Krankenhaus ich mich denn bringen lasse. Hier funktioniert das Gesundheitswesen wie die Feuerwehr. Wenn es brennt, fällt ja auch niemandem ein, die Löschtruppe nach Marktmechanismen auszuwählen und um die Preise zu verhandeln."

Bei dem Diskussionsforum auf der Prager Sophieninsel zeigte sich der Minister, dem oft Arroganz und Machtbesessenheit vorgeworfen werden, umgänglich, aber bestimmt. Eine radikale Vision zur Neuordnung des tschechischen Gesundheitssystems hat Rath nicht - er setzt vielmehr auf die Evolution, die Weiterentwicklung des Bestehenden:

"Gesellschaftliche Systeme kann man nicht im Tierversuch ausprobieren, vor allem weil die Tiere nicht so eine vertrackte Gesellschaft haben. Oft passiert es daher, dass einschneidende Experimente schlecht enden, obwohl sie gut gemeint waren - die Kollektivierung der Landwirtschaft ist ein Beispiel dafür. Ich bin daher sehr skeptisch gegenüber allen radikalen oder revolutionären Ansätzen zu Verbesserung des Gesundheitssystems. Das hat sich gewissermaßen evolutionär unter Beteiligung aller Kräfte der Gesellschaft entwickelt."

Reicht aber bei den anstehenden Problemen eine behutsame Weiterentwicklung, die im schlimmsten Falle an das altösterreichische "Fortwurschteln" anknüpft? Oder ist es an der Zeit, das Gesundheitssystem auf eine neue Basis zu stellen? Evolution oder Revolution? Dazu nochmals Antonin Hlavacek vom Institut für Gesundheitspolitik und Ökonomie

"Das ist eine Frage der Sichtweise. Wenn Sie die tschechische Geschichte des 20. Jahrhunderts nehmen, dann sehen sie, dass die Tschechen kein Volk der Revolutionen sind, und auch hier sehe ich keinen Willen zur Revolution. Und es ist ja auch nicht so, dass morgen das System zusammenbricht und sich niemand mehr um Sie kümmert. Eine Evolution des Systems wird also sicher ausreichen."

Gesundheitsminister Rath versucht es zunächst unter anderem mit der Senkung der gesetzlichen Handelsmargen für Apotheken und der Deckelung des Krankenkassen-Budgets für Ärzte. Ist das ein angemessener und allseitig gerechter Schritt? Für eine Antwort auf diese Frage sei es noch zu früh, meint Antonin Hlavacek.

"Wir wissen jetzt zwar, was sich der Minister für den Anfang ausgedacht hat, aber die Regelungen sind noch gar nicht richtig in Kraft getreten. Solange man die Folgen nicht sieht, lässt sich kaum sagen, ob die Maßnahmen gerecht und angemessen sind. Denn nicht zuletzt verfügen die Tschechen über eine erhebliche Kreativität - und die führt nicht selten dazu, dass administrative Maßnahmen genau das Gegenteil von dem erreichen, was beabsichtigt war."