Gewalt auf Wahlkampfveranstaltungen, Eskalationen in Griechenland und Tschechiens Expo-Erfolg
Die Themen des aktuellen Medienspiegels: Die zunehmende Gewaltbereitschaft der Besucher von Wahlkampfveranstaltungen, der Expo-Erfolg Tschechiens und Reaktionen auf die Situation in Griechenland.
Moderator: Die Parlamentswahlen rücken näher hier in Tschechien, die öffentlichen Wahlkampfauftritte der Kandidaten nehmen zu und mit ihnen auch die Angriffe auf die Kandidaten. Die verlagern sich zunehmend von der verbalen Ebene auf die physische. Zuletzt bekam das am Mittwoch Bohuslav Sobotka zu spüren, der stellvertretende Vorsitzende der Sozialdemokraten. Ein offenbar betrunkener Mann hat ihm einen heftigen Schlag auf den Kopf verpasst. Sobotka musste im Krankenhaus behandelt werden. Präsident Klaus hat den Anschlag verurteilt, andere Politiker haben es ihm gleichgetan. Was schreiben denn die Kommentatoren in den Zeitungen dazu?
Katrin Materna: Auch auf den Meinungsseiten wird dieser Gewaltakt durchweg abgelehnt. Dalibor Balšínek von der Zeitung Lidové noviny schreibt:
„Jeder vernünftige Mensch muss den Faustschlag gegen den Vize-Vorsitzenden der Sozialdemokraten ohne Zögern verurteilen – unabhängig davon, ob er konservativ oder links wählt. [...] Gleichzeitig ist dieser Angriff aber auch nichts weiter als ein Einzelfall. Opfer einer derartigen Attacke kann jeder werden, der in der Öffentlichkeit steht. [...] Dieser Kehrseite der Popularität können Fußballer ausgesetzt sein, die ein Eigentor schießen, Schiedsrichter, die einen ungerechtfertigten Elfmeter pfeifen, Sänger, deren Konzert nicht gut genug war, kontroverse Moderatoren etc. Es ist nicht notwendig, noch mehr Beispiele anzuführen, um zu dem Schluss zu kommen, dass es sich in solchen Situationen meist um das Versagen einer Einzelperson handelt und nicht etwa um einen programmatischen, organisierten Angriff. Das weiß sicherlich auch Jiří Paroubek. Es muss also eine böse Absicht dahinter stecken, wenn er eine Verlautbarung veröffentlicht, in der er behauptet, dass der Angriff auf seinen Kollegen die Demokratie und Freiheit in diesem Land gefährde.“Moderator: Gab es denn noch andere Stimmen dazu?
KM: Ja, gab es. Der Chefredakteur der Tageszeitung Hospodářské noviny, Petr Šimůnek, hat sich dazu zu Wort gemeldet. Er sieht das Problem in der mangelnden politischen Kultur:
„Der Angriff auf Bohuslav Sobotka war heimtückisch und gemein. Noch vor kurzem wäre so etwas undenkbar gewesen. Dass aber all die Eier und Steine in die tschechische Politik eingekehrt sind, hat seinen Grund. Vor jeder Wahl ist von Verdruss die Rede, aber dieses Jahr ist die Stimmung noch schlechter als sonst. Es herrscht eine Mischung aus Zorn und Verzweiflung darüber, wie die Politik aussieht. Die Feindseligkeiten gegenüber Politikern nehmen sowohl auf der rechten, als auch der linken Seite des politischen Spektrums zu. Unser Land erlebt kein wirtschaftliches Drama, uns Tschechen wird ein friedfertiges Naturell nachgesagt, dennoch nimmt die Gewalt in der Politik zu. Die griechische Tragödie zeigt auf, wie weit die Leute angesichts korrupter Politiker gehen können. Tschechien schlägt den griechischen Weg ein.“Moderator: Und damit hat Petr Šimůnek zwar ein ganz schön schwarzes Zukunftsszenario entworfen, gleichzeitig aber auch eine prima Überleitung zu unserem nächsten Thema geschaffen, Griechenland nämlich. Die Proteste gegen die geplanten Sparmaßnahmen haben dort diese Woche die ersten Todesopfer gefordert. Wie nehmen die tschechischen Kommentatoren die jüngsten Ereignisse wahr?
KM: Nun, da werden unterschiedliche Aspekte beleuchtet. Julie Hrstková, ebenfalls Hospodářské noviny stellt Ihren Ausführungen die Frage voran, die sich wohl so mancher stellt:
„Sind vierstündige Mittagspausen, Zuschüsse zu Urlaubsreisen und großzügige Renten das Blutvergießen wert?“Julie Hrstková weist aber darauf hin, dass der IWF den Griechen in Wahrheit eine Menge abverlangen wird. Die Griechen werden es in ihren Augen in den kommenden Jahren tatsächlich deutlich schwerer haben als bisher. Die Verfasserin spielt den Fall durch, dass die griechische Regierung die Hilfen nicht angenommen hätte, stattdessen den Staatsbankrott erklärt und den Euro gegen die Drachme zurückgetauscht hätte.„Auch der Bankrott wäre kein Ausweg: Praktisch alle Griechen würden einen Großteil des Geldes verlieren, das sie auf der Bank haben. Das Eintauschen des Euro gegen die Drachme würde eine Abwertung und einen Anstieg der Arbeitslosigkeit nach sich ziehen. Das wären deutlich größere Verluste als die, gegen die sich die Leute auf der Straße wehren. Griechenland hat also keine Wahl. Die Eurozone sollte aber alles daran setzen, den jetzigen Status quo aufrechtzuerhalten. Sonst könnte sie in die unbekannten Gefilde des Zerfalls geraten."
Pavel Páral, Mladá Fronta Dnes bewertet die Lage, in der sich Griechenland befindet, ähnlich, kommt aber zu einem etwas anderen Schluss:
„Alle geben jetzt vor, dass Griechenland sich innerhalb der nächsten drei Jahre berappeln wird und dann in der Lage ist, mit der Rückzahlung seiner Schulden zu beginnen. Wie das am ehesten ausgehen wird, zeigen die Fernsehbilder aus den brennenden Straßen Athens. Dabei ahnen die Leute auf der Straße bisher nur, was ihnen der IWF und die Eurozone alles auferlegt hat. […] Was auf den Straßen geschieht, ist nicht mit dem griechischen Temperament abzutun. Im Gegenteil: Die Griechen machen sich offenbar bewusst, dass es schlecht aussieht und dass sie ganz schön etwas aushalten werden müssen. […]. Dieser Riesenkredit ist außerdem nicht nur ein griechisches Thema, sondern betrifft die Zukunft von ganz Europa. Der Blick in diese Zukunft gibt momentan eher Anlass zur Furcht als zur Hoffnung.“Moderator: Kommen wir zum Schluss zu einem erfreulicheren Thema: Die Expo 2010 in Shanghai ist für Tschechien bereits jetzt ein großer Erfolg. Allein am vergangenen Samstag zählte der tschechische Pavillon knapp 36.000 Besucher. Die Leute standen Schlange vor dem rechteckigen Bau mit den Eishockey-Pucks auf dem Dach. KM: Diese Tatsache wurde natürlich durchweg positiv aufgenommen. Viliam Buchert stellt sich aber in der Mladá Fronta Dnes folgende kritische Frage:„Die Chinesen, ihre Politiker und Geschäftsmänner interessieren sich in erster Linie fürs Business, für Investitionen und Geld. Fast nichts davon verbinden sie gegenwärtig mit der Tschechischen Republik. Auch die heute in China so populären Škoda-Autos, die in Shanghai hergestellt werden, haben mit unseren nur herzlich wenig zu tun. Kann der Erfolg des tschechischen Pavillons auf der Expo daran etwas ändern? Schön wär’s. Wahrscheinlicher ist, dass wir auch nach der Weltausstellung für China das Schlusslicht darstellen werden.“
Moderator: Und das war es schon wieder vom Medienspiegel.