Gleichgültig sind nicht alle: Prager Aufruf gegen Antisemitismus

Foto: Milena Štráfeldová

Um das Datum des jüdischen Gedenktags der Shoah und des Heldentums – des Yom ha Shoah – herum wird in Prag eine Reihe von Veranstaltungen organisiert. Dabei wird nicht nur der Opfer des Holocausts gedacht, sondern unter anderem in Rahmen einer Konferenz auch auf Antisemitismus in der Gesellschaft aufmerksam gemacht. Martina Schneibergová nahm an der internationalen Konferenz teil, die am vergangenen Freitag stattfand.

Foto: Milena Štráfeldová
Wo sind die Wurzeln des Antisemitismus zu suchen? Wie sieht es im Vergleich zu anderen Ländern Europas mit dem Antisemitismus in Tschechien aus? Antworten auf diese Fragen haben die Teilnehmer der Konferenz in Prag gesucht. Dem Sekretär der Föderation der jüdischen Gemeinden, Tomáš Kraus, zufolge ist der Antisemitismus in Tschechien gegenüber anderen europäischen Ländern nicht so stark ausgeprägt. Im vergangenen Jahr seien aber, so Kraus, mehr antijüdische Angriffe verschiedener Art verzeichnet worden als 2007. Kraus macht zudem auf die steigende Anzahl von antisemitischen Blogs und Internetseiten in Tschechien aufmerksam. Zbyněk Tarant von der Liga gegen Antisemitismus hat die Situation im Internet analysiert:

„Im tschechischen Internet gibt es etwa 40 antisemitische Webseiten, wobei die Zahl schwankt. Etwa die Hälfte davon stellen die Webseiten von Neonazis dar. Die übrigen Seiten gehören ultralinken Organisationen oder auch radikalen christlichen Bewegungen. Auf den Seiten tauchen auch Theorien über eine jüdische Verschwörung auf. Die Zahl der persönlichen Blogs mit antisemitischen Themen ändert sich am stärksten, sie entstehen und verschwinden oft wieder schnell. Wir haben insgesamt ein leichtes Anwachsen der antisemitischen Seiten im tschechischen Internet verzeichnet. Nach unseren Schätzungen gibt es einige Tausend Menschen, die diese Seiten regelmäßig lesen und einige Dutzend aktiver Verfasser von Artikeln mit antijüdischer Thematik.“

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Antisemiten nutzen nach Tarants Worten immer stärker die Möglichkeiten der Internetkommunikation. Die Webseiten sind oft auf Servern in den USA untergebracht. Das US-amerikanische Rechtssystem, so Tarant, schätze die Freiheit des Wortes sehr hoch ein, und daher könne der Inhalt der Seiten nicht beseitigt werden. Da die Seiten unter falscher Identität registriert werden, sei es oft schwer, den wirklichen Verfasser zu finden. Tarant warnt vor allem vor der Gleichgültigkeit der Gesellschaft.

„Die gegenwärtige tschechische Gesellschaft ist gegenüber Juden eher gleichgültig und dies gilt auch für die Haltung gegenüber dem Antisemitismus. Es interessiert uns einfach nicht. Ich würde sagen, dass die Tschechen sich um ihre kleineren Probleme - beispielsweise mit Gebühren im Gesundheitswesen - kümmern und die großen Themen oft übersehen.“

Foto: Milena Štráfeldová
Die Worte über die eher gleichgültigen Tschechen gelten jedoch nicht für alle. Sie gelten sicher nicht für die Initiatoren sowie die Teilnehmer einer Reihe von Veranstaltungen, die unter dem Motto „Europa gegen Antisemitismus und Neonazismus“ am vergangenen Wochenende in Prag stattfand. Dazu gehörte auch der so genannte „Marsch des guten Willens“, der durch die ehemalige jüdische Stadt in Prag führte. Der Marsch wurde mit einer Kundgebung im Waldsteingarten beendet, an der einige Hundert Menschen teilnahmen. Auf der Versammlung wurde ein Aufruf gegen Antisemitismus und Neonazismus vorgestellt, der zuvor auf der Konferenz verabschiedet worden war.

Der aus Wien stammende Manfred Gerstenfeld lebt seit 1968 in Israel. Er ist beim Zentrum für öffentliche Angelegenheiten in Jerusalem tätig. Er hat die Prager Initiative gewürdigt und eingeräumt, er könne sich einen solchen Umzug und Meeting gegen Judenhass in einer anderen europäischen Stadt kaum vorstellen:

Manfred Gerstenfeld  (Foto: Autorin)
„Es ist heute so: Wenn es pro-israelische Demonstrationen in Städten wie Oslo oder Malmö gegeben hat, hat man versucht Molotow-Cocktails auf die Demonstranten zu werfen. Es ist erfreulich zu sehen, wie hier in Prag die Demonstranten durch die Stadt gehen, mit wenig Polizei, jeder ist freundlich, es gibt Hundert Akteure, die tanzen. Zudem hält der Senatspräsident eine Rede und unterzeichnet als erster den Aufruf gegen Antisemitismus. Dies würde man nur in wenigen Ländern erleben, in Westeuropa ist es fast unvorstellbar.“

Auch andere ausländische Teilnehmer der Kundgebung lobten den Prager Aufruf gegen Antisemitismus. Jürgen Bühler leitet die Internationale christliche Botschaft in Jerusalem:

Foto: Milena Štráfeldová
„Ich meine, dass der heutige Tag aus mehreren Gründen bedeutend ist. Zum einen war es sehr beeindruckend zu sehen, wie breit der Zuspruch der Öffentlichkeit war, wie in der Tat Hunderte oder sogar über ein Tausend Menschen zusammengekommen sind, um hier an dem sonnigen Tag, wo man vieles andere machen könnte, zu sagen: Wir wollen hier einige Stunden verbringen, um unsere Solidarität und Freundschaft mit dem jüdischen Volk und Israel ganz klar zum Ausdruck zu bringen. Was aber sicherlich noch von größerer Bedeutung war, war die Bereitschaft des Senats des tschechischen Parlaments, die Resolution hier vorzustellen, die in Europa einzigartig ist. Ich denke, dass man kein europäisches Land zurzeit finden würde, in dem eine so klare Bekenntnis und ein so klares Statement gegen Antisemitismus und Unterstützung für Israel und in allen zusammenhängenden Themen gibt, wie es heute auf der Kundgebung verabschiedet geworden ist. Ich hoffe, dass diese Resolution nicht nur schechien gehören wird, sondern dass viele europäische Länder bereit sind, die zu adoptieren und sie auch in ihren Parlamenten zu verabschieden.“

Der so genannte „Prager Aufruf“ wendet sich nicht nur an die Parlamentarier und Regierung, sondern auch an Medien: Sie werden aufgefordert, sich an der Verbreitung von antijüdischen Vorurteilen nicht zu beteiligen und diese moralisch zu verurteilen.