Hochwertig, langlebig und aus ethischer Produktion: Slow Fashion findet in Tschechien immer mehr Träger

Foto: Archiv NILA

Billigmode und Wegwerfgesellschaft – als Gegenentwurf zu diesen Auswüchsen der Globalisierung hat sich die Slow-Fashion-Bewegung entwickelt. Dabei geht es um Mode, die für eine lange Lebensdauer entworfen ist. Auch in Tschechien wird das Konzept immer bekannter und beliebter. Nicht zuletzt die Corona-Krise trägt zu einem Umdenken bei den Verbrauchern bei.

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Wieder ein Anglizismus, der sich nicht nur im deutschsprachigen Raum, sondern auch in Tschechien durchgesetzt hat. Slow Fashion, das klingt griffiger als „langsame Mode“, meint aber das Gleiche. Sowohl Produzenten als auch Kunden nehmen sich ausreichend Zeit für das Entwerfen, den Kauf und das Tragen von Modestücken, die zugleich eine hohe Qualität haben.

Mit diesem Konzept hat Eva Urbanová 2011 in Prag ihr erstes Geschäft mit dem Namen Nila eröffnet. Seitdem ist es über die Stadtgrenzen hinaus zu einer Institution geworden.

Eva Urbanová  (Foto: Archiv NILA)

„Die Slow-Fashion-Bewegung entstand als Reaktion auf schnelllebige Mode, also Fast Fashion. Das ist billige Stangenware, die auf niedrige Preise und große Umsätze ausgerichtet ist. Etwa vor zehn Jahren gab es die ersten Pioniere, die ein anderes Verständnis von Mode hatten. Sie wollten zu den Werten zurückkehren, die es vor der Fast Fashion gegeben hatte. Das ist vor allem ein angemessener Preis – für das Produkt und gleichzeitig für den ästhetischen Wert und die Qualität des Materials.“

Bei Slow Fashion geht es nicht darum, dass ein Kunde möglichst viele Kleidungsstücke kauft. Er soll vielmehr von denen, die er sich bewusst auswählt, so lange wie möglich etwas haben. So beschrieben, könnte der Eindruck von robuster und praktisch orientierter Kleidung entstehen. Im Selbstverständnis von Nila spielte aber von Beginn an auch die Ästhetik eine große Rolle.

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Eva Urbanová hat das Geschäft gemeinsam mit ihrem Mann Pavel aufgezogen. Von Hause sind beide eigentlich Anwälte. Eva kümmert sich vor allem um das Marketing und die Weiterverbreitung des Slow-Fashion-Gedankens. In ihrem rege geführten Blog erklärt sie die Einzelheiten ihres Konzeptes, geht aber auch auf Probleme der weltweiten Produktion von Kleidung ein. Im Gespräch mit Radio Prag International fasst sie zusammen:

„Ein sehr wichtiger Aspekt ist etwa die Herstellungsethik. Die Textilindustrie beschäftigt weltweit eine große Zahl an Menschen. Fast Fashion wird vor allem in Ländern hergestellt, in denen Arbeitskräfte extrem billig sind. Diese Produkte entstehen auf Kosten von Menschenrechten und zu ungerecht niedrigen Löhnen.“

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Slow Fashion hingegen bedeutet, dass die Produzenten gerecht bezahlt werden und in einem sicheren Umfeld arbeiten. Ausgeschlossen ist zudem erzwungene Kinderarbeit. Diese Kriterien gelten für alle Produkte, die das Ehepaar Urban inzwischen schon in vier Nila-Geschäften in Prag anbietet. Dafür arbeitet es mit mehr als 200 ausgesuchten Designern und Herstellern zusammen. Das Nila-Sortiment umfasst nicht nur Kleidung für alle Altersgruppen, sondern auch Einrichtungsgegenstände, Spielzeug oder Biokosmetik sowie vegane und fair gehandelte Produkte.

Beim Material wird zumeist auf Naturstoffe Wert gelegt. In dieser Hinsicht hat das Thema der Umweltbelastung in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen, sagt Urbanová:

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„Im Zuge der Fast Fashion ist in den letzten 15 Jahren die Nutzung künstlicher Materialien um 200 Prozent angestiegen. Diese Materialien sind billig und gut zu verarbeiten. Für bestimmte Kleidungstypen sind sie aber ungeeignet, so zum Beispiel für Kleider und leichte Oberteile. Das wurde aber nicht beachtet, also nutzte man für alles Polyester. Dieser Kunststoff braucht aber 200 Jahre, bis er sich zersetzt hat. Und die großen Mengen, die in den vergangenen zwei Jahrzehnten produziert wurden, sind schon jetzt also ein großes Problem.“

Bessere Kosten-pro-Nutzung-Rechnung

Slow-Fashion-Kleidung ist gegenüber der Massenware oft teurer im Verkauf. Das liegt aber nur zum Teil an der höheren Qualität der Materialien. Zum anderen sei der Vergleich mit den gängigen Niedrigpreisen in Kaufhausketten nicht allzu aussagekräftig, mahnt Urbanová:

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„In den vergangenen 20 Jahren wurden die Preise für Kleidung allgemein deutlich abgewertet. Der Verkaufspreis entspricht nicht mehr der realen Bilanz eines Produktes. Externe Kosten werden dabei ebenso wenig eingerechnet, wie die Auswirkungen der Herstellung. Die Preise sind heute absurd niedrig.“

Weil bei der Slow-Fashion-Produktion nicht mit Outsourcing gearbeitet wird und die Kosten der gesamten Herstellungskette einberechnet werden, müssen die Kunden mehr bezahlen. Der wirkliche Wert eines Kleidungsstückes wird aber erst durch die Berechnung der „Kosten pro Nutzung“ (aus dem Englischen: cost per wear) ermittelt. Urbanová verweist in ihren Artikeln und Debattenbeiträgen immer wieder auf diese Formel. Dabei gilt, dass Ware, die teurer gekauft wurde, öfter und länger getragen wird. Teilt man nun den Einkaufspreis durch die Tage, an denen das Stück zum Einsatz kommt, ergeben sich für Slow Fashion niedrigere Kosten als für billige Mode. Fast Fashion ist auf schnelles Wegwerfen und häufiges Neukaufen ausgerichtet. Damit gibt man im Endeffekt mehr Geld aus als für wenige Slow-Fashion-Stücke. Genau dieses Verhalten beobachtet Urbanová vor allem bei jungen Kunden:

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„In der typischen Altersspanne zwischen 20 und 30 Jahren sind die Menschen auf der Suche nach ihrem eigenen Stil und probieren sich aus. Weil Fast Fashion überall zu bekommen ist, geben sie in der gesamten Zeitspanne viel mehr Geld aus. Nur in dem Moment scheint der niedrige Preis für ein Stück nicht so wehzutun.“

Nach Urbanovás Erfahrung ist es eine stufenweise Entwicklung, in der ein Verbraucher seinen Stil festlegt und von Werten wie Qualität und Haltbarkeit überzeugt werden kann. Der typische Nila-Kunde ist weiblich, älter als 40 und hat durch ein stabiles Arbeitsleben auch die finanziellen Möglichkeiten, bewusst und teurer einzukaufen.

„Slow Fashion hat auf dem hiesigen Markt ein Loch gestopft. Lange gab es auf der einen Seite nur die Handelsketten und auf der anderen Seite Designermode oder eben Mode, die finanziell für viele nicht zugänglich war. In Tschechien hat der lange ein Mittelweg gefehlt.“

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Slow Fashion spricht mit einem breiten Sortiment inzwischen viele Menschen an. Es gibt die modebewussten Kunden genauso wie solche, die eher einen dezenten Stil pflegen, aber auf eine ethische Herkunft Wert legen. Auch das hat seine Zeit gebraucht, resümiert Urbanová:

„In den Anfangszeiten von Slow Fashion wurde das Konzept oft als Askese verstanden. Man glaubte, dass die Nutzer Mode an sich tatsächlich verachten würden. Das ist zum Glück schon passé. Jetzt bekennen sich zu dieser Bewegung auch Marken, die auf Trends setzen. Damit meine ich nicht kurzfristige Trends, sondern innovative und kreative Ideen. In dem Sortiment findet sich inzwischen fast jeder wieder.“

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Vom Warenangebot abgesehen setzen die Nila-Läden auch auf ein interessantes, modernes Interieur. Das Ehepaar Urban will seinen Kunden damit ein ungewöhnliches Einkaufserlebnis bieten. Grundsätzlich findet Eva Urbanová nichts Verwerfliches daran, Shopping als Entspannung und Erholung vom Alltagsstress zu betreiben:

„Es ist nur schade, wenn die Einkäufe aus einer falschen Motivation heraus geschehen. Das ist der Fall, wenn impulsiv etwas eingekauft wird, was man gar nicht braucht. Oder wenn Kunden der Reklame erliegen und nicht bedenken, dass ein Stück an einem Model fotografiert wurde, das gar nicht dem eigenen Typ entspricht. Womöglich passt die Kleidung dann auch gar nicht zum Käufer, dieser hat aber keine Lust, sie wieder einzutauschen.“

Positive Auswirkungen der Corona-Krise

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Gerade in der ersten Corona-Welle gingen die Umsätze beim Online-Shopping in Tschechien deutlich nach oben. Urbanová hat beobachtet, dass Menschen eher panisch auf den Beginn der Pandemie reagiert und kopflos geshoppt haben. Dieser Reflex habe sich ähnlich wie der erste Schock inzwischen gelegt.

Nicht nur deswegen hat die aktuelle Krise negative Folgen für die Fast Fashion. Die ökonomische Instabilität dieses Konzepts wurde schon in den ersten Wochen der Pandemie offenbar. Bekannte Billigmode-Ketten, deren zahlreiche Geschäfte im Lockdown geschlossen blieben, gaben damals öffentlich bekannt, ihre Mietzahlungen einzustellen.

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Auch im Slow-Fashion-Bereich mache sich die Corona-Krise bemerkbar, allerdings mit weniger Hysterie, so Urbanová:

„Bei einigen Marken hat sich die Herstellung verlangsamt, weil einige Fabriken vorübergehend schließen mussten. Hier kommt wieder die ethische Komponente zum Ausdruck, denn die Produktion findet nicht um jeden Preis statt. Die Menschen werden nicht gezwungen, trotz der Pandemie zur Arbeit zu gehen. Bei der Fast Fashion gab es hingegen viele Berichte, dass auf die aktuelle Lage keine Rücksicht genommen wurde. In einigen Ländern, die den Lockdown verkündet hatten, wurde in den Fabriken heimlich weitergearbeitet.“

In der aktuellen Krise rücken solche Produktionspraktiken wie auch die negativen Folgen für das Ökosystem vermehrt in den Fokus. Das Interesse an Slow Fashion steige dadurch, bestätigt Urbanová:

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„Die Pandemie hat auf umweltbelastende Produktionsprozesse hingewiesen, gleichzeitig aber auch darauf, dass es Alternativen gibt. Die Menschen haben Zeit gefunden, sich mit diesen Fragen zu beschäftigen. Dadurch hatte das alles auch positive Folgen für die Slow-Fashion-Bewegung.“

Ihre Kunden würden außerdem ein hohes Maß an Loyalität gegenüber Nila beweisen, freut sich die Betreiberin. Anzeichen einer kommenden Wirtschaftskrise und eine sinkende Kaufbereitschaft kann sie in ihren Umsätzen noch nicht erkennen. Urbanová ist in der Corona-Krise aber ins Grübeln gekommen darüber, wie sich die Bedürfnisse und das Kaufverhalten ändern, wenn die Menschen mehr Zeit im Home Office verbringen und weniger unter Leute gehen:

„Im Moment haben die Leute wahrscheinlich keine große Lust, sich Kleidung zu kaufen, die normalerweise im Büro oder bei einer Party getragen wird. Mit Nila haben wir das Glück, dass wir uns auf Freizeitmode konzentrieren, an der weiter Interesse besteht. Die Kunden kaufen derzeit mehr Sachen für den Aufenthalt in der Natur. Ich habe zudem den Eindruck, dass sie sich vermehrt auch zu Hause wohl fühlen und gut aussehen wollen, weil sie dort einfach viel Zeit verbringen.“

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So hat Eva Urbanová die Hoffnung, dass Mode langsam auch wieder für den häuslichen Bereich relevant wird. Weihnachten könnte da eine wichtige Rolle spielen:

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„Ich erkenne da so etwas wie eine tschechische Unsitte. Zu einer Weihnachtsfeier ziehen wir uns gerne schick an. Aber zum Heiligabend, den wir zu Hause unterm Weihnachtsbaum im Familienkreis verbringen, fällt uns das nicht ein. Ich hoffe, das ändert sich in diesem Jahr ein wenig.“

Für Nila geht es im neuen Jahr tatkräftig weiter. Den zehnten Jahrestag ihrer Geschäftsgründung wollen die Eheleute Urban mit der Einrichtung ihres fünften Ladens feiern, diesmal im Prager Stadtteil Holešovice. Die Eröffnung ist für den Sommer 2021 angesetzt in der Hoffnung, dann schon auf den Mund-Nasen-Schutz verzichten zu können.