Praktisch und bescheiden: Mode im Kommunismus

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Für viele Bereiche des täglichen Lebens hatte der Zweite Weltkrieg in der Tschechoslowakei ernsthafte Konsequenzen. Sie verwandelte sich binnen kurzer Zeit in ein vollkommen anderes Land, ganz anders als die 1918 gegründete Erste Republik. Die neue geopolitische Lage in der Welt wie auch die innenpolitisch-ökonomische Entwicklung wirkte sich auch in den Lebensbereichen aus, wo man es bis dahin höchstwahrscheinlich nicht erwartet hätte. Der neue Zeitgeist „revolutionierte“ nämlich auch die Bekleidungsstandards. Kurz gesagt die Mode.

Kleider machen Leute, besagt ein bekanntes deutsches Sprichwort. Doch gilt auch umgekehrt, dass Leute Kleider machen. Viel weiß darüber die Bekleidungshistorikerin Konstantina Hlaváčková vom Prager Museum für Kunstgewerbe. Seit geraumer Zeit befasst sie sich mit der Mode in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sie schrieb mehrere Bücher und organisierte als Kuratorin auch Ausstellungen zu diesem Thema.

„Die Mode hinter dem Eisernen Vorhang“  (Foto: Veronika Ruppert,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Mode entsteht ihr zufolge nie als solche. Jedes Mal sei sie die Frucht der gesellschaftlichen und historischen Situation. Dass sie auch zum Instrument einer Ideologie werden kann, dokumentiert Hlaváčková in ihrem jüngsten Buch „Die Mode hinter dem Eisernen Vorhang“. Den Gegenstand ihrer Aufmerksamkeit stellt die Autorin dabei in einen breiten zeithistorischen Kontext. Einleitend führt sie den Leser in die ersten Nachkriegsjahre, die geprägt waren von der Stagnation in den verschiedensten Produktionsbereichen. Diese führte unter anderem zu einem stark eingeschränkten Warenagebot. Schritt für Schritt spitzte sich auch die innenpolitische Situation zu. Ihren Höhepunkt erreichte die Krisenzeit 1948 mit der Machtübernahme durch die Kommunisten. Die Historikerin Hlaváčková:

„Mit dem Regierungswechsel von 1948 veränderte sich praktisch in allen Bereichen das Leben hierzulande von Grund auf. Die Machtpolitik der Parteiideologen machte nicht einmal vor der Bekleidungskultur halt. Auch sie sollte instrumentalisiert werden, um eine schnelle Umwandlung des traditionellen Lebensstils zu erreichen. Hierfür musste man auch die Denkweise der Menschen ändern, damit sie sich als Bürger des sozialistischen beziehungsweise kommunistischen Staates empfinden.“

Abschied von Paris

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In der Tat sollte auch das neue „sozialistische“ Outfit seine Rolle als Kulturträger erfüllen. Das Licht der Welt erblickte ein neues Konzept der Bekleidungskultur. Seine Hauptpostulate waren Absonderung und Nicht-Nachahmung.

„Unsere Mode sollte sich künftig nicht mehr an den Trends der Weltmode orientieren. Besonders nicht am tonangebenden Paris. Es wurde eine neue Theorie der Mode geschaffen, die in allen sogenannten volksdemokratischen Staaten in die Praxis umgesetzt werden sollte. Als Idealbild galt allgemein die sozialistische Sowjetfrau. Ihre Kleider sollten in erster Linie den Bedürfnissen des Alltags gerecht werden. Konkrete Grundattribute wurden für Damenkostüme eingeführt. Sie sollten streng wirken und sich nicht zu viel von einer Uniform unterscheiden. Es wurde empfohlen, den klassischen engen Rockschnitt durch einen breiteren zu ersetzen, um beim Gehen nicht eingeschränkt zu werden.“

Konstantina Hlaváčková  (Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Kurzum, jegliche Raffinessen waren beim Schnitt der Kleidung unerwünscht. Die „hehren“ Ziele, die sich das kommunistische Regime auf die Fahnen geschrieben hatte, waren aber nicht leicht zu erreichen. Ebenso, wenn es sich „nur“ um die Mode handelte. Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg stand die tschechoslowakische Textilindustrie vor großen Herausforderungen. Eine davon war der Mangel an Arbeitskräften, verursacht durch die Vertreibung der sudetendeutschen Bevölkerung aus den Grenzgebieten der Tschechoslowakei. Gerade dort konzentrierte sich ein Großteil der traditionellen Textilproduktion des Landes.

„Die Textilindustrie befand sich auf einmal in einer schwierigen Lage. Sie verfügte zwar über Fabriken, allerdings ohne Arbeiter, Werkstattmeister und Besitzer. Neue Facharbeiter auszubilden war zeitaufwendig. Unter diesen Umständen konnte die Textilindustrie die ambitionierten Planvorgaben absolut nicht erfüllen. Nach 1948 kam die landesweite Verstaatlichung aller Unternehmen und Betriebe hinzu, die sich bis dahin in Privathänden befanden. Eine positive Wende in der Volkswirtschaft wurde aber dadurch nicht herbeigeführt. Übrigens, die großen Unternehmen wurden gleich im ersten Nachkriegsjahr verstaatlicht. Als Problem erwies sich schließlich auch der Mangel an Textilrohstoffen. Die Tschechoslowakei war schon immer auf den Import von Wolle, Baumwolle und Seide angewiesen. Heimisch war nur der Flachs.“

Wiederbelebung der Textilindustrie

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Zu einem neuen Boom sollte der Textilproduktion ein Unternehmen mit dem Namen „Textilní tvorba“/„Textilproduktion“ verhelfen. Gegründet wurde es 1949 vom Industrieministerium und hatte den Auftrag, die Herstellung in ausgewählten Betrieben der Leichtindustrie zu koordinieren. Hierzu gehörte auch die Verantwortung für die Qualität der Produkte. Nach Auffassung der Bekleidungskulturregulatoren sollten gerade die werktätigen Frauen die neuen Modeikonen werden. In den 1950er Jahren zerbrach man sich die Köpfe deswegen auch darüber, was man im Arbeitsprozess anziehen soll:

„Die Modedesigner des Unternehmens „Textilní tvorba“ waren verpflichtet, verschiedene Typen von Arbeitskleidung zu entwerfen. Sie wurden zum Beispiel auch in landwirtschaftliche Produktionsbetriebe entsendet, um sich vor Ort mit dem authentischen Arbeitsmilieu vertraut zu machen. Aufgrund dieser Erfahrungen kam man zum Beispiel zu der Erkenntnis, dass die Frau, die im Schweinestall arbeitete, die Taschen auf ihrer Schürze woanders haben müsse als ihre Kollegin im Kuhstall. Auch solche Absurditäten waren möglich.“

Žena a móda“  (Foto: Verlag Grada)
Ebenso absurd waren aber auch die staatlichen Überlegungen darüber, wie man sich in der Freizeit kleiden sollte. Und das nicht nur beim Aufenthalt in der Natur. Als recht problematisch erwies sich die Aufgabe, den Prototyp für eine möglichst bescheidene Abendgarderobe zu entwerfen. Statusunterschiede ihrer Trägerinnen sollten dabei nicht zum Ausdruck kommen.

Im Januar 1949 erschien hierzulande das erste Modemagazin mit dem Titel „Žena a móda“, auf Deutch „Frau und Mode“. In einem der Leitartikel der Zeitschrift war zu lesen:

„Das Textilangebot ist stets ziemlich beschränkt. Es wird noch lange dauern, bis es gelingen wird, alle Wünsche unserer Verbraucher zu erfüllen und dabei sagen zu können: Wir sind die bestgekleidete und bestbeschuhte Nation.“

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Ein Impuls zur erwünschten Besserung kam aus Moskau. Die Kritik des Stalin-Kults auf dem 20. Parteitag der KPdSU hat, wenn auch nur kurzweilig, ein politisches Tauwetter in den Ländern des so genannten Ostblocks herbeigeführt. Hierzulande spürte man das sogar in der gelockerten Beziehung zur Mode. Anders als früher schrieb die Presse über das Recht der Frauen, ihre Bekleidung den aktuellen Modetrends anzupassen. Doch leichter gesagt, als getan.

Mode nach Plan

1959 wurde in Prag „Das Institut für Wohn- und Bekleidungskultur“ (Ústav bytové a oděvní kultury), kurz ÚBOK gegründet. Seine Mitarbeiter waren Kostümdesigner, Bildhauer, Architekten, Glaskünstler und weitere, die sich mit der Formung des sozialistischen Lebensstils befassten. Jeweils zum Saisonabschluss wurde eine Kollektion von fertigen Kleidern vorgestellt, die ein Jahr später in den sogenannten „Häusern der Mode“ verkauft werden sollte. Die Nachfrage nach stylischen Kleidern überstieg das Angebot weiterhin um ein vielfaches. Es haperte an Flexibilität, die Vertreter der Textilbranche gaben oft den einfacheren Entwürfen der Konfektionsindustrie den Vorzug. „Trendy“ war vor allem das Selbermachen. Zu Hause wurde genäht, gestrickt und gehäkelt. Inspirationen einschließlich Schnittbögen und Arbeitsanleitungen fand man mittlerweile zunehmend auch in tschechischen und slowakischen Magazinen. Konstantina Hlaváčková schreibt in ihrem Buch:

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„Die offizielle Propaganda, die die kapitalistische Welt einseitig negativ schilderte, bekam Risse. Für die tschechoslowakische Mode begann eine neue Zeit, die Ende der 1960er Jahre ihren Höhepunkt hatte.“

In den Sechzigern veröffentlichen die Mode- beziehungsweise Frauenzeitschriften unter anderem auch Artikel und Reportagen über Modeschauen der Haute Couture von Paris, London oder Mailand. Zum wahren Event wurde eine Modeschau, die 1966 das Modehaus Dior in Prag veranstaltete.

In den 1970er Jahren wurde das Rad der Modegeschichte erneut zurückgedreht. Auch diesmal lag die Ursache in der hohen Politik, die in Moskau betrieben wurde. Im August 1968 schlugen Sowjetpanzer den Prager Frühling nieder. In den kommenden 21 Jahren zog die, wie es offiziell hieß, „Normalisierung“ ins Land.

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Nach einer Tagung des sogenannten Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe, kurz RGW, auch unter der englischen Abkürzung Comecon bekannt, berichtete 1972 das Tschechoslowakische Fernsehen in seiner Sendung „Halbe Stunde mit der Mode“:

„Allgemein kann man sagen, dass sich die RGW-Länder auf ihrer Tagung auf gemeinsame Modetendenzen geeinigt heben. Die herabfallende Schulterlinie, möglicherweise leicht in die Breite verlängert, die Taille soll in natürlicher Höhe mittels verschiedener Gürtel akzentuiert werden. Die Länge wird sich um die Knie bewegen. Festgelegt wurden auch 15 Modefarben. Weitere Elemente des Kleiderdesigns wurden den einzelnen Mitgliedsländern überlassen.“

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Im Tschechischen Fernsehen hieß es dann 11 Jahre später:

„Wie wir aus Briefen erfahren, gehören Bekleidungsläden zu den meist besuchten Geschäften. Das Wörtchen ‚meist‘ ist allerdings nicht als Ausdruck der Zufriedenheit zu verstehen. Man kann nicht sagen, dass das Angebot in den Geschäften gering ist. Eher im Gegenteil. Doch wenn man sich für den Kauf eines neuen Kleides entscheidet und zu diesem Zweck mehrere Geschäfte aufsucht, kauft man sich letztlich lieber ein Stück Stoff, falls man nähen kann.“