Humboldt-Rede von Václav Klaus: „Ich erwarte ein Anwachsen des Nationalismus“

Václav Klaus

Der tschechische Staatspräsident Václav Klaus hat einen weiteren Pflock seiner EU-Kritik eingeschlagen - diesmal in Berlin. Vergangene Woche hatte er im Rahmen der viel beachteten Vortragsreihe „Humboldt-Reden zu Europa“ an der gleichnamigen Universität eine Rede gehalten mit dem Titel „Kritik an der heutigen Form der europäischen Integration“. Christian Rühmkorf war vor Ort, fasst Kritik und Vision des tschechischen Präsidenten zusammen und hat auch Reaktionen eingefangen.

Das Audimax der Berliner Humboldt-Universität hatte sich am Donnerstag kurz vor elf Uhr vormittags zügig gefüllt. Neben führenden Landespolitikern und dem ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker waren vor allem Studenten gekommen. Viele von ihnen wussten, dass vom tschechischen Präsidenten Václav Klaus Kritik an der europäischen Integration zu erwarten ist und wollten – wie Christopher und Katharina - daher hören:

Václav Klaus mit seiner Rede „Kritik an der heutigen Form der europäischen Integration“
„…vor allem seine Einstellung zur europäischen Integration, die ja doch äußerst kritisch ist. Ich selbst neige eher der europäischen Integration zu und möchte mir gerne dann die andere Seite anhören.“

„…eigentlich was er sich für eine Vision von Europa vorstellt und wie das harmonieren kann mit den anderen 26.“

Ein Mitarbeiter des Walter-Hallstein-Instituts an der Berliner Humboldt-Universität hatte es gegenüber Radio Prag indirekt bestätigt: Der tschechische Staatspräsident Klaus hatte selbst darum ersucht, eine Humboldt-Rede zum Thema Europäische Integration zu halten. Denn alle seine Vorgänger am Rednerpult – von Joschka Fischer über Jerzy Buzek bis zu Angela Merkel hätten alle einen Tenor, mit dem es zu brechen gelte, so Klaus:

Richard von Weizsäcker  (links) hört der Klaus'sche Rede zu
„Sie beschäftigen sich nicht damit, was in Europa ist, beziehungsweise, wie die heutige institutionelle Gestaltung Europas funktioniert und welche Folgen sie mit sich bringt, sondern damit, was – nach Ansicht dieses oder jenes Redners – in Europa sein sollte. Das ist nicht genügend demütig. (…) Auf diesem Terrain sich ohne Respekt vor seiner Zerbrechlichkeit und Verletzlichkeit zu bewegen, ist ein Ausdruck gewisser Blindheit und Taubheit, der in sich große Gefahr birgt.“

Um nicht nur Kritik an Debatte und Integration in der EU zu üben, formulierte Klaus umgehend und knapp seine Vorstellung von einem zukunftsfähigen Europa:

„Ich will ein Europa, das auf vernünftiger und freundschaftlicher Zusammenarbeit von gleichwertigen und souveränen europäischen Staaten basiert. Ich will kein von oben organisiertes Heimatland aller Europäer.“

Präsident der Humboldt-Universität Christoph Markschies
Der Grundbaustein einer Demokratie sei die Bürgerschaft, so Klaus weiter. In der EU jedoch sei genau hier der Grund für ein Demokratiedefizit:

„Die Bürgerschaft auf kontinentaler Ebene zu erschaffen, geht nicht. Sie kann nur auf der Ebene des Staates (und der Staaten) existieren. Dies halte ich für unbestreitbar.“

Damit Klaffen die Prämissen der Europapolitiker und der Europakritiker für eine europäische Integration unversöhnlich auseinander. Klaus zeigte sich in diesem Zusammenhang enttäuscht von den neuen Mitgliedsländern. Von ihnen hatte er erhofft, dass sie zur „Beendigung oder mindestens Verlangsamung“ des Vertiefungsprozesses beitragen. Sie aber hätten nur versucht „in“ zu sein. Und so konstatierte Klaus hinsichtlich der Europadebatte:

Gebäude der Humboldt-Universität
„Das Diktat der politischen Korrektheit nimmt zu. (…) Man fragt sich öfter als zuvor welchen Sinn das alles haben soll.“

Das Kernproblem der Integration bündle sich im EU-Reformvertrag von Lissabon, der vor kurzem in Kraft getreten ist:

„Die Schlüsselfrage ist für mich, ob die Existenz des Lissabon-Vertrages mehr Demokratie, Freiheit und Prosperität in den europäischen Kontinent bringen wird. Meine Antwort ist NEIN.“

Jeder könne sehen, dass die neu geschaffenen Ämter des EU-Präsidenten und des EU-Außenministers kaum eine Bedeutung hätten, dass…

„…die faktische Macht auch weiterhin im deutsch-französischen Tandem liegt. Mit dem Lissabon-Vertrag hat es noch weiter an Stärke zugenommen.“

Die Zentralisierung einerseits und Stärkung der Regionen andererseits – basierend auf einer „Ideologie des Multikulturalismus“ – seien gescheitert, so Klaus. Die Folgen:

„Ich erwarte ein Anwachsen der nationalistischen Stimmungen, gerade das Gegenteil davon, was die europäischen politischen Eliten erhofften.“

Eine Anspielung wohl vor allem auf die jüngsten slowakisch-ungarischen Auseinandersetzungen.

„Ist es nicht an der Zeit, die Zukunft der europäischen Integration neu zu bewerten und dahin zurück dazu zu kommen, was Europa war? Ist es nicht an der Zeit für eine Periode der ernsthaften Selbstreflexion – anstatt ihrer Karikatur, wie in den Jahren nach dem französischen und holländischen Referendum erfolgte? Ich würde sehr dafür plädieren.“

Václav Klaus
Mit dieser Aufforderung beendete Václav Klaus seine Humboldt-Rede zu Europa und konstatierte während der anschließenden Diskussion:

„Zuerst muss ich sagen: Das Klatschen habe ich nicht erwartet. Ich erwartete Tomaten oder so etwas Ähnliches hier an der Humboldt-Universität. Das zeigt schon, dass die Atmosphäre in Europa wirklich ganz anders ist als in der Vergangenheit.“

Gelangweilt hatte sich während der knapp 40-minütigen Rede, die Klaus in sehr gutem Deutsch vortrug, niemand. Der promovierende Historiker Manuel:

„Insbesondere spannend fand ich seinen Punkt, dass er sich eine europäische Demokratie letztlich nicht vorstellen kann, weil er sich eine europäische Bürgerschaft nicht vorstellen kann und damit ein direktes Verhältnis der Bürger zur Europäischen Union ablehnt und deswegen dann den Staat so stark machen muss, weil der Bürger nur zum Staat ein direktes Verhältnis haben kann. Diesen Punkt in dieser Direktheit – das fand ich ganz interessant, auch wenn ich es in der Sache genau andersherum sehen würde.“

Jurastudent Christopher und Historiker Manuel
Überzeugen aber seine Argumentation und sein Auftreten hier?

„Mich persönlich nicht. Ich weiß nicht, ob es andere überzeugt.“

Manuels Freund Christopher, Jurastudent, gehört nicht zu den Konvertiten. Er glaubt aber, tatsächlich eine neue Tendenz in der Europadebatte zu erkennen.

„Ich glaube, dass er (Klaus) in der Zukunft kein Einzelkämpfer sein wird. Die Tendenz geht ja schon dahin, dass man sich mehr Gedanken über Souveränität macht. Und eine sinnvolle Debatte, eine Reflexion über Europa – wie Herr Klaus ja auch sagt – ist sicherlich sehr sehr nützlich und sehr hilfreich. Ob es jetzt eine Diktatur der ´political correctness´ gab, darüber kann man geteilter Meinung sein. Aber auf jeden Fall reden kann über die Dinge ja schon. Die Diskussion ist wichtig.“

Fotos: Autor