Jazz hatte es einst schwer hierzulande – musikalische Zeitreise 50 Jahre zurück
Im heutigen Kultursalon geht es wieder einmal „musikalisch“ zu, jedoch wie bereits zweimal in den zurückliegenden zwei Monaten im gesellschaftspolitischen Kontext der etwa vierzig bis fünfzig Jahre zurückliegenden Zeit. Auch das dritte Mal hat Jitka Mládková den Musikpublizisten und Musikkenner Antonín Matzner als Begleiter durch jene Zeiten ans Mikrophon gebeten. Das dritte Treffen mit ihm gilt diesmal dem Jazz.
„Vielleicht ist es der ausklingenden Nachkriegsatmosphäre in Pilsen zuzuschreiben, das 1945 von General Pattons Einheiten der US-Armee befreit wurde. Einerseits ist meine Generation natürlich mit den offiziell geförderten Melodien berieselt wurden, wie zum Beispiel mit den wie am Fließband produzierten Estradenliedern. Auf der anderen Seite konnten wir zu Hause amerikanische Musik von Schallplatten hören, die die US-Soldaten mit nach Pilsen gebracht hatten. Mit 14 oder 15 kannte ich schon zum Beispiel die Orchester von Lionel Hampton oder Louis Armstrong und andere. Da war ich aber keine Ausnahme. Diese Musik zu hören war damals ein Hobby aller meiner Freunde. Bei gemeinsamen Ausflügen in die Natur nahmen wir einen Grammofon mit, um dort die alten Schellackplatten hören zu können.“
Und dazu gehörte auch das Amateurmusizieren. Schließlich fehlte es damals Antonín Matzner weder an Inspirationen noch an der Lust, bestimmte Vorbilder nachzuahmen:
„Wir hatten auch so eine Art Schülerband gegründet. Gespielt und gesungen wurden die damals immer noch beliebten Schlager aus der Zeit der Ersten tschechoslowakischen Republik von Jaroslav Ježek oder Lieder der Schauspielerstars Voskovec und Werich. Außerdem spielten wir aber auch einige der Schlager, die es im Frühjahr 1945 und den nachfolgenden Jahren in Pilsen zu hören gab. Ich kann mich zum Beispiel an den Titel „Sentimental Journey“ erinnern, den während des 2. Weltkriegs zum ersten Mal Doris Day in den USA gesungen hatte. Hierzulande wurde er später von Jiřina Salačová gemeinsam mit dem bekannten Schwesternduo Allan gesungen.“
Nach der Machtübernahme durch die Kommunisten ist diese Musik bald aus den Rundfunksendungen verschwunden, konnte aber in engeren Privatkreisen von Amateurmusikern, zu denen sich auch die Band von Antonín Matzner zählte, eine Zeitlang weiter leben.
Trotz der amerikanischen Wurzeln des Jazz hat die politische Macht dieses Musikgenre letztendlich toleriert. Das war besonders in den 60er Jahren deutlich, als sich eine Jazzszene mit talentierten jungen Musikern etablieren konnte. Es sei aber nicht wie ein Blitz vom heiteren Himmel gekommen, sagt Matzner:
„In den 50er Jahren bis Anfang der 60er Jahre ging es dem Jazz bei uns sehr schlecht. Das muss man aber zum Teil auch im internationalen Kontext sehen. 1956 platzte in den USA der Rock´n´Roll in die Jazzszene rein und eroberte anschließend die Welt. Bei der Konfrontation beider Musikgenres wurde der Jazz als eine künstlerisch etwas höher stehende Art der Popmusik als der im Vergleich dazu noch relativ einfache Rock´n´Roll wahrgenommen. Damals gab es noch keine Beatles. Der Jazz hingegen hatte nicht die explosive Kraft des Rock´n´Rolls in sich, die man als Demonstration von Freiheit und freiem Denken verstanden hat, die auch in den Liedertexten ihren Ausdruck fanden. Der Jazz wurde daher als weniger gefährlich empfunden. Langsam hat man ihm die Tür geöffnet, und so konnte bereits im Februar 1962 das erste tschechoslowakische Jazzfestival veranstaltet werden.“
Es fand eine Woche lang im Prager Theater Na zábradlí / Am Geländer statt, jedoch nur in einem engeren Kreise der Prager Jazzbands. Sein Debüt in der Öffentlichkeit hatte damals der junge Pianist und künftige erfolgreiche Liedermacher Karel Svoboda. Mit einem Sextett des Prager Theaters Rokoko stellte sich auch der junge Laco Deczi vor. Dieses eher kleinformatige Festival hat aber einen wichtigen Impuls in andere Teile des Landes entsendet:
„Im Mai 1962 fand in Karlsbad ein Jazzfestival statt, das diese Bezeichnung bereits verdiente. Gekommen sind auch ausländische Bands, jedoch nur aus den anderen Ländern des Ostblocks, darunter auch Vertreter der polnischen Jazzavantgarde. Gekommen ist zum Beispiel auch ein Orchester aus der DDR mit seinem Solisten und späteren Filmschauspieler Manfred Krug. Es war ein bedeutendes Ereignis, auch wenn es von offiziellen Stellen höchst kontrovers gewertet wurde. Dušan Havlíček, einer der späteren Chefideologen des Prager Frühlings, schrieb im Parteiorgan Rudé pravo sehr kritisch darüber, was wiederum ein totales Erdbeben unter den örtlichen Bürokraten und Parteifunktionären auslöste. Einige mussten ihre Posten verlassen. Die lockere Atmosphäre des Jazzfestivals ist nämlich auf Abscheu der regionalen Machthaber gestoßen.“
Bald danach wurde in Prag der bis heute existierende Jazzklub „Reduta“ eröffnet. Hier wie auch in der „Poetischen Weinstube Viola“ – so der Titel der noch heute sehr beliebten Kultureinrichtung – gab es etwas Neues, was in der ersten Hälfte der 60er Jahre eine spürbare Belebung in die Atmosphäre des jeweiligen Ambientes brachte. Die Gäste mussten nämlich nicht wie üblich in den Reihen sitzen und sich die Rücken anderer Menschen anschauen. Im Jahr 1964 kam das zweite Internationale Jazzfestival zustande:
„Dieses fand im Prager Lucerna-Saal statt, und zwar wie es nicht anders sein konnte, unter der Aufsicht des Tschechoslowakischen Komponistenverbandes, hinter dem auch der Parteiapparat stand. Lubomír Dorůžka, der als der Geist galt, der hinter dem musikalischen Revival stand, durfte aus ideologischen Gründen nicht offiziell als Festivaldirektor ernannt werden. Diese Funktion durften nur die Funktionäre des Komponistenverbandes bekleiden. Dorůžka sollte sich eher im Hintergrund halten, obwohl gerade sein Anteil an der Festivaldramaturgie einschließlich der Teilnahme ausländischer Gäste am größten war. Erst 1968 wurde er offiziell zum Direktor des Prager Jazzfestivals ernannt.“Um die Wende der 50er und 60er Jahre ist in der Tschechoslowakei eine neue Generation in der Jazzszene aufgetaucht, die vor allem durch drei klangvolle Namen repräsentiert wurde: Jan Konopásek, Karel Velebný und Luděk Hulan. Mit jener Zeit ist auch das von den ersteren zwei Spitzenmusikern gegründete SH-Quartett verbunden:
„Es hat sich sozusagen zu einem schöpferischen Musiklabor etabliert, und alle Jazzer, die sich in den kommenden Jahren einen Namen machen wollten, haben diese Schule absolviert.“
Einigen wie zum Beispiel Rudolf Dašek, Jiří Mráz, Laco Déczi und anderen ist es später auch gelungen, nicht nur hierzulande, sondern auch im Ausland, wo auch eine ganze Reihe von ihnen seit bereits vielen Jahren lebt. Doch das wäre schon ein Thema für eine andere Sendung.