"That Jazz of Praha" - Gespräch mit Buchautor Alexander Schneller

"In Prag gibt es eine faszinierende und großartige Jazzszene. Es gibt auch eine ansehnliche Zahl von Jazzklubs, die allabendlich sieben Tage in der Woche ein Programm anbieten. In kaum einer anderen europäischen Stadt, ja nicht einmal in den USA, gibt es etwas Vergleichbares." So heißt es auf dem Cover des repräsentativen Bildbandes "That Jazz of Praha", der bereits im Vorjahr im Prager Verlag Vitalis in deutscher Sprache erschienen ist. Frantisek Uhlír, Michal Gera, Jiri Stivín, Milan Svoboda, Karel Ricka, Emil Viklický - diese und andere klangvolle Namen gehören zur Auswahl von "Vierzehn Jazz-Porträts in Wort und Bild" - so der Untertitel des Buches, das in der Werkstatt des Autorenduos Alexander und Ada Schneller entstand. Alexander Schneller dürfte unseren Stammhörern auch noch als ehemaliger freier Mitarbeiter von Radio Prag bekannt sein. Mit ihm hat sich Jitka Mladkova über das erwähnte Buch, viel mehr aber über den Stellenwert des Jazz in Tschechien unterhalten.

Gestatten Sie, dass ich einleitend einen Satz aus einem Ihrer Beiträge für Radio Prag zitiere. Er lautet: "Der Jazzgesang ist eine Domäne der Frauen und das gilt auch für den Prager Jazz." Nun, ich habe festgestellt, dass es in ihrem Buch nicht gerade von Frauenportraits wimmelt. Ist es darauf zurückzuführen, dass nur Jana Koubkova zu ihren beliebtesten Jazz-Sängerinnen zählt?

"Es ist noch Yvonne Sanchez dabei!"

Richtig, dann sind sie zwei insgesamt.

"Das ist etwas, was mir persönlich auch nicht gefällt. Aber es ist so in der Geschichte des Jazz. Bis zum gewissen Grade war es Männersache. Wenn man sich aber in der Jazzwelt umsieht und nicht nur nach den Sängerinnen Ausschau hält, dann findet man viele Jazzmusikerinnen, die sich sehr in den Vordergrund gespielt haben. Es gibt großartige Trompeterinnen, Schlagzeugerinnen usw. Und trotzdem ist der Gesang immer noch die Domäne der Frauen. Hier in Prag gibt es außer den zwei genannten auch andere große Sängerinnen, aber was das Instrumentale angeht, ist es noch verhalten. Wenn man fragt, dann werden zwar Namen genannt, aber sie treten zum Teil noch nicht in den Klubs auf, vielmehr bei verschiedenen Veranstaltungen privater Art. Ich denke, in einiger Zeit wird es auch vermehrt Jazzmusikerinnen geben."

Ich habe neulich mit Emil Viklicky gesprochen. Auf meine Frage nach dem Stellenwert der Jazzmusik hierzulande hat er, ohne lange nachdenken zu müssen gesagt, der Jazz sei das Aschenputtel in der tschechischen Musiklandschaft. Würden Sie sich dieser Ansicht anschließen?

"Absolut! Das ist auch ein Hauptergebnis unserer Gespräche in dem Buch. Wir haben den einzelnen Gesprächspartnern die Frage gestellt: ´Wie schätzen Sie den Stellenwert des Jazz in der tschechischen Gesellschaft ein?´ Sie haben meine Erfahrungen bestätigt, dass es ein Aschenputtel, ein Mauerblümchen ist oder wie auch immer man es nennen will. Es ist interessant, wenn man ausländische Touristen fragt, bekommt man oft zu hören: Ja, das ist super! Der Jazz ist DIE Musik neben Mozart, Dvorak! Den hört und sieht man überall. Bei den Tschechen ist es fast umgekehrt. Also der Stellenwert, den man dem Jazz zubilligt, ist gering. Das kann man zum Beispiel auch im Fernsehen sehen. Wenn irgendwas kommt, ist es spät in der Nacht, und dann sind es meistens amerikanische Musiker. Das Radio macht eine kleine Ausnahme, nicht immer zu guten Sendezeiten, aber es bringt hie und da etwas, was sich hören lässt. In den Printmedien existiert jedoch der Jazz als Thema praktisch nicht."

In der Zeit, in der Tschechien, genauer gesagt die ehemalige Tschechoslowakei hinter dem so genannten Eisernen Vorhang existierte, galt gerade der Jazz Jahrzehnte lang als ein Musikgenre, das von dem kommunistischen Regime nur geduldet wurde. Haben Sie dafür eine Erklärung, dass die Tschechen nach dieser langjährigen Tradition eigentlich keine große Vorliebe für die Jazzmusik hegen?

"Also zunächst muss man sagen, dass es kein rein tschechisches Phänomen ist. Die Jazzmusik, vor allem die moderne, führt überall ein Mauerblümchendasein. Die meisten Jazzklubs, die es heute gibt, sind nach der Wende gegründet worden. Die Reduta, der allererste berühmte Jazzklub, war lange praktisch der einzige. Später gab es auch einige kleinere. Eigentlich wird der Jazz jetzt mehr gespielt, aber seine Wahrnehmung hat sich verändert. Jetzt sind da auch andere moderne Musikstile, die wichtig sind für junge Leute. Vor allem der Rock und der Pop. Natürlich auch Musicals, die wie Pilze aus dem Boden schießen. Der Jazz ist eigentlich eine Musik für Kenner. Es sind vor allem die Touristen, die die Jazzklubs bevölkern. Ohne Touristen könnten viele Jazzklubs kaum existieren. Das war früher anders. Vor der Wende waren es hauptsächlich die Einheimischen. Die Musiker konnten aber nicht jeden Abend dasselbe Programm spielen, was heutzutage manchmal passiert, weil immer neue Gäste kommen. Früher war es vielleicht auch etwas Besonderes - Jazz als kleiner Protest gegen das Regime und jetzt ist es aber normal. Außerdem ist auch die Konkurrenz groß geworden, Jazz ist nur eines von vielen Elementen in der Szene, und halt ein kleines."

Zurück zu tschechischen Jazzmusikern: Wie sehen Sie ihre Chancen, sich auch im Ausland durchzusetzen?

"Das kann ich nur bedingt beurteilen. Von denjenigen, die ich persönlich kenne, weiß ich, dass sie immer wieder im Ausland spielen, sogar in Amerika. Für viele ist das Ganze jedoch ein bisschen aufwendig geworden. Vor der Wende gab es in Deutschland Jazzklubs, die alles finanziert haben - die Fahrtkosten, die Unterkunft und Verpflegung oder sogar den Whisky am Ende der Konzerte. Das gibt es nicht mehr. Der tschechische Jazz ist jetzt etwas ganz Normales geworden. Die Frage ist eben einfach, ob sie auch Auftrittsmöglichkeiten finden, die für sie finanziell tragbar sind. Ich denke, junge Musiker, die jetzt nachstoßen - es gibt ganz großartige Musiker und Bands, die hier in Prag immer häufiger spielen - die haben ein anderes Verhältnis dazu, vielleicht etwas legeres, und haben noch den Mumm und den Elan, etwa nach dem Motto: jetzt erobern wir den Westen!"

Für sie spielt das Geld vielleicht noch nicht die Hauptrolle.

"Ja, noch nicht die wichtigste Rolle. Das mag auch ein Aspekt sein. Insofern ist zu hoffen, dass diese Jazzszene wirklich bekannter wird. Es geht auch darum, dass sie zur Kenntnis genommen wird."

Die Konkurrenz in Mitteleuropa und in Europa überhaupt ist aber groß.

"Die ist sogar riesig. Abgesehen von den Amerikanern sowieso!"

Meine letzte Frage will ich an Sie persönlich richten. Was haben Sie jetzt vor? Sie haben gemeinsam mit ihrer Frau als Koautorin ein repräsentatives Buch über tschechische JazzmusikerInnen das Licht der Welt erblicken lassen. Wird ihm etwas Neues folgen?

Ich möchte in diesem Zusammenhang noch schnell etwas loswerden, was wichtig ist. Es ist ein schönes, großes, aufwendig gestaltetes Buch und ohne die wirklich großzügige Hilfe des Verlegers, Herrn Salferner, hätten wir es gar nicht herausgeben können. Was die Zukunft anbelangt, möchte ich mich jetzt nicht festlegen. Ich habe ein paar Ideen, mein Leben ist aber nicht nur Jazz. Wahrscheinlich wird es dennoch etwas aus diesem Bereich. Dann mehr in Richtung von Essays, ein bisschen über die Szene und die aktuelle Entwicklung hier in Prag."

Lassen wir uns also überraschen. Ganz zum Schluss doch noch eine Frage: Wo können sich die Jazzfans unter unseren Hörern ihr Buch kaufen oder bestellen?

"Im Prinzip sollte es im deutschsprachigen Buchhandel - in Deutschland, Österreich und der Schweiz - erhältlich sein. Man kann es auch hier kaufen. Man muss es aber suchen. Kein einziges von den Büchern ist hier jemals in einem Schaufenster gelandet, obwohl es ein tschechisches Thema ist. Es ist deutsch, also, es wird irgendwo versteckt, und da muss man suchen und fragen."

Danke für das Gespräch.