Kafka macht Ferien – und kehrt zurück nach Zürau

Franz Kafka (Foto: Facebook-Seite Kafkaonholiday, Archiv von Jan Jindra)

Als beste Zeit seines Lebens bezeichnete Franz Kafka seinen Aufenthalt in Zürau, tschechisch Siřem einmal. Acht Monate verbrachte er 1917/1918 in ländlicher Abgeschiedenheit zwischen Prag und Karlsbad / Karlovy Vary. Nun soll in dem einstigen Hopfenbauerndorf eine neue Ausstellung entstehen. Sie widmet sich Kafka auf Reisen und will den Mythos vom depressiven Prager Stubenhocker begraben.

„Denke auch daran, daß vielleicht die beste Zeit Deines Lebens von der Du eigentlich noch zu niemandem richtig gesprochen hast, vor etwa 2 Jahren jene 8 Monate auf einem Dorf gewesen sind, wo Du mit allem abgeschlossen zu haben glaubtest, Dich nur auf das Zweifellose in Dir beschränktest, frei warst, ohne Briefe, ohne die 5jährige Postverbindung mit Berlin, im Schutz Deiner Krankheit und dabei gar nicht viel an Dir verändern sondern nur die alten engen Umrisse Deines Wesens fester nachziehen mußtest …“

Franz Kafka  (rechts) und seine Schwester Ottla  (Mitte) in Siřem  | Foto: Archiv Jana Jindry / Galerie Kafka
Dieses Memo an sich selbst verfasste Kafka später, als er längst wieder in Prag war. Von September 1917 bis April 1918 lebte er in dem Dorf, fern von der Arbeiter-Unfallversicherungs-Anstalt, endgültig getrennt von Felice Bauer nach einer jahrelangen, brieflich ausgefochtenen und letztlich gescheiterten Beziehung. Genau dort, wo der tuberkulosekranke Kafka zu sich selbst fand, soll nach den Plänen der Journalistin Judita Matyášová eine neue Ausstellung entstehen:

„Der Ort für unsere geplante Ausstellung ist der einzige, wo man heute sehen kann, was auch Kafka sah. Das klingt fast unglaublich, aber in Siřem ist wirklich die Zeit stehengeblieben. Kafka kam 1917 und blieb acht Monate, vor allem um in der Nähe seiner Schwester Ottla zu sein, die dort auf einem Familienbetrieb geholfen hat. Damals lebten dort etwa 400 Menschen, überwiegend Deutsche. Nach dem Zweiten Weltkrieg mussten sie gehen, und es kamen Wolhynier. Sie hatten keine wirkliche Beziehung zu dem Ort, für sie war das ein abgewohntes Dorf. Nach 1989 sind viele weggegangen, zum Beispiel in die nächstgrößere Stadt Žatec und der Ort ist mehr und mehr ausgestorben. Heute leben dort noch knapp 100, überwiegend ältere Menschen, und die Zeit ist irgendwie stehengeblieben.“

Inspiration für das Schloß

Jaroslav Rudiš  (Foto: Filip Jandourek,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Dorthin wo seine „Zürauer Aphorismen“ entstanden, will Judita Matyášová Kafka nun zurückbringen. Zu den Unterstützern des Projekts zählt der Schriftsteller Jaroslav Rudiš:

„Franz Kafka hat schon längst verdient, dass er in sein Land zurückkommt. Letztendlich war die gesamte deutschsprachige Kultur meines Landes jahrzehntelang verschwiegen. Ich mag auch das Schloß sehr, sein Fragment, das ist wunderbar atmosphärisch und düster, und Siřem ist damit einfach verbunden, Kafka hat sich von dieser Gegend inspirieren lassen.“

Judita Matyášová  (Foto: Eva Dvořáková,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Jaroslav Rudiš ist derzeit mit seiner Kafka-Band und einer Vertonung des Schloß-Fragments im deutschsprachigen Raum unterwegs. Und auch Journalistin Judita Matyášová will Kafka mit ihrem Ausstellungsprojekt aus Prag herausholen.

„Ich habe selbst lange gedacht, dass Kafka die meiste Zeit in Prag war, höchstens mal in Wien oder Berlin. 2003 habe ich aber den tschechischen Fotografen Jan Jindra getroffen. Er hat mir Fotos gezeigt – zum Beispiel Kafka in Liberec, Frýdlant oder Jablonec. Er hat mir erzählt, dass Kafka nicht nur wegen der Arbeit gereist ist, sondern einfach, weil er sich Urlaub genommen hat. Er ist nicht nur hier im Land gereist, sondern zum Beispiel auch nach Frankreich und Italien.“

Jan Jindra  (Foto: YouTube Kanal PechaKucha Prague)
Judita Matyášová war überrascht, von diesem reiselustigen Kafka. Sie besorgte sich seine Reisetagebücher, und begab sich gemeinsam mit Fotograf Jan Jindra auf die Spuren des Schriftstellers:

„Das hat mir einen ganz anderen, vielseitig interessierten Kafka eröffnet. An jedem dieser Orte – insgesamt waren es 70 in ganz Europa – habe ich einen örtlichen Archivar oder Forscher gesucht, der mir etwas über diesen Ort erzählt hat. Also, nicht nur, dass Kafka dort war, sondern was an diesem Ort besonders ist – warum Menschen dort hingefahren sind, und warum möglicherweise auch Kafka sich dieses Ziel ausgesucht hat.“

Fasziniert von der Pariser Metro

Eiffelturm gegen 1910  (Foto: Public Domain)
Kafka war in Dänemark, in Oberitalien, in der Schweiz, schwamm im Gardasee und im Lago Maggiore und fuhr auf Schweizer Berge. Berühmt wurde seine Beschreibung der „Aeroplane in Brescia“, die Beschreibung einer Flugschau im Jahre 1909. Paris besuchte Kafka gleich zweimal:

„Da stellt man sich natürlich vor, wie er in den Louvre gegangen ist und auf den Eiffelturm. Aber am meisten hat ihn eigentlich die U-Bahn angezogen, denn Kafka hat sich sehr stark für technische Neuerungen interessiert. In diesen Reisetagebüchern schreibt er auch, dass ihn nicht nur das Verkehrsmittel sondern auch der Lärm der Metro fasziniert. Wir haben auch festgestellt, dass Kafka immer den gleichen Typus von Hotel bevorzugte. Heutzutage würde man sagen, Zweisternehotels. Sie waren immer ein wenig entfernt vom Zentrum, immer ein Stück von den Hauptsehenswürdigkeiten. Und Kafka hat darauf geachtet, dass das Hotel ein weiteres spezielles Angebot hatte – dass es vegetarisches Essen gab. Er war etwa ab 1910 Vegetarier, denn er hat sich sehr für einen gesunden Lebensstil interessiert.“

Eine Ausstellung - und vielleicht ein Literaturhaus

Ehemalige Hopfentrockungsanlage in Siřem  (Foto: Facebook-Seite Kafkaonholiday)
Der vielseitig interessierte Kafka – dieses Bild löst langsam die traurige Schimäre ab, vom erfolglosen, an Prag gefesselten Schriftsteller, dem im Leben nichts gelang. Nach einem Bildband über Kafka in den Ferien konzipiert Judita Matyášová nun eine Ausstellung. Ihren Platz soll sie in einer ehemaligen Hopfentrockungsanlage in Siřem finden.

„In dem Haus lebte damals Familie Feigl. Es waren Nachbarn von Kafka, er hat sie besucht und auch in seiner Korrespondenz erwähnt. Wir waren in den letzten Jahren oft in Siřem, und haben gehofft, dass sich etwas ergibt. Denn bislang gibt es dort nur eine Plakette mit der Aufschrift ‚Franz Kafka‘ – sonst nichts.“

Ehemalige Hopfentrockungsanlage in Siřem  (Foto: Facebook-Seite Kafkaonholiday)
Die ehemalige Hopfentrockungsanlage steht unter Denkmalschutz und muss behutsam renoviert werden. 860.000 Kronen sollen per Crowdfunding zusammenkommen. Und wenn es mehr wird, könnte sogar ein kleines Literaturhaus daraus werden.

„Darüber wird in Tschechien schon seit langem gesprochen. Siřem liegt ein wenig abseits vom geschäftigen Prag und wäre ideal für jemanden, der sich konzentrieren will und zum Beispiel einen Monat an einen Ort verbringen will, der Kafka so gefiel. Da muss er natürlich nicht zwangsläufig etwas von Kafka inspiriertes schreiben. Aber es würde uns doch sehr interessieren, da ein Auswahlverfahren auszuschreiben und zu lesen, was Schriftsteller – nicht nur tschechische, sondern auch internationale – zu diesem Ort einfällt. Und auch an Übersetzer könnte sich das Stipendium richten, denn auch sie brauchen Unterstützung.“

Mit dem Kavka-Bus zu Kafka

Zu den Unterstützern zählen zum Beispiel die Autoren Petr Borkovec und Jáchym Topol. Und auch für Jaroslav Rudiš bräuchte es in Tschechien längst ein eigenes Literaturhaus samt Stipendienprogramm:

„Das wäre ein großartige Sache. Ich schätze natürlich sehr, was das Prager Literaturhaus der deutschsprachigen Autoren macht – für die Wahrnehmung und Bewahrung der deutschsprachigen Tradition meines Landes. Das könnte ja auch einmal eine wunderbare Zusammenarbeit bieten. Doch ich würde mir wünschen, dass es auch für die tschechischsprachige Literatur einmal ein solches Literaturhaus gibt, wie wir das aus Deutschland auch kennen.“

Siřem  (Foto: Petr Kinšt,  CC BY-SA 3.0)
Eröffnen könnte die Ausstellung „Kafka in den Ferien“ in der zweiten Jahreshälfte 2016. Bleibt noch die Frage: Wie kommt man eigentlich nach Siřem? Judita Matyášová:

„Das ist eigentlich schon eine kafkaeske Aufgabe für sich. Wenn man mit öffentlichen Verkehrsmitteln nach Siřem gelangen will, fährt man mit dem Zug von Prag nach Žatec. Von dort fährt der regionale Autobus, und zwar betrieben von der Gesellschaft Kavka. Als ich das zum ersten Mal gesehen habe, dachte ich mir – das kann man sich nicht ausdenken. Das ist einfach nur hier möglich.“


Wer für das Kafka-Museum in Siřem spenden will, kann sich bis zum 4. Dezember hier beteiligen. Informationen auch unter www.facebook.com/Kafkaonholiday.

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