Kampagne zum EU-Vorsitz: Süße Ironie mit bitterem Nachgeschmack

Am 1. Januar 2009 übernimmt Tschechien von Frankreich den Ratsvorsitz in der Europäischen Union. Sechs Monate lang werden die Tschechen dann die europäische Agenda koordinieren und den Rat gegenüber dem Europaparlament, der Europäischen Kommission und anderen internationalen Institutionen vertreten. Eine Monsteraufgabe, von der sich die Regierung nicht nur außenpolitisches Prestige erwartet, sondern auch mehr Interesse für die EU im Inland. Ein Fernsehspot, Plakate und eine Politiker-Tour durch die Regionen sollen dabei ein wenig nachhelfen. Die Kampagne startete vorige Woche – und sorgte sogleich für zwiespältige Reaktionen.

Er ist eine echte Berühmtheit. In Europa dürfte es kaum jemanden geben, der ihn nicht kennt. Beste Voraussetzungen also, um in der Regierungskampagne zum tschechischen EU-Vorsitz die Hauptrolle zu spielen. Er stammt aus dem südböhmischen Dačice, ist weiß, süß und 165 Jahre alt. Die Rede ist vom Würfelzucker.

Was aber hat nun der Würfelzucker plötzlich in der Europapolitik zu suchen? Und warum hat das süße Motto der Kampagne für viele Beobachter einen ziemlich bitteren Beigeschmack? In den nächsten Minuten werden wir versuchen, diesen Fragen auf den Grund zu gehen. Doch zunächst zum TV-Spot selbst, zum Kernstück der Kampagne, die vorige Woche in Prag präsentiert wurde. Christian Rühmkorf war für uns dabei und fasst das Geschehen auf der Leinwand noch einmal kurz zusammen. Also – Film ab!

Video

„Eishockey-Star Jaromír Jágr schießt das Stück Würfelzucker mit einem Teelöffel Star-Torhüter Petr Čech zu, der es mit einer Hand lässig auffängt, während er mit der anderen Zeitung liest. Die Primaballerina Daria Klimentová lässt ein anderes Stück Zucker Pirouetten drehen, während der Chemiker und Entdecker eines Medikamentes gegen Krebs, Antonín Holý, den Zucker im Kaffee auflöst und den Prozess wissend beobachtet. Daneben baut die bekannte Architektin Eva Jiřičná konzentriert einen Zuckerwürfelturm. Schnell greift das neben ihr sitzende Supermodell Tereza Maxová nach dem letzten Stück, schiebt es sich schuldbewusst in den Mund und lächelt verschworen dem Dirigenten Libor Pešek zu. Der hebt an – nicht den Taktstock, sondern den Zucker – und lässt ihn dann in seinen Kaffee plumpsen, wo er eine große Welle schlägt.“

In der letzten Einstellung sehen wir die Kaffeetasse auf dem Tisch und darüber das Motto der Kampagne: Evropě to osladíme.

Eine wörtliche Übersetzung hilft uns hier nicht wirklich weiter. „Wir werden es Europa versüßen“, müsste diese in etwa lauten. Wichtig ist dabei aber das „es“. Wir wollen nicht Europa versüßen, wir wollen es Europa versüßen. Dritter Fall also. So wie in „Ich werde es dir heimzahlen“ oder „Ich werde dir die Suppe versalzen“. Und genau das schwingt in der tschechischen Redewendung auch mit. Das Kampagnenmotto ist also bewusst zweideutig und „ein bisschen provokant“, wie selbst Premierminister Mirek Topolánek einräumt. Ihm geht es darum, im eigenen Land auf die bevorstehende Ratspräsidentschaft aufmerksam zu machen:

„Ich wünsche mir, dass die Menschen unseren Vorsitz als einzigartige Gelegenheit betrachten, die Europäische Union zu verstehen. Andererseits wollen wir auch der Europäischen Union und ihren Ländern ermöglichen, uns zu verstehen. Wir sind nun seit mehr als vier Jahren EU-Mitglied, und viele sehen die Union immer noch als weit entfernt, schwer verständlich und uninteressant an. Das entspricht aber natürlich nicht den Tatsachen. Und umgekehrt wollen auch wir nicht als diejenigen angesehen werden, die sich ständig über irgendetwas beklagen“, sagt Topolánek in Anspielung auf den EU-skeptischen Ruf, der den Tschechen vorauseilt.

Experten bezweifeln aber, dass hier ausgerechnet der zweideutige Zucker-Slogan Abhilfe schafft. Der Politologe Zdeněk Zbořil meint, der Slogan wirke bedrohlich, der Kommunikationsexperte Jiří Mikeš findet das Motto kontraproduktiv, und Daniel Köppl, Chefredakteur der Fachzeitschrift Marketing & Media, bezeichnet den ganzen Werbespot als politisch unreif:

„Ich habe überhaupt kein Problem mit Ironie im Werbespot. Mein Problem ist, dass die Ironie hier nicht einfach zu finden ist. Man kann den Spot etwa so übersetzen: Wir möchten ein bisschen dagegen sein, aber nicht zu sehr. Das stört mich am meisten. Ironie ist okay, sie ist ein möglicher Weg der Kommunikation. Aber dieser Witz ohne Pointe und ohne Ende, der stört mich wirklich.“

Der für Europafragen zuständige Vizepremier Alexandr Vondra aber steht zu dem Spot. Angeblich kam die Idee dazu sogar von ihm selbst. Gemeinsam mit seinem Team habe er überlegt:

„Wo haben wir Tschechen eine starke Seite und können das auch zeigen? Immer wenn wir uns diese Frage gestellt haben, war unsere Antwort: Wir zeigen unsere starke Seite, wenn wir uns selbst nicht so bierernst nehmen, sondern mit ein wenig Abstand auf uns schauen, gewissermaßen darüber stehen.“

Genau das zu vermitteln sei in dem TV-Spot gelungen, meint Vondra.

„Aber gleichzeitig sollen wir keine Angst haben, sondern stolz und selbstbewusst an unsere Aufgabe herangehen. Daher auch die Idee mit den berühmten Persönlichkeiten. Das sind alles Leute, die in Europa und in der Welt bereits ihre Spuren hinterlassen haben. Die Botschaft ist also klar: Wir schaffen das!“

Marketingexperte Köppl kann jedoch auch dem Konzept mit den Celebrities nichts abgewinnen.

„Das ist wie im 19. Jahrhundert: Hier ist ein Sportler, der ist der beste. So sind wir, die Tschechen. Hier ist eine Künstlerin, und so gut und klug sind wir, die Tschechen. Das ist altmodisch.“

Vor allem aber, meint Köppl, hat der Spot keine eindeutige Aussage. Damit würde ihm das wichtigste Element jeder Kommunikationskampagne fehlen: Klarheit.

„Die möchten alles in 30 Sekunden sagen, aber man weiß nicht, was sie eigentlich sagen möchten. In dem Werbespot gibt es viele Celebrities und alles, was nach Meinung der Regierung dazugehört. Aber es gibt keinen Inhalt.“

Vielleicht aber ist der kleine, süße Hauptdarsteller des Spots doch eine gute Besetzung. Sein Vater nämlich, also der Mann, der ihn 1843 im südböhmischen Dačice erfunden hat, heißt Jacob Christoph Rad, wurde im Badischen Rheinfelden geboren und lebte später in Galizien, in Wien und – als Leiter der örtlichen Zuckerfabrik – in Dačice, von wo der Würfelzucker seinen Siegeszug um die Welt antrat. Ein echter Europäer also.