Krank vor Armut: Steigende Energiekosten bereiten tschechischen Senioren Sorgen
Während der Corona-Pandemie litten vor allem junge Menschen und Mütter mit Kindern an Depressionen und Angstzuständen. Mit dem Krieg in der Ukraine und der Inflation hat sich die Lage verändert. Vor allem Senioren und Menschen mit einem geringen Einkommen zeigen in Tschechien nun Symptome psychischer Störungen. Zu diesem Schluss ist ein Projekt des Tschechischen Rundfunks gekommen.
Die Studie erfolgte im Rahmen des Projekts „Česko 2022: Život k nezaplacení“ (Tschechien 2022: Unbezahlbares Leben). Durchgeführt wurde sie vom Tschechischen Rundfunk in Zusammenarbeit mit dem Marktforschungsinstitut PAQ Research. Daniel Prokop hat die Studie mitausgearbeitet. In den Inlandssendungen des tschechischen Rundfunks sagte er, wer unter den 1700 Probanden besonders zu Depressionen neigte.
„Wir beobachten vor allem bei jenen Menschen wachsende Sorgen, die von der wirtschaftlichen Lage stark betroffen sind – also alleinstehende Senioren oder Menschen, die unter der Armutsgrenze leben. Wir gehen davon aus, dass das mit der Energiekrise zusammenhängt und den steigenden Kosten für die Haushalte.“
So leidet von den alleinstehenden Senioren jeder fünfte an Symptomen einer mittelschweren Depression oder an Angstzuständen. Im vergangenen Herbst lag diese Zahl noch deutlich niedriger. Steigende Energiekosten sind aber nicht die einzige Sorge der Rentner. Aneta Mundok Nitschová arbeitet bei einer Seniorentelefonhotline der Organisation Život 90 (Leben 90). Sie sagt, dass die Corona-Pandemie als Auslöser von Ängsten durch andere Probleme abgelöst worden sei:
„Die Menschen hatten zuvor eher Angst, dass die Kriminalität steigt oder sie sich mit Corona infizieren. Nun fürchten sie sich eher davor, dass sie nicht genug Geld haben für Medikamente, Lebensmittel oder auch Dienstleistungen. Zudem sehen sie, dass die Flüchtlinge aus der Ukraine sehr schnell nach ihren Anträgen finanzielle Zuschüsse bekommen. Auf einen Beitrag zur Pflegebeihilfe müssen die Senioren aber mitunter mehrere Monate warten.“
Laut dem Direktor des Nationalen Instituts für psychische Gesundheit (NÚDZ), Petr Winkler, sind niedrige Einkommen und die seelische Verfassung der Menschen eng miteinander verknüpft.
„Man kann eine Depression nicht durch Wohlstand behandeln. Das funktioniert so nicht. Die eigene schlechte finanzielle Lage kann aber ein großer Risikofaktor sein. Wir brauchen deshalb ein medizinisches Vorgehen dagegen. Sozioökonomische Maßnahmen können nur präventiv und unterstützend wirken.“
Eine Anhebung von Wohngeld oder Renten allein kann also nicht zu einer besseren seelischen Verfassung beitragen. Petr Winkler zufolge sollte die tschechische Bevölkerung stattdessen umfassender informiert werden. Nur so sei es möglich, dass die Betroffenen bei sich die psychischen Störungen auch erkennen und rechtzeitig fachliche Hilfe in Anspruch nehmen. Zudem müssten Vorurteile abgebaut werden, findet der Psychiater.
Das tschechische Gesundheitsministerium versucht durch verschiedene Projekte zu Suchtkranken oder Straftätern im Maßregelvollzug zur Entstigmatisierung psychisch-kranker Menschen beizutragen. Die psychiatrischen Einrichtungen hierzulande hängen in ihrer Entwicklung jedoch einige Jahrzehnte zurück und sind nicht auf dem Stand der Zeit. Eine umfassende Reform könnte Petr Winkler zufolge deshalb mindestens 15 Jahre dauern.