Literarischer Rückblick - Prager Schriftsteller-Festival
Zum Anhören des folgenden Beitrags im Format Real Audio klicken Sie bitte hier: Am Freitag ging das 11. Prager Schriftsteller-Festival zuende. Hören Sie hierzu eine literarische Nachlese von Marcella Pozarek. Es ließt Silja Schultheis.
Wer Schriftsteller gerne live erlebt, ist alljährlich beim Prager Schriftsteller-Festival gut aufgehoben, kann man sich doch von Literaten in ihre Kunstwelten entführen lassen, hautnah mit Dichtergrößen in Tuchfühlung kommen.
Nachdem die angloamerikanischen Stargäste des diesjährigen Schriftstellerfestivals, allen voran Salman Rushdie und Gore Vidal die tschechische Metropole verlassen hatten, ging es bei den Lesungen Ende vergangener Woche in gemächlicherem mitteleuropäischem Tempo weiter. Der österreichische Autor Robert Menasse begeisterte sich im Gespräch mit Radio Prag richtiggehend für Lesungen, ist doch das Schreiben bekanntlich ein einsames Geschäft:
"Man sitzt in einem Zimmer, an einem Schreibtisch, alleine, arbeitet. Man weiß überhaupt nicht, ob das überhaupt einen Sinn hat, ob das wen erreicht. Macht man die Lesungen zu oft, beginnt man zu tingeln, wird irgendwie eine Maschine, die das mechanisch abspult, nimmt auch nichts mehr wahr an Reaktionen und so weiter. Und - das ist auch ganz wichtig - man hat kaum noch Zeit zu schreiben. Und wenn man dann einmal Zeit hat, hat man keine Kraft mehr, weil man erschöpft ist."
Aus der Schweiz reiste neben Adolf Muschg auch eine Schriftstellerin nach Prag, die bis zu ihrem 15. Lebensjahr im mährischen Sternberg lebte, bevor sie 1945 im Zuge der Vertreibung der Sudetendeutschen die damalige Tschechoslowakei verließ. Erica Pedretti erzählte vor versammelter, nicht gerade zahlreicher Leserschaft über ihre Tschechienimpressionen, die sie in ihren Roman verarbeitet. Über ihre realen Erfahrungen mit einem Land unter totalitärer Herrschaft erzählte sie uns folgendes:
"Das erste Mal war ich hier 1976 - ich beschreibe das in "Engste Heimat" - und das war ja hier eine sehr traurige Zeit, man konnte mit niemand offen reden. Ich hatte einen Code damals, ich hab sehr gerne bestimmte tschechische Autoren gehabt - Vyskocil, Hrabal, Linhartova - verschiedene Autoren hatte ich gelesen. Eine ganze Reihe kam auch in der Edition Suhrkamp heraus. Und dann habe ich immer, wenn ich jemand getroffen habe, gesagt: Ich liebe die tschechische Literatur, und wenn ich diese verbotenen Namen...ich wusste genau, das war seit 1968 nicht tabu, und ich habe immer getan, als wüsste ich das nicht, ganz naiv. Und dann haben mich die Leute entweder auf die Seite gebracht, wo man in Ruhe reden konnte, wo niemand zugehört hat, oder sie sind steif geworden und haben gesagt, den kenn ich nicht, weiß ich nichts von. Auch Kollegen."
Alle anwesenden Autoren flochten im Rahmen ihrer Lesungen und in Publikumsgesprächen Erinnerungstücke an die historischen Turbulenzen des 20. Jahrhunderts, an Emigration und Vergangenheitsbewältigung ein. Eine Autorin, die 27 -jährige Zoe Jenny blieb jedoch ganz auf dem Boden der Realität ihrer Protagonistin. Hören sie zum Schluss unseres Beitrages über das 11. Prager Schriftsteller-Festival die Lesung der in Basel lebenden Autorin Zoe Jenny.
"Sobald das Morgenlicht durch das Küchenfenster schimmerte, zog sich das Insekt in seine ferne Welt zurück. Die Dunkelheit wurde langsam verschluckt. Erschöpft ging ich in mein Zimmer zurück und wühlte mich in die Bettdecke. Um sieben Uhr läutete das Telefon. Es war Vater, der von unterwegs anrief, um mich zu wecken."